Thränen der Freude und der Dankbarkeit daselbst geflossen sind, können nur diejenigen begreifen, die sich mit ihm in ähnlichen Umständen befunden haben.
Hier packte er nun seine paar Lumpen, die er noch hatte, zusammen, band seinen Hut mit hinein, den Stab aber ließ er zurück. Diesen Bündel warf er durch ein Fenster hinter dem Hause in den Hof, ging darauf wieder herunter, und spazierte ganz gleichgültig zur Pforte hinaus, ging hinter das Haus, nahm den Pack, und wanderte so geschwind als er konnte, das Feld hinauf, und eine ziemliche Strecke in den Busch hinein; hier zog er seinen abgeschabten Rock an, setzte den Hut auf, that seinen alten siamoisenen Kittel, den er des Werketags getragen hatte, in den Bündel, schnitt einen Stecken ab, worauf er sich stüzte, und wanderte nordwärts durch Berg und Thal fort, ohne einen Weg zu haben. Jetzt war zwar sein Gemüth ganz ruhig, er schmeckte die süße Freiheit in all ihrer Fülle; allein er war doch so betäubt und fast sinnlos, so daß er an seinen Zustand gar nicht dachte, und keine Ueberlegung hatte. Als er eine Stunde durch wüste Oerter fortgewandelt war, so gerieth er auf eine Landstraße, und hier sah er ungefähr eine Stunde vor sich hin auf der Höhe ein Städtchen liegen, wohin diese Straße führte; er folgte derselben ohne einen Willen zu haben warum, und gegen eilf Uhr kam er vor dem Thor an. Er fragte daselbst nach dem Namen der Stadt, und er vernahm, daß es Waldstätt war, wovon er zuweilen hatte reden hören. Nun ging er zu einem Thor hinein, gerade durch die Stadt durch, und zum andern wieder heraus. Daselbst traf er nun zwei Straßen, welche ihm beide gleich stark gebahnt schienen, er er- wählte eine von Beiden, und ging oder lief vielmehr dieselbe fort. Nach einer kleinen halben Stunde gerieth er in einen Wald, die Straße verlor sich, und nun fand er keinen Weg mehr; er sezte sich nieder, denn er hatte sich müde gelaufen. Jetzt kam seine völlige Kraft zu Denken wieder, er besann sich, und hatte keinen einzigen Heller Geld bei sich, denn er hatte noch wenig oder gar keinen Lohn von Hochberg gefordert; doch war er hungrig. Er war in einer Einöde, und wußte weit und breit um sich her keinen Menschen, der ihn kannte.
Thraͤnen der Freude und der Dankbarkeit daſelbſt gefloſſen ſind, koͤnnen nur diejenigen begreifen, die ſich mit ihm in aͤhnlichen Umſtaͤnden befunden haben.
Hier packte er nun ſeine paar Lumpen, die er noch hatte, zuſammen, band ſeinen Hut mit hinein, den Stab aber ließ er zuruͤck. Dieſen Buͤndel warf er durch ein Fenſter hinter dem Hauſe in den Hof, ging darauf wieder herunter, und ſpazierte ganz gleichguͤltig zur Pforte hinaus, ging hinter das Haus, nahm den Pack, und wanderte ſo geſchwind als er konnte, das Feld hinauf, und eine ziemliche Strecke in den Buſch hinein; hier zog er ſeinen abgeſchabten Rock an, ſetzte den Hut auf, that ſeinen alten ſiamoiſenen Kittel, den er des Werketags getragen hatte, in den Buͤndel, ſchnitt einen Stecken ab, worauf er ſich ſtuͤzte, und wanderte nordwaͤrts durch Berg und Thal fort, ohne einen Weg zu haben. Jetzt war zwar ſein Gemuͤth ganz ruhig, er ſchmeckte die ſuͤße Freiheit in all ihrer Fuͤlle; allein er war doch ſo betaͤubt und faſt ſinnlos, ſo daß er an ſeinen Zuſtand gar nicht dachte, und keine Ueberlegung hatte. Als er eine Stunde durch wuͤſte Oerter fortgewandelt war, ſo gerieth er auf eine Landſtraße, und hier ſah er ungefaͤhr eine Stunde vor ſich hin auf der Hoͤhe ein Staͤdtchen liegen, wohin dieſe Straße fuͤhrte; er folgte derſelben ohne einen Willen zu haben warum, und gegen eilf Uhr kam er vor dem Thor an. Er fragte daſelbſt nach dem Namen der Stadt, und er vernahm, daß es Waldſtaͤtt war, wovon er zuweilen hatte reden hoͤren. Nun ging er zu einem Thor hinein, gerade durch die Stadt durch, und zum andern wieder heraus. Daſelbſt traf er nun zwei Straßen, welche ihm beide gleich ſtark gebahnt ſchienen, er er- waͤhlte eine von Beiden, und ging oder lief vielmehr dieſelbe fort. Nach einer kleinen halben Stunde gerieth er in einen Wald, die Straße verlor ſich, und nun fand er keinen Weg mehr; er ſezte ſich nieder, denn er hatte ſich muͤde gelaufen. Jetzt kam ſeine voͤllige Kraft zu Denken wieder, er beſann ſich, und hatte keinen einzigen Heller Geld bei ſich, denn er hatte noch wenig oder gar keinen Lohn von Hochberg gefordert; doch war er hungrig. Er war in einer Einoͤde, und wußte weit und breit um ſich her keinen Menſchen, der ihn kannte.
