Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr Spanier gab ihm nun Erlaubniß, des Abends einige
Stunden für sich zu nehmen, er brauchte ihn auch nicht mehr
so stark in Handlungsgeschäften, damit er Zeit haben möchte,
zu studieren. Stilling setzte nun mit Gewalt sein Sprach-
studium fort, und fing an, sich mit der Anatomie aus Bü-
chern bekannt zu machen. Er las Krüger's Naturlehre, und
machte sich Alles, was er las, ganz zu eigen, er suchte sich
auch einen Plan zu formiren, wornach er seine Studien ein-
richten wolle, und dazu verhalfen ihm einige berühmte Aerzte,
mit denen er correspondirte. Mit Einem Wort, alle Discipli-
nen der Arzneikunde ging er für sich so gründlich durch, als es
ihm für die Zeit möglich war, damit er sich doch wenigstens
allgemeine Begriffe von allen Stücken verschaffen möchte.

Diese wichtige Neuigkeit schrieb er alsofort an seinen Vater
und Oheim. Sein Vater antwortete ihm darauf: daß er ihn
der Führung Gottes überlasse, nur könne er von seiner Seite
auf keine Unterstützung hoffen, er sollte nur behutsam seyn,
damit er sich nicht in ein neues Labyrinth stürzen möchte.
Sein Oheim aber war ganz unwillig auf ihn, der glaubte ganz
gewiß, daß es nur ein bloßer Hang zu neuen Dingen sey, der
sicherlich übel ausschlagen würde. Stilling ließ sich das alles
gar nicht anfechten, sondern fuhr nur getrost fort zu studiren.
Wo die Mittel herkommen sollten, das überließ er der väter-
lichen Vorsehung Gottes.

Im folgenden Frühjahr, als er schon ein Jahr studirt hatte,
mußte er wieder in Geschäften seines Herrn ins Salen'sche
Land reisen. Dieses erfreute ihn ungemein, denn er hoffte jetzt,
seine Freunde mündlich besser zu überzeugen: daß es wirklich
der Wille Gottes über ihn sey, die Medicin zu studiren. Er
ging also des Morgens früh fort, und des Nachmittags kam
er bei seinem Oheim zu Lichthausen an. Dieser ehrliche
Mann fing alsofort, nach der Bewillkommung an, mit ihm
zu disputiren wegen seines neuen Vorhabens. Die ganze Frage
war: wo soll das viele Geld herkommen, als zu einem so
weitläufigen und kostbaren Studium erfordert wird? -- Stil-
ling
beantwortete diese Frage immer mit seinem Symbolum:
jehovah jireh (der Herr wird's versehen).


Herr Spanier gab ihm nun Erlaubniß, des Abends einige
Stunden fuͤr ſich zu nehmen, er brauchte ihn auch nicht mehr
ſo ſtark in Handlungsgeſchaͤften, damit er Zeit haben moͤchte,
zu ſtudieren. Stilling ſetzte nun mit Gewalt ſein Sprach-
ſtudium fort, und fing an, ſich mit der Anatomie aus Buͤ-
chern bekannt zu machen. Er las Kruͤger’s Naturlehre, und
machte ſich Alles, was er las, ganz zu eigen, er ſuchte ſich
auch einen Plan zu formiren, wornach er ſeine Studien ein-
richten wolle, und dazu verhalfen ihm einige beruͤhmte Aerzte,
mit denen er correſpondirte. Mit Einem Wort, alle Diſcipli-
nen der Arzneikunde ging er fuͤr ſich ſo gruͤndlich durch, als es
ihm fuͤr die Zeit moͤglich war, damit er ſich doch wenigſtens
allgemeine Begriffe von allen Stuͤcken verſchaffen moͤchte.

Dieſe wichtige Neuigkeit ſchrieb er alſofort an ſeinen Vater
und Oheim. Sein Vater antwortete ihm darauf: daß er ihn
der Fuͤhrung Gottes uͤberlaſſe, nur koͤnne er von ſeiner Seite
auf keine Unterſtuͤtzung hoffen, er ſollte nur behutſam ſeyn,
damit er ſich nicht in ein neues Labyrinth ſtuͤrzen moͤchte.
Sein Oheim aber war ganz unwillig auf ihn, der glaubte ganz
gewiß, daß es nur ein bloßer Hang zu neuen Dingen ſey, der
ſicherlich uͤbel ausſchlagen wuͤrde. Stilling ließ ſich das alles
gar nicht anfechten, ſondern fuhr nur getroſt fort zu ſtudiren.
Wo die Mittel herkommen ſollten, das uͤberließ er der vaͤter-
lichen Vorſehung Gottes.

