lasse, und hänge es dann an den Nagel, ohne es jemals anzu- ziehen, bin ich dann nicht ein Narr?"
Ja! versetzte Stilling: erstens, wenn Sie's nothwendig haben; und zweitens, wenn's wohl getroffen ist. Wie wenn Sie sich aber einmal ein hübsches Kleid machen ließen, ohne daß Sie's nothwendig hätten, oder Sie zögens an, und es drückte Sie aller Orten, was wollten Sie alsdann machen?
"Das will ich Euch sagen, versetzte Spanier: so gäb ichs einem Andern; dem's recht wäre."
Aber, erwiederte Stilling: wenn Sie's nun Sieben hin- ter einander gegeben hätten, und ein Jeder gäb's Ihnen wie- der, und sagte: es paßt mir nicht, was würden Sie dann anfangen?
Spanier antwortete: So wär' ich doch ein Narr, wenn ichs müßig da hängen und die Motten fressen ließe; hör'! ich gäb's dem Achten, und sagte: nun ändert daran bis es euch recht ist. Wenn aber nun der Achte sich vollends dazu ver- stände, sich in das Kleid zu schicken, und nicht mehr von ihm zu fordern, als wozu es gemacht ist, so würde ich ja sündigen, wenn ichs ihm nicht gäbe!
Da haben Sie Recht, versetzte Stilling; allein, dem allen ungeachtet bitte ich Sie um Gottes willen, Herr Spanier! lassen Sie mich am Handwerk!
"Nein! antwortete er: das thue ich nicht, Ihr sollt und müßt mein Haus-Informator werden, und zwar unter folgen- den Bedingungen: Ihr könnt nicht französisch, es ist aber bei mir um vieler Ursachen willen nöthig, daß Ihr's versteht, dero- wegen wählt Euch einen Sprachmeister, wo Ihr wollt, zieht zu ihm hin, und lernt diese Sprache, ich bezahle alles gerne, was es kosten wird; ferner geb' ich Euch dem ungeach- tet volle Freiheit, wieder von mir zu Meister Isaac zu zie- hen, sobald es Euch bei mir leid seyn wird. Und endlich sollt Ihr alles haben an Kleidern und Zubehör, was Ihr be- dürft, und das so lange, als Ihr bei mir seyn werdet. Nun hab' ich aber auch Recht, dieses dagegen zu fordern: daß Ihr in keine andere Condition treten wollt, so lange ich Euch
laſſe, und haͤnge es dann an den Nagel, ohne es jemals anzu- ziehen, bin ich dann nicht ein Narr?“
Ja! verſetzte Stilling: erſtens, wenn Sie’s nothwendig haben; und zweitens, wenn’s wohl getroffen iſt. Wie wenn Sie ſich aber einmal ein huͤbſches Kleid machen ließen, ohne daß Sie’s nothwendig haͤtten, oder Sie zoͤgens an, und es druͤckte Sie aller Orten, was wollten Sie alsdann machen?
„Das will ich Euch ſagen, verſetzte Spanier: ſo gaͤb ichs einem Andern; dem’s recht waͤre.“
Aber, erwiederte Stilling: wenn Sie’s nun Sieben hin- ter einander gegeben haͤtten, und ein Jeder gaͤb’s Ihnen wie- der, und ſagte: es paßt mir nicht, was wuͤrden Sie dann anfangen?
Spanier antwortete: So waͤr’ ich doch ein Narr, wenn ichs muͤßig da haͤngen und die Motten freſſen ließe; hoͤr’! ich gaͤb’s dem Achten, und ſagte: nun aͤndert daran bis es euch recht iſt. Wenn aber nun der Achte ſich vollends dazu ver- ſtaͤnde, ſich in das Kleid zu ſchicken, und nicht mehr von ihm zu fordern, als wozu es gemacht iſt, ſo wuͤrde ich ja ſuͤndigen, wenn ichs ihm nicht gaͤbe!
