Herr Pastor Stollbein hatte seine herzliche Freude daran, daß sein Landsmann Stilling so allgemein beliebt war, und er machte ihm Hoffnung, daß er ihn mit der Zeit würde anständig versorgen können.
So angenehm verfloßen dreizehn Wochen, und ich kann sa- gen, daß Stilling während der Zeit sich weder seines Hand- werks schämte, noch sonsten großes Verlangen trug, davon abzukommen. Um das Ende dieser Zeit, etwa mitten im Ju- nius, ging er an einem Sonntag Nachmittag durch eine Gasse der Stadt Schauberg; die Sonne schien angenehm und der Himmel war hier und da mit einzelnen Wolken bedeckt; er hatte weder tiefe Betrachtungen, noch sonst etwas sonderliches in den Gedanken; von ungefähr blickte er in die Höhe und sah eine lichte Wolke über seinem Haupte hinziehen; mit die- sem Anblick durchdrang eine unbekannte Kraft seine Seele, ihm wurde so innig wohl, er zitterte am ganzen Leibe und konnte sich kaum enthalten, daß er nicht darniedersank; von dem Augen- blick an fühlte er eine unüberwindliche Neigung, ganz für die Ehre Gottes und das Wohl seiner Mitmenschen zu leben und zu sterben; seine Liebe zum Vater der Menschen und zum göttlichen Erlöser, deßgleichen zu allen Menschen, war in dem Augenblick so groß, daß er willig sein Leben aufgeopfert hätte, wenns nöthig gewesen wäre. Dabei fühlte er einen unwider- stehlichen Trieb, über seine Gedanken, Worte und Werke zu wachen, damit sie alle Gott geziemend, angenehm und nützlich seyn möchten. Auf der Stelle machte er einen festen unwi- derruflichen Bund mit Gott, sich hinführo lediglich seiner Füh- rung zu überlassen und keine eiteln Wünsche mehr zu hegen, sondern wenn es Gott gefallen würde, daß er Lebenslang ein Handwerksmann bleiben sollte, willig und mit Freuden damit zufrieden zu seyn.
Er kehrte also um und ging nach Haus und sagte Nie- mand von diesem Vorfall etwas, sondern er blieb, wie er vor- hin war, nur daß er weniger und behutsamer redete, welches ihn noch beliebter machte.
Diese Geschichte ist eine gewisse Wahrheit. Ich überlasse Schöngeistern, Philosophen und Psychologen, daraus zu machen,
14 *
Herr Paſtor Stollbein hatte ſeine herzliche Freude daran, daß ſein Landsmann Stilling ſo allgemein beliebt war, und er machte ihm Hoffnung, daß er ihn mit der Zeit wuͤrde anſtaͤndig verſorgen koͤnnen.
So angenehm verfloßen dreizehn Wochen, und ich kann ſa- gen, daß Stilling waͤhrend der Zeit ſich weder ſeines Hand- werks ſchaͤmte, noch ſonſten großes Verlangen trug, davon abzukommen. Um das Ende dieſer Zeit, etwa mitten im Ju- nius, ging er an einem Sonntag Nachmittag durch eine Gaſſe der Stadt Schauberg; die Sonne ſchien angenehm und der Himmel war hier und da mit einzelnen Wolken bedeckt; er hatte weder tiefe Betrachtungen, noch ſonſt etwas ſonderliches in den Gedanken; von ungefaͤhr blickte er in die Hoͤhe und ſah eine lichte Wolke uͤber ſeinem Haupte hinziehen; mit die- ſem Anblick durchdrang eine unbekannte Kraft ſeine Seele, ihm wurde ſo innig wohl, er zitterte am ganzen Leibe und konnte ſich kaum enthalten, daß er nicht darniederſank; von dem Augen- blick an fuͤhlte er eine unuͤberwindliche Neigung, ganz fuͤr die Ehre Gottes und das Wohl ſeiner Mitmenſchen zu leben und zu ſterben; ſeine Liebe zum Vater der Menſchen und zum goͤttlichen Erloͤſer, deßgleichen zu allen Menſchen, war in dem Augenblick ſo groß, daß er willig ſein Leben aufgeopfert haͤtte, wenns noͤthig geweſen waͤre. Dabei fuͤhlte er einen unwider- ſtehlichen Trieb, uͤber ſeine Gedanken, Worte und Werke zu wachen, damit ſie alle Gott geziemend, angenehm und nuͤtzlich ſeyn moͤchten. Auf der Stelle machte er einen feſten unwi- derruflichen Bund mit Gott, ſich hinfuͤhro lediglich ſeiner Fuͤh- rung zu uͤberlaſſen und keine eiteln Wuͤnſche mehr zu hegen, ſondern wenn es Gott gefallen wuͤrde, daß er Lebenslang ein Handwerksmann bleiben ſollte, willig und mit Freuden damit zufrieden zu ſeyn.
