Nun ist es aber ewig wahr, daß Er meine gegenwärtige Lage ganz und allein, ohne mein Zuthun so geordnet hat.
"Folglich ist es auch ewig wahr, daß er alles mit mir herrlich ausführen werde."
Dieser Schluß machte ihn öfters so muthig, daß er lächelnd gegen seine Freunde zu Rasenheim sagte: "Mich sollte es doch verlangen, wo mein Vater im Himmel Geld für mich zusammen treiben wird!" Indessen entdeckte er keinem einzi- gen Menschen weiter seine eigentlichen. Umstände, besonders Herrn Troost nicht, denn dieser zärtliche Freund würde groß Bedenken getragen haben, ihn mitzunehmen; oder er würde wenigstens doch herzliche Sorge für ihn ausgestanden haben.
Endlich rückte der Tag zur Abreise heran, und Christine schwamm in Thränen und wurde zuweilen ohnmächtig, und das ganze Haus trauerte.
Am letzten Abend saßen Herr Friedenberg und Stil- ling allein zusammen. Ersterer konnte sich des Weinens nicht enthalten; mit Thränen sagte er zu Stillingen: Lieber Sohn! das Herz ist mir sehr schwer um Euch, wie gern wollte ich euch mit Geld versehen, wenn ich nur könnte, ich habe meine Handlung und Fabrik mit nichts angefangen, nunmehr bin ich eben so weit, daß ich mir helfen kann; wenn ich Euch aber wollte studieren lassen, so würde ich mich ganz zurück setzen. Und dazu habe ich zehen Kinder, was ich dem Ersten thue, das bin ich hernach Allen schuldig.
Hören Sie, Herr Schwiegervater! antwortete Stilling mit frohem Muth und fröhlichem Gesicht: ich begehre keinen Hel- ler von Ihnen, glauben Sie nur gewiß: Derjenige, der in der Wüste so viel tausend Menschen mit wenig Brod sättigen konnte, der lebt noch, dem übergebe ich mich. Er wird ge- wiß Rath schaffen. Sorgen Sie nur nicht, "der Herr wird's versehen!"
Nun hatte er seine Bücher, Kleider und Geräthe voraus nach Frankfurt geschickt; und des andern Morgens, nach- dem er mit seinen Freunden gefrühstückt hatte, lief er hinauf nach der Kammer seiner Christine: sie saß und weinte. Er ergriff sie in seine Arme, küßte sie und sagte: "Lebe wohl,
Nun iſt es aber ewig wahr, daß Er meine gegenwaͤrtige Lage ganz und allein, ohne mein Zuthun ſo geordnet hat.
„Folglich iſt es auch ewig wahr, daß er alles mit mir herrlich ausfuͤhren werde.“
Dieſer Schluß machte ihn oͤfters ſo muthig, daß er laͤchelnd gegen ſeine Freunde zu Raſenheim ſagte: „Mich ſollte es doch verlangen, wo mein Vater im Himmel Geld fuͤr mich zuſammen treiben wird!“ Indeſſen entdeckte er keinem einzi- gen Menſchen weiter ſeine eigentlichen. Umſtaͤnde, beſonders Herrn Trooſt nicht, denn dieſer zaͤrtliche Freund wuͤrde groß Bedenken getragen haben, ihn mitzunehmen; oder er wuͤrde wenigſtens doch herzliche Sorge fuͤr ihn ausgeſtanden haben.
Endlich ruͤckte der Tag zur Abreiſe heran, und Chriſtine ſchwamm in Thraͤnen und wurde zuweilen ohnmaͤchtig, und das ganze Haus trauerte.
Am letzten Abend ſaßen Herr Friedenberg und Stil- ling allein zuſammen. Erſterer konnte ſich des Weinens nicht enthalten; mit Thraͤnen ſagte er zu Stillingen: Lieber Sohn! das Herz iſt mir ſehr ſchwer um Euch, wie gern wollte ich euch mit Geld verſehen, wenn ich nur koͤnnte, ich habe meine Handlung und Fabrik mit nichts angefangen, nunmehr bin ich eben ſo weit, daß ich mir helfen kann; wenn ich Euch aber wollte ſtudieren laſſen, ſo wuͤrde ich mich ganz zuruͤck ſetzen. Und dazu habe ich zehen Kinder, was ich dem Erſten thue, das bin ich hernach Allen ſchuldig.
