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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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aber nicht sagen darf, bis zur einer andern Zeit." Bei diesen
Worten wurde Stilling ganz starr, er fühlte vom Scheitel
bis unter die Fußsohle eine noch nie empfundene Erschütterung,
und auf einmal fuhr ihm ein Strahl durch die Seele wie ein
Blitz. Es wurde ihm klar in seinem Gemüth, was jetzt der
Wille Gottes sey, und was die Worte der kranken Jungfer be-
deuteten. Mit Thränen in den Augen stand er auf, bückte sich
in's Bett, und sagte: "Ich weiß es, liebe Jungfer, was sie
für einen Eindruck bekommen hat, und was der Wille Gottes
ist." Sie fuhr auf, reckte ihre Hand heraus, und versetzte:
"Wissen Sie's?" -- Damit schlug Stilling seine rechte
Hand in die ihrige, und sprach: "Gott im Himmel segne uns!
Wir sind auf ewig verbunden!" -- Sie antwortete: "Ja!
wir sind's auf ewig!" --

Alsbald kam der Bruder, und brachte den Kaffee, setzte ihn
hin, und alle Drei tranken zusammen. Die Kranke war ganz
ruhig wie vorher; sie war weder freudiger noch trauriger, so,
als wenn nichts Sonderliches vorgefallen wäre. Stilling
aber war wie ein Trunkener, er wußte nicht, ob er gewacht oder
geträumt hatte, er konnte sich über diesen unerhörten Vorfall
weder besinnen noch nachdenken. Indessen fühlte er doch eine
unbeschreiblich zärtliche Neigung in seiner Seele gegen die theure
Kranke, so daß er mit Freuden sein Leben für sie würde auf-
opfern können, wenn's nöthig wäre, und diese reine Flamme
war so, ohne angezündet zu werden, wie ein Feuer vom Him-
mel auf sein Herz gefallen; denn gewiß, seine Verlobte hatte
jetzt weder Reize, noch Willen zu reizen, und er war in einer
solchen Lage, wo ihm vor dem Gedanken zu heirathen schauderte.
Doch, wie gesagt: er war betäubt, und konnte über seinen Zu-
stand nicht eher nachdenken, bis des andern Morgens, da er wie-
der zurück nach Hause reiste. Er nahm vorher zärtlich Ab-
schied von seiner Geliebten, bei welcher Gelegenheit er seine Furcht
äußerte; allein sie war ganz getrost bei der Sache, und ver-
setzte: "Gott hat gewiß die Sache angefangen, Er wird sie
auch gewiß vollenden!"

Unterwegs fing nun Stilling an, vernünftig über seinen
Zustand nachzudenken, die ganze Sache kam ihm entsetzlich vor.

aber nicht ſagen darf, bis zur einer andern Zeit.“ Bei dieſen
Worten wurde Stilling ganz ſtarr, er fuͤhlte vom Scheitel
bis unter die Fußſohle eine noch nie empfundene Erſchuͤtterung,
und auf einmal fuhr ihm ein Strahl durch die Seele wie ein
Blitz. Es wurde ihm klar in ſeinem Gemuͤth, was jetzt der
Wille Gottes ſey, und was die Worte der kranken Jungfer be-
deuteten. Mit Thraͤnen in den Augen ſtand er auf, buͤckte ſich
in’s Bett, und ſagte: „Ich weiß es, liebe Jungfer, was ſie
fuͤr einen Eindruck bekommen hat, und was der Wille Gottes
iſt.“ Sie fuhr auf, reckte ihre Hand heraus, und verſetzte:
„Wiſſen Sie’s?“ — Damit ſchlug Stilling ſeine rechte
Hand in die ihrige, und ſprach: „Gott im Himmel ſegne uns!
Wir ſind auf ewig verbunden!“ — Sie antwortete: „Ja!
wir ſind’s auf ewig!“ —

