gesellschaft war. Hier veraccordirte er sich nebst Stillingen auf den Monat. Dieser aber erkundigte sich nach den Lehrstunden, und nahm deren so viel an, als nur gehalten wurden. Die Naturlehre, die Scheidekunst und die Zergliederung waren seine Hauptstücke, die er alsofort vornahm.
Des andern Mittags gingen sie zum Erstenmal ins Kost- haus zu Tische. Sie waren zuerst da, man wies ihnen ihren Ort an. Es speisten ungefähr zwanzig Personen an diesem Tisch, und sie sahen einen nach den Andern hereintreten. Be- sonders kam einer mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn und schönem Wuchs, muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn Troosts und Stillings Augen auf sich; Ersterer sagte gegen Letztern: das muß ein vortrefflicher Mann seyn. Stil- ling bejahete das, doch glaubte er, daß sie Beide viel Ver- druß von ihm haben würden, weil er ihn für einen wilden Kameraden ansah. Dieses schloß er aus dem freien Wesen, das sich der Student herausnahm; allein Stilling irrte sehr. Sie wurde indessen gewahr, daß man diesen ausge- zeichneten Menschen "Herr Göthe" nannte.
Nun fanden sich noch zwei Mediziner, einer aus Wien, der andere ein Elsäßer. Der erstere hieß Waldberg. Er zeigte in seinem ganzen Wesen ein Genie, aber zugleich ein Herz voller Spott gegen die Religion, und voller Ausgelassenheit in seinen Sitten. Der Elsäßer hieß Melzer, und war ein feines Männchen, er hatte eine gute Seele, nur Schade! das er etwas reizbar und mißtrauisch war. Dieser hatte seinen Sitz neben Stilling, und war bald Herzensfreund mit ihm. Nun kam auch ein Theologe, der hieß Leose, einer von den vortrefflichen Menschen, Göthens Liebling, und das ver- diente er auch mit Recht, denn er war nicht nur ein edles Genie und ein guter Theologe, sondern er hatte auch die sel- tene Gabe, mit trockener Miene die treffendste Satyre in Gegenwart des Lasters hinzuwerfen. Seine Laune war über- aus edel. Noch Einer fand sich ein, der sich neben Göthe hinsetzte, von diesem will ich nichts mehr sagen, als daß er -- ein guter Rabe mit Pfauenfedern war.
Noch ein vortrefflicher Straßburger saß da zu Tische.
geſellſchaft war. Hier veraccordirte er ſich nebſt Stillingen auf den Monat. Dieſer aber erkundigte ſich nach den Lehrſtunden, und nahm deren ſo viel an, als nur gehalten wurden. Die Naturlehre, die Scheidekunſt und die Zergliederung waren ſeine Hauptſtuͤcke, die er alſofort vornahm.
Des andern Mittags gingen ſie zum Erſtenmal ins Koſt- haus zu Tiſche. Sie waren zuerſt da, man wies ihnen ihren Ort an. Es ſpeisten ungefaͤhr zwanzig Perſonen an dieſem Tiſch, und ſie ſahen einen nach den Andern hereintreten. Be- ſonders kam einer mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn und ſchoͤnem Wuchs, muthig ins Zimmer. Dieſer zog Herrn Trooſts und Stillings Augen auf ſich; Erſterer ſagte gegen Letztern: das muß ein vortrefflicher Mann ſeyn. Stil- ling bejahete das, doch glaubte er, daß ſie Beide viel Ver- druß von ihm haben wuͤrden, weil er ihn fuͤr einen wilden Kameraden anſah. Dieſes ſchloß er aus dem freien Weſen, das ſich der Student herausnahm; allein Stilling irrte ſehr. Sie wurde indeſſen gewahr, daß man dieſen ausge- zeichneten Menſchen „Herr Goͤthe“ nannte.