Im folgenden Fruͤhjahr, als er ſchon ein Jahr ſtudirt hatte,
mußte er wieder in Geſchaͤften ſeines Herrn ins Salen’ſche
Land reiſen. Dieſes erfreute ihn ungemein, denn er hoffte jetzt,
ſeine Freunde muͤndlich beſſer zu uͤberzeugen: daß es wirklich
der Wille Gottes uͤber ihn ſey, die Medicin zu ſtudiren. Er
ging alſo des Morgens fruͤh fort, und des Nachmittags kam
er bei ſeinem Oheim zu Lichthauſen an. Dieſer ehrliche
Mann fing alſofort, nach der Bewillkommung an, mit ihm
zu diſputiren wegen ſeines neuen Vorhabens. Die ganze Frage
war: wo ſoll das viele Geld herkommen, als zu einem ſo
weitlaͤufigen und koſtbaren Studium erfordert wird? — Stil-
ling
beantwortete dieſe Frage immer mit ſeinem Symbolum:
jehovah jireh (der Herr wird’s verſehen).


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0256" n="248"/>
            <p>Herr Spanier gab ihm nun Erlaubniß, des Abends einige<lb/>
Stunden fu&#x0364;r &#x017F;ich zu nehmen, er brauchte ihn auch nicht mehr<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tark in Handlungsge&#x017F;cha&#x0364;ften, damit er Zeit haben mo&#x0364;chte,<lb/>
zu &#x017F;tudieren. <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;etzte nun mit Gewalt &#x017F;ein Sprach-<lb/>
&#x017F;tudium fort, und fing an, &#x017F;ich mit der Anatomie aus Bu&#x0364;-<lb/>
chern bekannt zu machen. Er las <hi rendition="#g">Kru&#x0364;ger</hi>&#x2019;s Naturlehre, und<lb/>
machte &#x017F;ich Alles, was er las, ganz zu eigen, er &#x017F;uchte &#x017F;ich<lb/>
auch einen Plan zu formiren, wornach er &#x017F;eine Studien ein-<lb/>
richten wolle, und dazu verhalfen ihm einige beru&#x0364;hmte Aerzte,<lb/>
mit denen er corre&#x017F;pondirte. Mit Einem Wort, alle Di&#x017F;cipli-<lb/>
nen der Arzneikunde ging er fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;o gru&#x0364;ndlich durch, als es<lb/>
ihm fu&#x0364;r die Zeit mo&#x0364;glich war, damit er &#x017F;ich doch wenig&#x017F;tens<lb/>
allgemeine Begriffe von allen Stu&#x0364;cken ver&#x017F;chaffen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e wichtige Neuigkeit &#x017F;chrieb er al&#x017F;ofort an &#x017F;einen Vater<lb/>
und Oheim. Sein Vater antwortete ihm darauf: daß er ihn<lb/>
der Fu&#x0364;hrung Gottes u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e, nur ko&#x0364;nne er von &#x017F;einer Seite<lb/>
auf keine Unter&#x017F;tu&#x0364;tzung hoffen, er &#x017F;ollte nur behut&#x017F;am &#x017F;eyn,<lb/>
damit er &#x017F;ich nicht in ein neues Labyrinth &#x017F;tu&#x0364;rzen mo&#x0364;chte.<lb/>
Sein Oheim aber war ganz unwillig auf ihn, der glaubte ganz<lb/>
gewiß, daß es nur ein bloßer Hang zu neuen Dingen &#x017F;ey, der<lb/>
&#x017F;icherlich u&#x0364;bel aus&#x017F;chlagen wu&#x0364;rde. Stilling ließ &#x017F;ich das alles<lb/>
gar nicht anfechten, &#x017F;ondern fuhr nur getro&#x017F;t fort zu &#x017F;tudiren.<lb/>
Wo die Mittel herkommen &#x017F;ollten, das u&#x0364;berließ er der va&#x0364;ter-<lb/>
lichen Vor&#x017F;ehung Gottes.</p><lb/>
            <p>Im folgenden Fru&#x0364;hjahr, als er &#x017F;chon ein Jahr &#x017F;tudirt hatte,<lb/>
mußte er wieder in Ge&#x017F;cha&#x0364;ften &#x017F;eines Herrn ins Salen&#x2019;&#x017F;che<lb/>
Land rei&#x017F;en. Die&#x017F;es erfreute ihn ungemein, denn er hoffte jetzt,<lb/>
