Sein Platz war der oberste, und wäre es auch hinter der Thüre gewesen. Seine Bescheidenheit erlaubt nicht, ihm eine Lobrede zu halten: es war der Herr Actuarius Salzmann. Meine Leser mögen sich den gründlichsten und empfindsamsten Philo- sophen, mit dem ächtesten Christenthum verpaart, denken, so denken sie sich einen Salzmann. Göthe und er waren Her- zensfreunde.
Herr Troost sagte leise zu Stilling: Hier ists am besten, daß man vierzehn Tage schweigt. Letzterer erkannte diese Wahr- heit, sie schwiegen also, und es kehrte sich auch Niemand son- derlich an sie, außer daß Göthe zuweilen seine Augen herüber- wälzte; er saß gegen Stilling über, und er hatte die Regie- rung am Tisch, ohne daß er sie suchte.
Herr Troost war Stilling sehr nützlich, er kannte die Welt besser, und daher konnte er ihn sicher durchführen: Ohne ihn würde Stilling hundertmal angestoßen haben. So gütig war der himmlische Vater gegen ihn. Er versorgte ihn sogar mit einem Hofmeister, der ihm nicht allein mit Rath und That beistehen, sondern auch von dem er Anleitung und Fingerzeig in seinen Studien haben konnte. Denn gewiß, Herr Troost war ein geschickter und erfahrner Wundarzt.
Nun hatte sich Stilling völlig eingerichtet; er lief seinen Lauf heldenmüthig fort; er war jetzt in seinem Element; er verschlang alles, was er hörte, schrieb aber weder Collegia noch sonst Etwas ab, sondern trug Alles zusammen in allgemeine Begriffe über. Selig ist der Mann, der diese Methode wohl zu üben weiß! aber es ist nicht einem Jeden gegeben. Seine bei- den Professoren, die berühmten Herren Spielmann und Lob- stein bemerkten ihn bald, und gewannen ihn lieb, besonders auch darum, weil er sich ernst, männlich und eingezogen aufführte.
Allein seine 33 Reichsthaler waren nun wieder auf einen Einzigen herunter geschmolzen, deßwegen begann er wiederum herzlich zu beten. Gott erhörte ihn, und just in dieser Zeit der Noth fing Herr Troost einmal des Morgens gegen ihn an, und sagte: "Sie haben, glaub ich, kein Geld mitgebracht; ich will Ihnen sechs Carolin leihen, bis Sie Wechsel bekommen werden." Obgleich Stilling so wenig von Wechsel als von
Sein Platz war der oberſte, und waͤre es auch hinter der Thuͤre geweſen. Seine Beſcheidenheit erlaubt nicht, ihm eine Lobrede zu halten: es war der Herr Actuarius Salzmann. Meine Leſer moͤgen ſich den gruͤndlichſten und empfindſamſten Philo- ſophen, mit dem aͤchteſten Chriſtenthum verpaart, denken, ſo denken ſie ſich einen Salzmann. Goͤthe und er waren Her- zensfreunde.
Herr Trooſt ſagte leiſe zu Stilling: Hier iſts am beſten, daß man vierzehn Tage ſchweigt. Letzterer erkannte dieſe Wahr- heit, ſie ſchwiegen alſo, und es kehrte ſich auch Niemand ſon- derlich an ſie, außer daß Goͤthe zuweilen ſeine Augen heruͤber- waͤlzte; er ſaß gegen Stilling uͤber, und er hatte die Regie- rung am Tiſch, ohne daß er ſie ſuchte.
Herr Trooſt war Stilling ſehr nuͤtzlich, er kannte die Welt beſſer, und daher konnte er ihn ſicher durchfuͤhren: Ohne ihn wuͤrde Stilling hundertmal angeſtoßen haben. So guͤtig war der himmliſche Vater gegen ihn. Er verſorgte ihn ſogar mit einem Hofmeiſter, der ihm nicht allein mit Rath und That beiſtehen, ſondern auch von dem er Anleitung und Fingerzeig in ſeinen Studien haben konnte. Denn gewiß, Herr Trooſt war ein geſchickter und erfahrner Wundarzt.