Hoͤren Sie, Herr Schwiegervater! antwortete Stilling mit frohem Muth und froͤhlichem Geſicht: ich begehre keinen Hel- ler von Ihnen, glauben Sie nur gewiß: Derjenige, der in der Wuͤſte ſo viel tauſend Menſchen mit wenig Brod ſaͤttigen konnte, der lebt noch, dem uͤbergebe ich mich. Er wird ge- wiß Rath ſchaffen. Sorgen Sie nur nicht, „der Herr wird’s verſehen!“
Nun hatte er ſeine Buͤcher, Kleider und Geraͤthe voraus nach Frankfurt geſchickt; und des andern Morgens, nach- dem er mit ſeinen Freunden gefruͤhſtuͤckt hatte, lief er hinauf nach der Kammer ſeiner Chriſtine: ſie ſaß und weinte. Er ergriff ſie in ſeine Arme, kuͤßte ſie und ſagte: „Lebe wohl,
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Nun iſt es aber ewig wahr, daß Er meine gegenwaͤrtige Lage
ganz und allein, ohne mein Zuthun ſo geordnet hat.
„Folglich iſt es auch ewig wahr, daß er alles mit mir
herrlich ausfuͤhren werde.“
Dieſer Schluß machte ihn oͤfters ſo muthig, daß er laͤchelnd
gegen ſeine Freunde zu Raſenheim ſagte: „Mich ſollte es
doch verlangen, wo mein Vater im Himmel Geld fuͤr mich
zuſammen treiben wird!“ Indeſſen entdeckte er keinem einzi-
gen Menſchen weiter ſeine eigentlichen. Umſtaͤnde, beſonders
Herrn Trooſt nicht, denn dieſer zaͤrtliche Freund wuͤrde groß
Bedenken getragen haben, ihn mitzunehmen; oder er wuͤrde
wenigſtens doch herzliche Sorge fuͤr ihn ausgeſtanden haben.
Endlich ruͤckte der Tag zur Abreiſe heran, und Chriſtine
ſchwamm in Thraͤnen und wurde zuweilen ohnmaͤchtig, und
das ganze Haus trauerte.
Am letzten Abend ſaßen Herr Friedenberg und Stil-
ling allein zuſammen. Erſterer konnte ſich des Weinens nicht
enthalten; mit Thraͤnen ſagte er zu Stillingen: Lieber Sohn!
das Herz iſt mir ſehr ſchwer um Euch, wie gern wollte ich
euch mit Geld verſehen, wenn ich nur koͤnnte, ich habe meine
Handlung und Fabrik mit nichts angefangen, nunmehr bin
ich eben ſo weit, daß ich mir helfen kann; wenn ich Euch
aber wollte ſtudieren laſſen, ſo wuͤrde ich mich ganz zuruͤck
ſetzen. Und dazu habe ich zehen Kinder, was ich dem Erſten
thue, das bin ich hernach Allen ſchuldig.
Hoͤren Sie, Herr Schwiegervater! antwortete Stilling mit
frohem Muth und froͤhlichem Geſicht: ich begehre keinen Hel-
ler von Ihnen, glauben Sie nur gewiß: Derjenige, der in
der Wuͤſte ſo viel tauſend Menſchen mit wenig Brod ſaͤttigen
konnte, der lebt noch, dem uͤbergebe ich mich. Er wird ge-
wiß Rath ſchaffen. Sorgen Sie nur nicht, „der Herr wird’s
verſehen!“
Nun hatte er ſeine Buͤcher, Kleider und Geraͤthe voraus
nach Frankfurt geſchickt; und des andern Morgens, nach-
dem er mit ſeinen Freunden gefruͤhſtuͤckt hatte, lief er hinauf
nach der Kammer ſeiner Chriſtine: ſie ſaß und weinte. Er
ergriff ſie in ſeine Arme, kuͤßte ſie und ſagte: „Lebe wohl,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/274>, abgerufen am 22.11.2024.
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