Alsbald kam der Bruder, und brachte den Kaffee, ſetzte ihn
hin, und alle Drei tranken zuſammen. Die Kranke war ganz
ruhig wie vorher; ſie war weder freudiger noch trauriger, ſo,
als wenn nichts Sonderliches vorgefallen waͤre. Stilling
aber war wie ein Trunkener, er wußte nicht, ob er gewacht oder
getraͤumt hatte, er konnte ſich uͤber dieſen unerhoͤrten Vorfall
weder beſinnen noch nachdenken. Indeſſen fuͤhlte er doch eine
unbeſchreiblich zaͤrtliche Neigung in ſeiner Seele gegen die theure
Kranke, ſo daß er mit Freuden ſein Leben fuͤr ſie wuͤrde auf-
opfern koͤnnen, wenn’s noͤthig waͤre, und dieſe reine Flamme
war ſo, ohne angezuͤndet zu werden, wie ein Feuer vom Him-
mel auf ſein Herz gefallen; denn gewiß, ſeine Verlobte hatte
jetzt weder Reize, noch Willen zu reizen, und er war in einer
ſolchen Lage, wo ihm vor dem Gedanken zu heirathen ſchauderte.
Doch, wie geſagt: er war betaͤubt, und konnte uͤber ſeinen Zu-
ſtand nicht eher nachdenken, bis des andern Morgens, da er wie-
der zuruͤck nach Hauſe reiste. Er nahm vorher zaͤrtlich Ab-
ſchied von ſeiner Geliebten, bei welcher Gelegenheit er ſeine Furcht
aͤußerte; allein ſie war ganz getroſt bei der Sache, und ver-
ſetzte: „Gott hat gewiß die Sache angefangen, Er wird ſie
auch gewiß vollenden!“

Unterwegs fing nun Stilling an, vernuͤnftig uͤber ſeinen
Zuſtand nachzudenken, die ganze Sache kam ihm entſetzlich vor.

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[258/0266] aber nicht ſagen darf, bis zur einer andern Zeit.“ Bei dieſen Worten wurde Stilling ganz ſtarr, er fuͤhlte vom Scheitel bis unter die Fußſohle eine noch nie empfundene Erſchuͤtterung, und auf einmal fuhr ihm ein Strahl durch die Seele wie ein Blitz. Es wurde ihm klar in ſeinem Gemuͤth, was jetzt der Wille Gottes ſey, und was die Worte der kranken Jungfer be- deuteten. Mit Thraͤnen in den Augen ſtand er auf, buͤckte ſich in’s Bett, und ſagte: „Ich weiß es, liebe Jungfer, was ſie fuͤr einen Eindruck bekommen hat, und was der Wille Gottes iſt.“ Sie fuhr auf, reckte ihre Hand heraus, und verſetzte: „Wiſſen Sie’s?“ — Damit ſchlug Stilling ſeine rechte Hand in die ihrige, und ſprach: „Gott im Himmel ſegne uns! Wir ſind auf ewig verbunden!“ — Sie antwortete: „Ja! wir ſind’s auf ewig!“ — Alsbald kam der Bruder, und brachte den Kaffee, ſetzte ihn hin, und alle Drei tranken zuſammen. Die Kranke war ganz ruhig wie vorher; ſie war weder freudiger noch trauriger, ſo, als wenn nichts Sonderliches vorgefallen waͤre. Stilling aber war wie ein Trunkener, er wußte nicht, ob er gewacht oder getraͤumt hatte, er konnte ſich uͤber dieſen unerhoͤrten Vorfall weder beſinnen noch nachdenken. Indeſſen fuͤhlte er doch eine unbeſchreiblich zaͤrtliche Neigung in ſeiner Seele gegen die theure Kranke, ſo daß er mit Freuden ſein Leben fuͤr ſie wuͤrde auf- opfern koͤnnen, wenn’s noͤthig waͤre, und dieſe reine Flamme war ſo, ohne angezuͤndet zu werden, wie ein Feuer vom Him- mel auf ſein Herz gefallen; denn gewiß, ſeine Verlobte hatte jetzt weder Reize, noch Willen zu reizen, und er war in einer ſolchen Lage, wo ihm vor dem Gedanken zu heirathen ſchauderte. Doch, wie geſagt: er war betaͤubt, und konnte uͤber ſeinen Zu- ſtand nicht eher nachdenken, bis des andern Morgens, da er wie- der zuruͤck nach Hauſe reiste. Er nahm vorher zaͤrtlich Ab- ſchied von ſeiner Geliebten, bei welcher Gelegenheit er ſeine Furcht aͤußerte; allein ſie war ganz getroſt bei der Sache, und ver- ſetzte: „Gott hat gewiß die Sache angefangen, Er wird ſie auch gewiß vollenden!“ Unterwegs fing nun Stilling an, vernuͤnftig uͤber ſeinen Zuſtand nachzudenken, die ganze Sache kam ihm entſetzlich vor.

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/266>, abgerufen am 24.11.2024.