Nun hatte ſich Stilling voͤllig eingerichtet; er lief ſeinen Lauf heldenmuͤthig fort; er war jetzt in ſeinem Element; er verſchlang alles, was er hoͤrte, ſchrieb aber weder Collegia noch ſonſt Etwas ab, ſondern trug Alles zuſammen in allgemeine Begriffe uͤber. Selig iſt der Mann, der dieſe Methode wohl zu uͤben weiß! aber es iſt nicht einem Jeden gegeben. Seine bei- den Profeſſoren, die beruͤhmten Herren Spielmann und Lob- ſtein bemerkten ihn bald, und gewannen ihn lieb, beſonders auch darum, weil er ſich ernſt, maͤnnlich und eingezogen auffuͤhrte.
Allein ſeine 33 Reichsthaler waren nun wieder auf einen Einzigen herunter geſchmolzen, deßwegen begann er wiederum herzlich zu beten. Gott erhoͤrte ihn, und juſt in dieſer Zeit der Noth fing Herr Trooſt einmal des Morgens gegen ihn an, und ſagte: „Sie haben, glaub ich, kein Geld mitgebracht; ich will Ihnen ſechs Carolin leihen, bis Sie Wechſel bekommen werden.“ Obgleich Stilling ſo wenig von Wechſel als von
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Sein Platz war der oberſte, und waͤre es auch hinter der Thuͤre
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Leſer moͤgen ſich den gruͤndlichſten und empfindſamſten Philo-
ſophen, mit dem aͤchteſten Chriſtenthum verpaart, denken, ſo
denken ſie ſich einen Salzmann. Goͤthe und er waren Her-
zensfreunde.
Herr Trooſt ſagte leiſe zu Stilling: Hier iſts am beſten,
daß man vierzehn Tage ſchweigt. Letzterer erkannte dieſe Wahr-
heit, ſie ſchwiegen alſo, und es kehrte ſich auch Niemand ſon-
derlich an ſie, außer daß Goͤthe zuweilen ſeine Augen heruͤber-
waͤlzte; er ſaß gegen Stilling uͤber, und er hatte die Regie-
rung am Tiſch, ohne daß er ſie ſuchte.
Herr Trooſt war Stilling ſehr nuͤtzlich, er kannte die
Welt beſſer, und daher konnte er ihn ſicher durchfuͤhren: Ohne
ihn wuͤrde Stilling hundertmal angeſtoßen haben. So guͤtig
war der himmliſche Vater gegen ihn. Er verſorgte ihn ſogar
mit einem Hofmeiſter, der ihm nicht allein mit Rath und That
beiſtehen, ſondern auch von dem er Anleitung und Fingerzeig in
ſeinen Studien haben konnte. Denn gewiß, Herr Trooſt war
ein geſchickter und erfahrner Wundarzt.
Nun hatte ſich Stilling voͤllig eingerichtet; er lief ſeinen
Lauf heldenmuͤthig fort; er war jetzt in ſeinem Element; er
verſchlang alles, was er hoͤrte, ſchrieb aber weder Collegia noch
ſonſt Etwas ab, ſondern trug Alles zuſammen in allgemeine
Begriffe uͤber. Selig iſt der Mann, der dieſe Methode wohl zu
uͤben weiß! aber es iſt nicht einem Jeden gegeben. Seine bei-
den Profeſſoren, die beruͤhmten Herren Spielmann und Lob-
ſtein bemerkten ihn bald, und gewannen ihn lieb, beſonders
auch darum, weil er ſich ernſt, maͤnnlich und eingezogen auffuͤhrte.
Allein ſeine 33 Reichsthaler waren nun wieder auf einen
Einzigen herunter geſchmolzen, deßwegen begann er wiederum
herzlich zu beten. Gott erhoͤrte ihn, und juſt in dieſer Zeit der
Noth fing Herr Trooſt einmal des Morgens gegen ihn an,
und ſagte: „Sie haben, glaub ich, kein Geld mitgebracht; ich
will Ihnen ſechs Carolin leihen, bis Sie Wechſel bekommen
werden.“ Obgleich Stilling ſo wenig von Wechſel als von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/279>, abgerufen am 22.11.2024.
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