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Thraͤnen der Freude und der Dankbarkeit daſelbſt gefloſſen ſind,
koͤnnen nur diejenigen begreifen, die ſich mit ihm in aͤhnlichen
Umſtaͤnden befunden haben.
Hier packte er nun ſeine paar Lumpen, die er noch hatte,
zuſammen, band ſeinen Hut mit hinein, den Stab aber ließ er
zuruͤck. Dieſen Buͤndel warf er durch ein Fenſter hinter dem
Hauſe in den Hof, ging darauf wieder herunter, und ſpazierte
ganz gleichguͤltig zur Pforte hinaus, ging hinter das Haus, nahm
den Pack, und wanderte ſo geſchwind als er konnte, das Feld
hinauf, und eine ziemliche Strecke in den Buſch hinein; hier
zog er ſeinen abgeſchabten Rock an, ſetzte den Hut auf, that
ſeinen alten ſiamoiſenen Kittel, den er des Werketags getragen
hatte, in den Buͤndel, ſchnitt einen Stecken ab, worauf er ſich
ſtuͤzte, und wanderte nordwaͤrts durch Berg und Thal fort,
ohne einen Weg zu haben. Jetzt war zwar ſein Gemuͤth ganz
ruhig, er ſchmeckte die ſuͤße Freiheit in all ihrer Fuͤlle; allein
er war doch ſo betaͤubt und faſt ſinnlos, ſo daß er an
ſeinen Zuſtand gar nicht dachte, und keine Ueberlegung hatte.
Als er eine Stunde durch wuͤſte Oerter fortgewandelt war, ſo
gerieth er auf eine Landſtraße, und hier ſah er ungefaͤhr eine
Stunde vor ſich hin auf der Hoͤhe ein Staͤdtchen liegen, wohin
dieſe Straße fuͤhrte; er folgte derſelben ohne einen Willen zu
haben warum, und gegen eilf Uhr kam er vor dem Thor an.
Er fragte daſelbſt nach dem Namen der Stadt, und er vernahm,
daß es Waldſtaͤtt war, wovon er zuweilen hatte reden hoͤren.
Nun ging er zu einem Thor hinein, gerade durch die Stadt durch,
und zum andern wieder heraus. Daſelbſt traf er nun zwei
Straßen, welche ihm beide gleich ſtark gebahnt ſchienen, er er-
waͤhlte eine von Beiden, und ging oder lief vielmehr dieſelbe
fort. Nach einer kleinen halben Stunde gerieth er in einen Wald,
die Straße verlor ſich, und nun fand er keinen Weg mehr; er
ſezte ſich nieder, denn er hatte ſich muͤde gelaufen. Jetzt kam
ſeine voͤllige Kraft zu Denken wieder, er beſann ſich, und hatte
keinen einzigen Heller Geld bei ſich, denn er hatte noch wenig
oder gar keinen Lohn von Hochberg gefordert; doch war er
hungrig. Er war in einer Einoͤde, und wußte weit und breit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/229>, abgerufen am 26.11.2024.
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