Stillingen ungemeine Freude. Herr Spanier konnte in- dessen nicht begreifen, wie ein Kaufmann dazu komme, den Bedienten eines andern Kaufmanns zu Gevatter zu bitten; allein Stillingen wunderte das nicht, denn Herr Frie- denberg und er wußten von keinem Unterschied des Stan- des mehr, sie waren Brüder.
Zur bestimmten Zeit ging also Stilling hin, um der Taufe beizuwohnen. Nun hatte aber Herr Friedenberg eine Tochter, welche die älteste unter seinen Kindern, und da- mals im ein und zwanzigsten Jahr war. Dieses Mädchen hatte von ihrer Jugend an die Stille und Eingezogenheit ge- liebt, und deßwegen war sie blöde gegen alle fremde Leute, besonders wenn sie etwas vornehmer gekleidet waren, als sie gewohnt war. Ob dieser Umstand zwar in Ansehung Stil- lings nicht im Wege stand, so vermied sie ihn doch, so viel sie konnte, so daß er sie wenig zu sehen bekam. Ihre ganze Beschäftigung hatte von Jugend auf in anständigen Hausge- schäften, und dem nöthigen Unterricht in der christlichen Re- ligion nach dem evangelisch-lutherischen Bekenntniß, nebst Schreiben und Lesen bestanden; mit Einem Worte, sie war ein niedliches, artiges, junges Mädchen, die eben nirgends in der Welt gewesen war, um nach der Mode leben zu können, deren gutes Herz aber alle diese, einem rechtschaffenen Mann unbedeutende Kleinigkeiten reichlich ersetzte.
Stilling hatte diese Jungfer vor den andern Kindern seines Freundes nicht vorzüglich bemerkt, er fand in sich kei- nen Trieb dazu, und er durfte auch an so Etwas nicht den- ken, weil er noch vorher weit aussehende Dinge aus dem Wege zu räumen hatte.
Dieses liebenswürdige Mädchen hieß Christine. Sie war seit einiger Zeit sehr krank gewesen, und die Aerzte zweifelten Alle an ihrem Aufkommen. Wenn nun Stilling nach Ra- senheim kam, so fragte er nach ihr, als nach der Tochter seines Freundes; da ihm aber niemand Anlaß gab, sie auf ihrem Zimmer zu besuchen, so dachte er auch nicht daran.
Diesen Abend aber, nachdem die Kindtaufe geendigt war, stopfte Herr Friedenberg seine lange Pfeife, und fragte
Stillingen ungemeine Freude. Herr Spanier konnte in- deſſen nicht begreifen, wie ein Kaufmann dazu komme, den Bedienten eines andern Kaufmanns zu Gevatter zu bitten; allein Stillingen wunderte das nicht, denn Herr Frie- denberg und er wußten von keinem Unterſchied des Stan- des mehr, ſie waren Bruͤder.
Zur beſtimmten Zeit ging alſo Stilling hin, um der Taufe beizuwohnen. Nun hatte aber Herr Friedenberg eine Tochter, welche die aͤlteſte unter ſeinen Kindern, und da- mals im ein und zwanzigſten Jahr war. Dieſes Maͤdchen hatte von ihrer Jugend an die Stille und Eingezogenheit ge- liebt, und deßwegen war ſie bloͤde gegen alle fremde Leute, beſonders wenn ſie etwas vornehmer gekleidet waren, als ſie gewohnt war. Ob dieſer Umſtand zwar in Anſehung Stil- lings nicht im Wege ſtand, ſo vermied ſie ihn doch, ſo viel ſie konnte, ſo daß er ſie wenig zu ſehen bekam. Ihre ganze Beſchaͤftigung hatte von Jugend auf in anſtaͤndigen Hausge- ſchaͤften, und dem noͤthigen Unterricht in der chriſtlichen Re- ligion nach dem evangeliſch-lutheriſchen Bekenntniß, nebſt Schreiben und Leſen beſtanden; mit Einem Worte, ſie war ein niedliches, artiges, junges Maͤdchen, die eben nirgends in der Welt geweſen war, um nach der Mode leben zu koͤnnen, deren gutes Herz aber alle dieſe, einem rechtſchaffenen Mann unbedeutende Kleinigkeiten reichlich erſetzte.