Da haben Sie Recht, verſetzte Stilling; allein, dem allen ungeachtet bitte ich Sie um Gottes willen, Herr Spanier! laſſen Sie mich am Handwerk!
„Nein! antwortete er: das thue ich nicht, Ihr ſollt und muͤßt mein Haus-Informator werden, und zwar unter folgen- den Bedingungen: Ihr koͤnnt nicht franzoͤſiſch, es iſt aber bei mir um vieler Urſachen willen noͤthig, daß Ihr’s verſteht, dero- wegen waͤhlt Euch einen Sprachmeiſter, wo Ihr wollt, zieht zu ihm hin, und lernt dieſe Sprache, ich bezahle alles gerne, was es koſten wird; ferner geb’ ich Euch dem ungeach- tet volle Freiheit, wieder von mir zu Meiſter Iſaac zu zie- hen, ſobald es Euch bei mir leid ſeyn wird. Und endlich ſollt Ihr alles haben an Kleidern und Zubehoͤr, was Ihr be- duͤrft, und das ſo lange, als Ihr bei mir ſeyn werdet. Nun hab’ ich aber auch Recht, dieſes dagegen zu fordern: daß Ihr in keine andere Condition treten wollt, ſo lange ich Euch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0240"n="232"/>
laſſe, und haͤnge es dann an den Nagel, ohne es jemals anzu-<lb/>
ziehen, bin ich dann nicht ein Narr?“</p><lb/><p>Ja! verſetzte <hirendition="#g">Stilling</hi>: erſtens, wenn Sie’s nothwendig<lb/>
haben; und zweitens, wenn’s wohl getroffen iſt. Wie wenn<lb/>
Sie ſich aber einmal ein huͤbſches Kleid machen ließen, ohne<lb/>
daß Sie’s nothwendig haͤtten, oder Sie zoͤgens an, und es<lb/>
druͤckte Sie aller Orten, was wollten Sie alsdann machen?</p><lb/><p>„Das will ich Euch ſagen, verſetzte <hirendition="#g">Spanier</hi>: ſo gaͤb ichs<lb/>
einem Andern; dem’s recht waͤre.“</p><lb/><p>Aber, erwiederte <hirendition="#g">Stilling</hi>: wenn Sie’s nun Sieben hin-<lb/>
ter einander gegeben haͤtten, und ein Jeder gaͤb’s Ihnen wie-<lb/>
der, und ſagte: es paßt mir nicht, was wuͤrden Sie <hirendition="#g">dann</hi><lb/>
anfangen?</p><lb/><p><hirendition="#g">Spanier</hi> antwortete: So waͤr’ ich doch ein Narr, wenn<lb/>
ichs muͤßig da haͤngen und die Motten freſſen ließe; hoͤr’! ich<lb/>
gaͤb’s dem Achten, und ſagte: nun aͤndert daran bis es euch<lb/>
recht iſt. Wenn aber nun der Achte ſich vollends dazu ver-<lb/>ſtaͤnde, ſich in das Kleid zu ſchicken, und nicht mehr von ihm<lb/>
zu fordern, als wozu es gemacht iſt, ſo wuͤrde ich ja ſuͤndigen,<lb/>
wenn ichs ihm nicht gaͤbe!</p><lb/><p>Da haben Sie Recht, verſetzte <hirendition="#g">Stilling</hi>; allein, dem allen<lb/>
ungeachtet bitte ich Sie um Gottes willen, Herr <hirendition="#g">Spanier</hi>!<lb/>
laſſen Sie mich am Handwerk!</p><lb/><p>„Nein! antwortete er: das thue ich nicht, Ihr ſollt und<lb/>
muͤßt mein Haus-Informator werden, und zwar unter folgen-<lb/>
den Bedingungen: Ihr koͤnnt nicht franzoͤſiſch, es iſt aber bei<lb/>
mir um vieler Urſachen willen noͤthig, daß Ihr’s verſteht, dero-<lb/>
