Grunde zu studiren; er zweifelte auch nicht, der Gott, der ihn dazu berufen habe, der würde ihm auch Mittel und Wege an die Hand geben, daß er's ausführen könne. Hiermit war aber Spanier nicht zufrieden, und deßwegen schwiegen sie Beide endlich ganz still von der Sache.
Im Herbst des Jahres 1769, als Stilling eben sein dreißigstes Jahr angetreten hatte, und sechs Jahre bei Herrn Spanier gewesen war, bekam er von einem Kaufmann zu Rasenheim, eine Stunde diesseits Schönenthal, der sich Friedenberg schrieb, einen Brief, worin ihn dieser Mann ersuchte, so bald als möglich nach Rasenheim zu kom- men, weil einer seiner Nachbarn einen Sohn habe, der seit einigen Jahren mit bösen Augen behaftet gewesen, und Ge- fahr laufe, blind zu werden. Herr Spanier trieb ihn an, alsofort zu gehen. Stilling that das, und nach drei Stun- den kam er Vormittags bei Herrn Friedenberg zu Ra- senheim an. Dieser Mann bewohnte ein schönes niedliches Haus, welches er vor ganz kurzer Zeit hatte bauen lassen. Die Gegend, wo er wohnte, war überaus angenehm. Sobald Stilling in das Haus trat, und überall Ordnung, Rein- lichkeit und Zierde ohne Pracht bemerkte, so freute er sich, und fühlte, daß er da würde wohnen können. Als er aber in die Stube trat, und Herrn Friedenberg selber nebst seiner Gattin und neun schönen wohlgewachsenen Kindern so der Reihe nach sahe, wie sie Alle zusammen nett und zierlich, aber ohne Pracht gekleidet, da gingen und standen, wie alle Gesichter Wahrheit, Rechtschaffenheit und Heiterkeit um sich strahlten, so war er ganz entzückt, und nun wünschte er wirk- lich, ewig bei diesen Leuten zu wohnen. Da war kein Trei- ben, kein Ungestümm, sondern eitel wirksame Thätigkeit aus Harmonie und gutem Willen.
Herr Friedenberg bot ihm freundlich die Hand, und nöthigte ihn zum Mittagessen. Stilling nahm das Auer- bieten mit Freuden an. So wie er mit diesen Leuten redete, so entdeckte sich alsofort eine unaussprechliche Uebereinstimmung der Geister; alle liebten Stilling in dem Augenblick, und er liebte auch sie Alle über die Maßen. Sein ganzes Gespräch
Grunde zu ſtudiren; er zweifelte auch nicht, der Gott, der ihn dazu berufen habe, der wuͤrde ihm auch Mittel und Wege an die Hand geben, daß er’s ausfuͤhren koͤnne. Hiermit war aber Spanier nicht zufrieden, und deßwegen ſchwiegen ſie Beide endlich ganz ſtill von der Sache.
Im Herbſt des Jahres 1769, als Stilling eben ſein dreißigſtes Jahr angetreten hatte, und ſechs Jahre bei Herrn Spanier geweſen war, bekam er von einem Kaufmann zu Raſenheim, eine Stunde dieſſeits Schoͤnenthal, der ſich Friedenberg ſchrieb, einen Brief, worin ihn dieſer Mann erſuchte, ſo bald als moͤglich nach Raſenheim zu kom- men, weil einer ſeiner Nachbarn einen Sohn habe, der ſeit einigen Jahren mit boͤſen Augen behaftet geweſen, und Ge- fahr laufe, blind zu werden. Herr Spanier trieb ihn an, alſofort zu gehen. Stilling that das, und nach drei Stun- den kam er Vormittags bei Herrn Friedenberg zu Ra- ſenheim an. Dieſer Mann bewohnte ein ſchoͤnes niedliches Haus, welches er vor ganz kurzer Zeit hatte bauen laſſen. Die Gegend, wo er wohnte, war uͤberaus angenehm. Sobald Stilling in das Haus trat, und uͤberall Ordnung, Rein- lichkeit und Zierde ohne Pracht bemerkte, ſo freute er ſich, und fuͤhlte, daß er da wuͤrde wohnen koͤnnen. Als er aber in die Stube trat, und Herrn Friedenberg ſelber nebſt ſeiner Gattin und neun ſchoͤnen wohlgewachſenen Kindern ſo der Reihe nach ſahe, wie ſie Alle zuſammen nett und zierlich, aber ohne Pracht gekleidet, da gingen und ſtanden, wie alle Geſichter Wahrheit, Rechtſchaffenheit und Heiterkeit um ſich ſtrahlten, ſo war er ganz entzuͤckt, und nun wuͤnſchte er wirk- lich, ewig bei dieſen Leuten zu wohnen. Da war kein Trei- ben, kein Ungeſtuͤmm, ſondern eitel wirkſame Thaͤtigkeit aus Harmonie und gutem Willen.