&#x017F;eine Freunde mu&#x0364;ndlich be&#x017F;&#x017F;er zu u&#x0364;berzeugen: daß es wirklich<lb/>
der Wille Gottes u&#x0364;ber ihn &#x017F;ey, die Medicin zu &#x017F;tudiren. Er<lb/>
ging al&#x017F;o des Morgens fru&#x0364;h fort, und des Nachmittags kam<lb/>
er bei &#x017F;einem Oheim zu <hi rendition="#g">Lichthau&#x017F;en</hi> an. Die&#x017F;er ehrliche<lb/>
Mann fing al&#x017F;ofort, nach der Bewillkommung an, mit ihm<lb/>
zu di&#x017F;putiren wegen &#x017F;eines neuen Vorhabens. Die ganze Frage<lb/>
war: wo &#x017F;oll das viele Geld herkommen, als zu einem &#x017F;o<lb/>
weitla&#x0364;ufigen und ko&#x017F;tbaren Studium erfordert wird? &#x2014; <hi rendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> beantwortete die&#x017F;e Frage immer mit &#x017F;einem Symbolum:<lb/><hi rendition="#aq">jehovah jireh</hi> (der Herr wird&#x2019;s ver&#x017F;ehen).</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0256] Herr Spanier gab ihm nun Erlaubniß, des Abends einige Stunden fuͤr ſich zu nehmen, er brauchte ihn auch nicht mehr ſo ſtark in Handlungsgeſchaͤften, damit er Zeit haben moͤchte, zu ſtudieren. Stilling ſetzte nun mit Gewalt ſein Sprach- ſtudium fort, und fing an, ſich mit der Anatomie aus Buͤ- chern bekannt zu machen. Er las Kruͤger’s Naturlehre, und machte ſich Alles, was er las, ganz zu eigen, er ſuchte ſich auch einen Plan zu formiren, wornach er ſeine Studien ein- richten wolle, und dazu verhalfen ihm einige beruͤhmte Aerzte, mit denen er correſpondirte. Mit Einem Wort, alle Diſcipli- nen der Arzneikunde ging er fuͤr ſich ſo gruͤndlich durch, als es ihm fuͤr die Zeit moͤglich war, damit er ſich doch wenigſtens allgemeine Begriffe von allen Stuͤcken verſchaffen moͤchte. Dieſe wichtige Neuigkeit ſchrieb er alſofort an ſeinen Vater und Oheim. Sein Vater antwortete ihm darauf: daß er ihn der Fuͤhrung Gottes uͤberlaſſe, nur koͤnne er von ſeiner Seite auf keine Unterſtuͤtzung hoffen, er ſollte nur behutſam ſeyn, damit er ſich nicht in ein neues Labyrinth ſtuͤrzen moͤchte. Sein Oheim aber war ganz unwillig auf ihn, der glaubte ganz gewiß, daß es nur ein bloßer Hang zu neuen Dingen ſey, der ſicherlich uͤbel ausſchlagen wuͤrde. Stilling ließ ſich das alles gar nicht anfechten, ſondern fuhr nur getroſt fort zu ſtudiren. Wo die Mittel herkommen ſollten, das uͤberließ er der vaͤter- lichen Vorſehung Gottes. Im folgenden Fruͤhjahr, als er ſchon ein Jahr ſtudirt hatte, mußte er wieder in Geſchaͤften ſeines Herrn ins Salen’ſche Land reiſen. Dieſes erfreute ihn ungemein, denn er hoffte jetzt, ſeine Freunde muͤndlich beſſer zu uͤberzeugen: daß es wirklich der Wille Gottes uͤber ihn ſey, die Medicin zu ſtudiren. Er ging alſo des Morgens fruͤh fort, und des Nachmittags kam er bei ſeinem Oheim zu Lichthauſen an. Dieſer ehrliche Mann fing alſofort, nach der Bewillkommung an, mit ihm zu diſputiren wegen ſeines neuen Vorhabens. Die ganze Frage war: wo ſoll das viele Geld herkommen, als zu einem ſo weitlaͤufigen und koſtbaren Studium erfordert wird? — Stil- ling beantwortete dieſe Frage immer mit ſeinem Symbolum: jehovah jireh (der Herr wird’s verſehen).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/256
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/256>, abgerufen am 24.11.2024.