Nun fanden ſich noch zwei Mediziner, einer aus Wien, der andere ein Elſaͤßer. Der erſtere hieß Waldberg. Er zeigte in ſeinem ganzen Weſen ein Genie, aber zugleich ein Herz voller Spott gegen die Religion, und voller Ausgelaſſenheit in ſeinen Sitten. Der Elſaͤßer hieß Melzer, und war ein feines Maͤnnchen, er hatte eine gute Seele, nur Schade! das er etwas reizbar und mißtrauiſch war. Dieſer hatte ſeinen Sitz neben Stilling, und war bald Herzensfreund mit ihm. Nun kam auch ein Theologe, der hieß Leoſe, einer von den vortrefflichen Menſchen, Goͤthens Liebling, und das ver- diente er auch mit Recht, denn er war nicht nur ein edles Genie und ein guter Theologe, ſondern er hatte auch die ſel- tene Gabe, mit trockener Miene die treffendſte Satyre in Gegenwart des Laſters hinzuwerfen. Seine Laune war uͤber- aus edel. Noch Einer fand ſich ein, der ſich neben Goͤthe hinſetzte, von dieſem will ich nichts mehr ſagen, als daß er — ein guter Rabe mit Pfauenfedern war.
Noch ein vortrefflicher Straßburger ſaß da zu Tiſche.
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geſellſchaft war. Hier veraccordirte er ſich nebſt Stillingen auf
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Naturlehre, die Scheidekunſt und die Zergliederung waren
ſeine Hauptſtuͤcke, die er alſofort vornahm.
Des andern Mittags gingen ſie zum Erſtenmal ins Koſt-
haus zu Tiſche. Sie waren zuerſt da, man wies ihnen ihren
Ort an. Es ſpeisten ungefaͤhr zwanzig Perſonen an dieſem
Tiſch, und ſie ſahen einen nach den Andern hereintreten. Be-
ſonders kam einer mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn
und ſchoͤnem Wuchs, muthig ins Zimmer. Dieſer zog Herrn
Trooſts und Stillings Augen auf ſich; Erſterer ſagte
gegen Letztern: das muß ein vortrefflicher Mann ſeyn. Stil-
ling bejahete das, doch glaubte er, daß ſie Beide viel Ver-
druß von ihm haben wuͤrden, weil er ihn fuͤr einen wilden
Kameraden anſah. Dieſes ſchloß er aus dem freien Weſen,
das ſich der Student herausnahm; allein Stilling irrte
ſehr. Sie wurde indeſſen gewahr, daß man dieſen ausge-
zeichneten Menſchen „Herr Goͤthe“ nannte.
Nun fanden ſich noch zwei Mediziner, einer aus Wien,
der andere ein Elſaͤßer. Der erſtere hieß Waldberg. Er zeigte
in ſeinem ganzen Weſen ein Genie, aber zugleich ein Herz
voller Spott gegen die Religion, und voller Ausgelaſſenheit
in ſeinen Sitten. Der Elſaͤßer hieß Melzer, und war ein
feines Maͤnnchen, er hatte eine gute Seele, nur Schade! das
er etwas reizbar und mißtrauiſch war. Dieſer hatte ſeinen
Sitz neben Stilling, und war bald Herzensfreund mit ihm.
Nun kam auch ein Theologe, der hieß Leoſe, einer von den
vortrefflichen Menſchen, Goͤthens Liebling, und das ver-
diente er auch mit Recht, denn er war nicht nur ein edles
Genie und ein guter Theologe, ſondern er hatte auch die ſel-
tene Gabe, mit trockener Miene die treffendſte Satyre in
Gegenwart des Laſters hinzuwerfen. Seine Laune war uͤber-
aus edel. Noch Einer fand ſich ein, der ſich neben Goͤthe
hinſetzte, von dieſem will ich nichts mehr ſagen, als daß er
— ein guter Rabe mit Pfauenfedern war.
Noch ein vortrefflicher Straßburger ſaß da zu Tiſche.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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