Herr Friedenberg bot ihm freundlich die Hand, und noͤthigte ihn zum Mittageſſen. Stilling nahm das Auer- bieten mit Freuden an. So wie er mit dieſen Leuten redete, ſo entdeckte ſich alſofort eine unausſprechliche Uebereinſtimmung der Geiſter; alle liebten Stilling in dem Augenblick, und er liebte auch ſie Alle uͤber die Maßen. Sein ganzes Geſpraͤch
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Grunde zu ſtudiren; er zweifelte auch nicht, der Gott, der
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aber Spanier nicht zufrieden, und deßwegen ſchwiegen ſie
Beide endlich ganz ſtill von der Sache.
Im Herbſt des Jahres 1769, als Stilling eben ſein
dreißigſtes Jahr angetreten hatte, und ſechs Jahre bei Herrn
Spanier geweſen war, bekam er von einem Kaufmann zu
Raſenheim, eine Stunde dieſſeits Schoͤnenthal, der ſich
Friedenberg ſchrieb, einen Brief, worin ihn dieſer Mann
erſuchte, ſo bald als moͤglich nach Raſenheim zu kom-
men, weil einer ſeiner Nachbarn einen Sohn habe, der ſeit
einigen Jahren mit boͤſen Augen behaftet geweſen, und Ge-
fahr laufe, blind zu werden. Herr Spanier trieb ihn an,
alſofort zu gehen. Stilling that das, und nach drei Stun-
den kam er Vormittags bei Herrn Friedenberg zu Ra-
ſenheim an. Dieſer Mann bewohnte ein ſchoͤnes niedliches
Haus, welches er vor ganz kurzer Zeit hatte bauen laſſen.
Die Gegend, wo er wohnte, war uͤberaus angenehm. Sobald
Stilling in das Haus trat, und uͤberall Ordnung, Rein-
lichkeit und Zierde ohne Pracht bemerkte, ſo freute er ſich,
und fuͤhlte, daß er da wuͤrde wohnen koͤnnen. Als er aber
in die Stube trat, und Herrn Friedenberg ſelber nebſt
ſeiner Gattin und neun ſchoͤnen wohlgewachſenen Kindern ſo
der Reihe nach ſahe, wie ſie Alle zuſammen nett und zierlich,
aber ohne Pracht gekleidet, da gingen und ſtanden, wie alle
Geſichter Wahrheit, Rechtſchaffenheit und Heiterkeit um ſich
ſtrahlten, ſo war er ganz entzuͤckt, und nun wuͤnſchte er wirk-
lich, ewig bei dieſen Leuten zu wohnen. Da war kein Trei-
ben, kein Ungeſtuͤmm, ſondern eitel wirkſame Thaͤtigkeit aus
Harmonie und gutem Willen.
Herr Friedenberg bot ihm freundlich die Hand, und
noͤthigte ihn zum Mittageſſen. Stilling nahm das Auer-
bieten mit Freuden an. So wie er mit dieſen Leuten redete,
ſo entdeckte ſich alſofort eine unausſprechliche Uebereinſtimmung
der Geiſter; alle liebten Stilling in dem Augenblick, und er
liebte auch ſie Alle uͤber die Maßen. Sein ganzes Geſpraͤch
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/262>, abgerufen am 24.11.2024.
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