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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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an ihm zu sehen; er fühlte alsofort, daß er sich täglich würde
schämen müssen, doch hatte er auch durch Aufmerksamkeit täg-
lich mehr und mehr Lebensart zu lernen und durch seinen treuen
Fleiß, Geschicklichkeit und gute Aufführung seine Herrschaft zu
gewinnen, so daß man ihm vor und nach aus seiner Noth
helfen würde.

Herr Hochberg kam nun endlich auch herein, denn es
war Mittag; dieser vereinigte Alles, was nur Würde und
kaufmännisches Ansehen genannt werden mag, in Einer Per-
son. Er war ein ansehnlicher Mann, lang und etwas corpu-
lent, er hatte ein Apfelrundes ganz brunettes Gesicht, mit großen
pechschwarzen Augen, und etwas dicken Lippen, und wenn er
redete, so sah man allezeit zwei Reihen Zähne wie Alabaster;
sein Gehen und Stehen war vollkommen spanisch, doch muß
ich auch dabei gestehen, daß nichts Affectirtes dabei war, son-
dern es war ihm Alles so natürlich. So wie er herein trat,
schaute er Stillingen eben so an, wie große Fürsten gewohnt
sind, Jemand anzuschauen. Stillingen drang dieser Blick
durch Mark und Bein, vielleicht eben so stark, als derjenige
that, den er neun Jahr hernach vor einem der größten Für-
sten Deutschlands empfand. Allein seine Weltkenntniß mochte
sich auch wohl zu der Zeit gegen die Letztere verhalten, wie
Hochberg gegen diesen vortrefflichen Fürsten.

Nach diesem Blick nickte Herr Hochberg Stillingen an,
und sprach:

Serviteur Monsieur!

Stilling war kurz resolvirt, bückte sich so gut er konnte
und sagte:

"Ihr Diener, Herr Principal!"

Doch, daß ich die Wahrheit gestehe, auf dieses Compliment
hatte er auch eine Stunde her studirt; da er aber nicht vor-
aus wissen konnte, was Hochberg weiter sagen würde, so
war es nun auch geschehen, und seine Geschicklichkeit hatte ein
Ende. Ein paarmal ging Hochberg die Stube auf und ab;
nun sah er wieder Stilling an, und sagte:

Sind Sie resolvirt, als Präceptor bei mir zu serviren?

"Ja."


an ihm zu ſehen; er fuͤhlte alſofort, daß er ſich taͤglich wuͤrde
ſchaͤmen muͤſſen, doch hatte er auch durch Aufmerkſamkeit taͤg-
lich mehr und mehr Lebensart zu lernen und durch ſeinen treuen
Fleiß, Geſchicklichkeit und gute Auffuͤhrung ſeine Herrſchaft zu
gewinnen, ſo daß man ihm vor und nach aus ſeiner Noth
helfen wuͤrde.

Herr Hochberg kam nun endlich auch herein, denn es
war Mittag; dieſer vereinigte Alles, was nur Wuͤrde und
kaufmaͤnniſches Anſehen genannt werden mag, in Einer Per-
ſon. Er war ein anſehnlicher Mann, lang und etwas corpu-
lent, er hatte ein Apfelrundes ganz brunettes Geſicht, mit großen
pechſchwarzen Augen, und etwas dicken Lippen, und wenn er
redete, ſo ſah man allezeit zwei Reihen Zaͤhne wie Alabaſter;
ſein Gehen und Stehen war vollkommen ſpaniſch, doch muß
ich auch dabei geſtehen, daß nichts Affectirtes dabei war, ſon-
dern es war ihm Alles ſo natuͤrlich. So wie er herein trat,
ſchaute er Stillingen eben ſo an, wie große Fuͤrſten gewohnt
ſind, Jemand anzuſchauen. Stillingen drang dieſer Blick
durch Mark und Bein, vielleicht eben ſo ſtark, als derjenige
that, den er neun Jahr hernach vor einem der groͤßten Fuͤr-
ſten Deutſchlands empfand. Allein ſeine Weltkenntniß mochte
ſich auch wohl zu der Zeit gegen die Letztere verhalten, wie
Hochberg gegen dieſen vortrefflichen Fuͤrſten.

Nach dieſem Blick nickte Herr Hochberg Stillingen an,
und ſprach:

Serviteur Monsieur!

Stilling war kurz reſolvirt, buͤckte ſich ſo gut er konnte
und ſagte:

„Ihr Diener, Herr Principal!“

Doch, daß ich die Wahrheit geſtehe, auf dieſes Compliment
hatte er auch eine Stunde her ſtudirt; da er aber nicht vor-
aus wiſſen konnte, was Hochberg weiter ſagen wuͤrde, ſo
war es nun auch geſchehen, und ſeine Geſchicklichkeit hatte ein
Ende. Ein paarmal ging Hochberg die Stube auf und ab;
nun ſah er wieder Stilling an, und ſagte:

Sind Sie reſolvirt, als Praͤceptor bei mir zu ſerviren?

„Ja.“


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[215/0223] an ihm zu ſehen; er fuͤhlte alſofort, daß er ſich taͤglich wuͤrde ſchaͤmen muͤſſen, doch hatte er auch durch Aufmerkſamkeit taͤg- lich mehr und mehr Lebensart zu lernen und durch ſeinen treuen Fleiß, Geſchicklichkeit und gute Auffuͤhrung ſeine Herrſchaft zu gewinnen, ſo daß man ihm vor und nach aus ſeiner Noth helfen wuͤrde. Herr Hochberg kam nun endlich auch herein, denn es war Mittag; dieſer vereinigte Alles, was nur Wuͤrde und kaufmaͤnniſches Anſehen genannt werden mag, in Einer Per- ſon. Er war ein anſehnlicher Mann, lang und etwas corpu- lent, er hatte ein Apfelrundes ganz brunettes Geſicht, mit großen pechſchwarzen Augen, und etwas dicken Lippen, und wenn er redete, ſo ſah man allezeit zwei Reihen Zaͤhne wie Alabaſter; ſein Gehen und Stehen war vollkommen ſpaniſch, doch muß ich auch dabei geſtehen, daß nichts Affectirtes dabei war, ſon- dern es war ihm Alles ſo natuͤrlich. So wie er herein trat, ſchaute er Stillingen eben ſo an, wie große Fuͤrſten gewohnt ſind, Jemand anzuſchauen. Stillingen drang dieſer Blick durch Mark und Bein, vielleicht eben ſo ſtark, als derjenige that, den er neun Jahr hernach vor einem der groͤßten Fuͤr- ſten Deutſchlands empfand. Allein ſeine Weltkenntniß mochte ſich auch wohl zu der Zeit gegen die Letztere verhalten, wie Hochberg gegen dieſen vortrefflichen Fuͤrſten. Nach dieſem Blick nickte Herr Hochberg Stillingen an, und ſprach: Serviteur Monsieur! Stilling war kurz reſolvirt, buͤckte ſich ſo gut er konnte und ſagte: „Ihr Diener, Herr Principal!“ Doch, daß ich die Wahrheit geſtehe, auf dieſes Compliment hatte er auch eine Stunde her ſtudirt; da er aber nicht vor- aus wiſſen konnte, was Hochberg weiter ſagen wuͤrde, ſo war es nun auch geſchehen, und ſeine Geſchicklichkeit hatte ein Ende. Ein paarmal ging Hochberg die Stube auf und ab; nun ſah er wieder Stilling an, und ſagte: Sind Sie reſolvirt, als Praͤceptor bei mir zu ſerviren? „Ja.“

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/223>, abgerufen am 27.11.2024.