nöthig habe, es sey denn, daß Ihr Euch auf Lebenslang ver- sorgen könntet."
Meister Isaac wurde durch diesen Vorschlag gerührt. Nun! sagte er gegen Stilling: jetzt begeht Ihr eine Sünde, wenn Ihr nicht einwilligt. Das kommt von Gott, und alle Eure vorigen Bedingungen kamen von Euch selbst.
Stilling untersuchte sich genau, er fand gar keine Leiden- schaft oder Trieb nach Ehre bei sich, sondern er fühlte im Ge- gentheil einen Wink in seinem Gewissen, daß diese Condition ihm von Gott angewiesen werde.
Nach einer kurzen Pause fing er an: "Ja, Herr Spanier! noch Einmal will ichs wagen, aber ich thue es mit Furcht und Zittern."
Spanier stand auf, gab ihm die Hand, und sagte: "Gott sey Dank! nun hab' ich auch diesen Hügel wieder eben ge- macht; aber nun müßt Ihr auch alsofort zum Sprachmeister, lieber morgen als übermorgen."
Stillingen war dieses so ganz recht, und selbst Meister Isaac sagte: Uebermorgen ists Sonntag, und dann könnt Ihr in Gottes Namen reisen. Dieses wurde also beschlossen.
Ich muß gestehen: daß, da nun Stilling wieder ein an- derer Mensch war, so vergnügt er sich auch eingebildet hatte zu seyn, so hatte er doch immer eine ungestimmte Saite, die er nie ohne eine Art von Mißvergnügen berühren durfte. So- bald ihm einfiel, was er in der Mathematik und andern Wis- senschaften gethan und gelesen hatte, so ging ihm ein Stich durchs Herz, allein er schlug sichs wieder aus dem Sinn; daher wurde ihm jetzt ganz anders, als er fühlte, daß er aufs Neue recht in sein Element kommen würde.
Isaac gönnte ihm zwar sein Glück, allein es that ihm doch schmerzlich leid, daß er ihn schon missen sollte, und Stil- lingen schmerzte es in seiner Seele, daß er von dem recht- schaffensten Mann in der Welt, und seinem besten Freunde, den er je gehabt hatte, Abschied nehmen sollte, ehe er ihm seine Kleider abverdient hatte; er redete deßwegen mit Herrn Spanier in Geheim, und erzählte ihm, was Meister Isaac an ihm gethan habe. Spanier drangen die Thränen in die
noͤthig habe, es ſey denn, daß Ihr Euch auf Lebenslang ver- ſorgen koͤnntet.“
Meiſter Iſaac wurde durch dieſen Vorſchlag geruͤhrt. Nun! ſagte er gegen Stilling: jetzt begeht Ihr eine Suͤnde, wenn Ihr nicht einwilligt. Das kommt von Gott, und alle Eure vorigen Bedingungen kamen von Euch ſelbſt.
Stilling unterſuchte ſich genau, er fand gar keine Leiden- ſchaft oder Trieb nach Ehre bei ſich, ſondern er fuͤhlte im Ge- gentheil einen Wink in ſeinem Gewiſſen, daß dieſe Condition ihm von Gott angewieſen werde.
Nach einer kurzen Pauſe fing er an: „Ja, Herr Spanier! noch Einmal will ichs wagen, aber ich thue es mit Furcht und Zittern.“
Spanier ſtand auf, gab ihm die Hand, und ſagte: „Gott ſey Dank! nun hab’ ich auch dieſen Huͤgel wieder eben ge- macht; aber nun muͤßt Ihr auch alſofort zum Sprachmeiſter, lieber morgen als uͤbermorgen.“
Stillingen war dieſes ſo ganz recht, und ſelbſt Meiſter Iſaac ſagte: Uebermorgen iſts Sonntag, und dann koͤnnt Ihr in Gottes Namen reiſen. Dieſes wurde alſo beſchloſſen.