Stilling hatte dieſe Jungfer vor den andern Kindern ſeines Freundes nicht vorzuͤglich bemerkt, er fand in ſich kei- nen Trieb dazu, und er durfte auch an ſo Etwas nicht den- ken, weil er noch vorher weit ausſehende Dinge aus dem Wege zu raͤumen hatte.
Dieſes liebenswuͤrdige Maͤdchen hieß Chriſtine. Sie war ſeit einiger Zeit ſehr krank geweſen, und die Aerzte zweifelten Alle an ihrem Aufkommen. Wenn nun Stilling nach Ra- ſenheim kam, ſo fragte er nach ihr, als nach der Tochter ſeines Freundes; da ihm aber niemand Anlaß gab, ſie auf ihrem Zimmer zu beſuchen, ſo dachte er auch nicht daran.
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Stillingen ungemeine Freude. Herr Spanier konnte in-
deſſen nicht begreifen, wie ein Kaufmann dazu komme, den
Bedienten eines andern Kaufmanns zu Gevatter zu bitten;
allein Stillingen wunderte das nicht, denn Herr Frie-
denberg und er wußten von keinem Unterſchied des Stan-
des mehr, ſie waren Bruͤder.
Zur beſtimmten Zeit ging alſo Stilling hin, um der
Taufe beizuwohnen. Nun hatte aber Herr Friedenberg
eine Tochter, welche die aͤlteſte unter ſeinen Kindern, und da-
mals im ein und zwanzigſten Jahr war. Dieſes Maͤdchen
hatte von ihrer Jugend an die Stille und Eingezogenheit ge-
liebt, und deßwegen war ſie bloͤde gegen alle fremde Leute,
beſonders wenn ſie etwas vornehmer gekleidet waren, als ſie
gewohnt war. Ob dieſer Umſtand zwar in Anſehung Stil-
lings nicht im Wege ſtand, ſo vermied ſie ihn doch, ſo viel
ſie konnte, ſo daß er ſie wenig zu ſehen bekam. Ihre ganze
Beſchaͤftigung hatte von Jugend auf in anſtaͤndigen Hausge-
ſchaͤften, und dem noͤthigen Unterricht in der chriſtlichen Re-
ligion nach dem evangeliſch-lutheriſchen Bekenntniß, nebſt
Schreiben und Leſen beſtanden; mit Einem Worte, ſie war
ein niedliches, artiges, junges Maͤdchen, die eben nirgends in
der Welt geweſen war, um nach der Mode leben zu koͤnnen,
deren gutes Herz aber alle dieſe, einem rechtſchaffenen Mann
unbedeutende Kleinigkeiten reichlich erſetzte.
Stilling hatte dieſe Jungfer vor den andern Kindern
ſeines Freundes nicht vorzuͤglich bemerkt, er fand in ſich kei-
nen Trieb dazu, und er durfte auch an ſo Etwas nicht den-
ken, weil er noch vorher weit ausſehende Dinge aus dem
Wege zu raͤumen hatte.
Dieſes liebenswuͤrdige Maͤdchen hieß Chriſtine. Sie war
ſeit einiger Zeit ſehr krank geweſen, und die Aerzte zweifelten
Alle an ihrem Aufkommen. Wenn nun Stilling nach Ra-
ſenheim kam, ſo fragte er nach ihr, als nach der Tochter
ſeines Freundes; da ihm aber niemand Anlaß gab, ſie auf
ihrem Zimmer zu beſuchen, ſo dachte er auch nicht daran.
Dieſen Abend aber, nachdem die Kindtaufe geendigt war,
ſtopfte Herr Friedenberg ſeine lange Pfeife, und fragte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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