wegen waͤhlt Euch einen Sprachmeiſter, wo Ihr wollt, zieht<lb/>
zu ihm hin, und lernt dieſe Sprache, ich bezahle <hirendition="#g">alles</hi> gerne,<lb/>
was es koſten wird; ferner geb’ ich Euch dem ungeach-<lb/>
tet volle Freiheit, wieder von mir zu Meiſter <hirendition="#g">Iſaac</hi> zu zie-<lb/>
hen, ſobald es Euch bei mir leid ſeyn wird. Und endlich<lb/>ſollt Ihr alles haben an Kleidern und Zubehoͤr, was Ihr be-<lb/>
duͤrft, und das ſo lange, als Ihr bei mir ſeyn werdet. Nun<lb/>
hab’ ich aber auch Recht, <hirendition="#g">dieſes</hi> dagegen zu fordern: daß<lb/>
Ihr in keine andere Condition treten wollt, ſo lange ich Euch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[232/0240]
laſſe, und haͤnge es dann an den Nagel, ohne es jemals anzu-
ziehen, bin ich dann nicht ein Narr?“
Ja! verſetzte Stilling: erſtens, wenn Sie’s nothwendig
haben; und zweitens, wenn’s wohl getroffen iſt. Wie wenn
Sie ſich aber einmal ein huͤbſches Kleid machen ließen, ohne
daß Sie’s nothwendig haͤtten, oder Sie zoͤgens an, und es
druͤckte Sie aller Orten, was wollten Sie alsdann machen?
„Das will ich Euch ſagen, verſetzte Spanier: ſo gaͤb ichs
einem Andern; dem’s recht waͤre.“
Aber, erwiederte Stilling: wenn Sie’s nun Sieben hin-
ter einander gegeben haͤtten, und ein Jeder gaͤb’s Ihnen wie-
der, und ſagte: es paßt mir nicht, was wuͤrden Sie dann
anfangen?
Spanier antwortete: So waͤr’ ich doch ein Narr, wenn
ichs muͤßig da haͤngen und die Motten freſſen ließe; hoͤr’! ich
gaͤb’s dem Achten, und ſagte: nun aͤndert daran bis es euch
recht iſt. Wenn aber nun der Achte ſich vollends dazu ver-
ſtaͤnde, ſich in das Kleid zu ſchicken, und nicht mehr von ihm
zu fordern, als wozu es gemacht iſt, ſo wuͤrde ich ja ſuͤndigen,
wenn ichs ihm nicht gaͤbe!
Da haben Sie Recht, verſetzte Stilling; allein, dem allen
ungeachtet bitte ich Sie um Gottes willen, Herr Spanier!
laſſen Sie mich am Handwerk!
„Nein! antwortete er: das thue ich nicht, Ihr ſollt und
muͤßt mein Haus-Informator werden, und zwar unter folgen-
den Bedingungen: Ihr koͤnnt nicht franzoͤſiſch, es iſt aber bei
mir um vieler Urſachen willen noͤthig, daß Ihr’s verſteht, dero-
wegen waͤhlt Euch einen Sprachmeiſter, wo Ihr wollt, zieht
zu ihm hin, und lernt dieſe Sprache, ich bezahle alles gerne,
was es koſten wird; ferner geb’ ich Euch dem ungeach-
tet volle Freiheit, wieder von mir zu Meiſter Iſaac zu zie-
hen, ſobald es Euch bei mir leid ſeyn wird. Und endlich
ſollt Ihr alles haben an Kleidern und Zubehoͤr, was Ihr be-
duͤrft, und das ſo lange, als Ihr bei mir ſeyn werdet. Nun
hab’ ich aber auch Recht, dieſes dagegen zu fordern: daß
Ihr in keine andere Condition treten wollt, ſo lange ich Euch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/240>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.