Ich muß geſtehen: daß, da nun Stilling wieder ein an- derer Menſch war, ſo vergnuͤgt er ſich auch eingebildet hatte zu ſeyn, ſo hatte er doch immer eine ungeſtimmte Saite, die er nie ohne eine Art von Mißvergnuͤgen beruͤhren durfte. So- bald ihm einfiel, was er in der Mathematik und andern Wiſ- ſenſchaften gethan und geleſen hatte, ſo ging ihm ein Stich durchs Herz, allein er ſchlug ſichs wieder aus dem Sinn; daher wurde ihm jetzt ganz anders, als er fuͤhlte, daß er aufs Neue recht in ſein Element kommen wuͤrde.
Iſaac goͤnnte ihm zwar ſein Gluͤck, allein es that ihm doch ſchmerzlich leid, daß er ihn ſchon miſſen ſollte, und Stil- lingen ſchmerzte es in ſeiner Seele, daß er von dem recht- ſchaffenſten Mann in der Welt, und ſeinem beſten Freunde, den er je gehabt hatte, Abſchied nehmen ſollte, ehe er ihm ſeine Kleider abverdient hatte; er redete deßwegen mit Herrn Spanier in Geheim, und erzaͤhlte ihm, was Meiſter Iſaac an ihm gethan habe. Spanier drangen die Thraͤnen in die
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Meiſter Iſaac wurde durch dieſen Vorſchlag geruͤhrt. Nun!
ſagte er gegen Stilling: jetzt begeht Ihr eine Suͤnde, wenn
Ihr nicht einwilligt. Das kommt von Gott, und alle Eure
vorigen Bedingungen kamen von Euch ſelbſt.
Stilling unterſuchte ſich genau, er fand gar keine Leiden-
ſchaft oder Trieb nach Ehre bei ſich, ſondern er fuͤhlte im Ge-
gentheil einen Wink in ſeinem Gewiſſen, daß dieſe Condition
ihm von Gott angewieſen werde.
Nach einer kurzen Pauſe fing er an: „Ja, Herr Spanier!
noch Einmal will ichs wagen, aber ich thue es mit Furcht
und Zittern.“
Spanier ſtand auf, gab ihm die Hand, und ſagte: „Gott
ſey Dank! nun hab’ ich auch dieſen Huͤgel wieder eben ge-
macht; aber nun muͤßt Ihr auch alſofort zum Sprachmeiſter,
lieber morgen als uͤbermorgen.“
Stillingen war dieſes ſo ganz recht, und ſelbſt Meiſter
Iſaac ſagte: Uebermorgen iſts Sonntag, und dann koͤnnt
Ihr in Gottes Namen reiſen. Dieſes wurde alſo beſchloſſen.
Ich muß geſtehen: daß, da nun Stilling wieder ein an-
derer Menſch war, ſo vergnuͤgt er ſich auch eingebildet hatte
zu ſeyn, ſo hatte er doch immer eine ungeſtimmte Saite, die
er nie ohne eine Art von Mißvergnuͤgen beruͤhren durfte. So-
bald ihm einfiel, was er in der Mathematik und andern Wiſ-
ſenſchaften gethan und geleſen hatte, ſo ging ihm ein Stich
durchs Herz, allein er ſchlug ſichs wieder aus dem Sinn;
daher wurde ihm jetzt ganz anders, als er fuͤhlte, daß er aufs
Neue recht in ſein Element kommen wuͤrde.
Iſaac goͤnnte ihm zwar ſein Gluͤck, allein es that ihm
doch ſchmerzlich leid, daß er ihn ſchon miſſen ſollte, und Stil-
lingen ſchmerzte es in ſeiner Seele, daß er von dem recht-
ſchaffenſten Mann in der Welt, und ſeinem beſten Freunde,
den er je gehabt hatte, Abſchied nehmen ſollte, ehe er ihm
ſeine Kleider abverdient hatte; er redete deßwegen mit Herrn
Spanier in Geheim, und erzaͤhlte ihm, was Meiſter Iſaac
an ihm gethan habe. Spanier drangen die Thraͤnen in die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/241>, abgerufen am 25.11.2024.
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