Er kehrte alſo um und ging nach Haus und ſagte Nie- mand von dieſem Vorfall etwas, ſondern er blieb, wie er vor- hin war, nur daß er weniger und behutſamer redete, welches ihn noch beliebter machte.
Dieſe Geſchichte iſt eine gewiſſe Wahrheit. Ich uͤberlaſſe Schoͤngeiſtern, Philoſophen und Pſychologen, daraus zu machen,
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Herr Paſtor Stollbein hatte ſeine herzliche Freude daran,
daß ſein Landsmann Stilling ſo allgemein beliebt war,
und er machte ihm Hoffnung, daß er ihn mit der Zeit wuͤrde
anſtaͤndig verſorgen koͤnnen.
So angenehm verfloßen dreizehn Wochen, und ich kann ſa-
gen, daß Stilling waͤhrend der Zeit ſich weder ſeines Hand-
werks ſchaͤmte, noch ſonſten großes Verlangen trug, davon
abzukommen. Um das Ende dieſer Zeit, etwa mitten im Ju-
nius, ging er an einem Sonntag Nachmittag durch eine Gaſſe
der Stadt Schauberg; die Sonne ſchien angenehm und der
Himmel war hier und da mit einzelnen Wolken bedeckt; er
hatte weder tiefe Betrachtungen, noch ſonſt etwas ſonderliches
in den Gedanken; von ungefaͤhr blickte er in die Hoͤhe und
ſah eine lichte Wolke uͤber ſeinem Haupte hinziehen; mit die-
ſem Anblick durchdrang eine unbekannte Kraft ſeine Seele, ihm
wurde ſo innig wohl, er zitterte am ganzen Leibe und konnte
ſich kaum enthalten, daß er nicht darniederſank; von dem Augen-
blick an fuͤhlte er eine unuͤberwindliche Neigung, ganz fuͤr die
Ehre Gottes und das Wohl ſeiner Mitmenſchen zu leben und
zu ſterben; ſeine Liebe zum Vater der Menſchen und zum
goͤttlichen Erloͤſer, deßgleichen zu allen Menſchen, war in dem
Augenblick ſo groß, daß er willig ſein Leben aufgeopfert haͤtte,
wenns noͤthig geweſen waͤre. Dabei fuͤhlte er einen unwider-
ſtehlichen Trieb, uͤber ſeine Gedanken, Worte und Werke zu
wachen, damit ſie alle Gott geziemend, angenehm und nuͤtzlich
ſeyn moͤchten. Auf der Stelle machte er einen feſten unwi-
derruflichen Bund mit Gott, ſich hinfuͤhro lediglich ſeiner Fuͤh-
rung zu uͤberlaſſen und keine eiteln Wuͤnſche mehr zu hegen,
ſondern wenn es Gott gefallen wuͤrde, daß er Lebenslang ein
Handwerksmann bleiben ſollte, willig und mit Freuden damit
zufrieden zu ſeyn.
Er kehrte alſo um und ging nach Haus und ſagte Nie-
mand von dieſem Vorfall etwas, ſondern er blieb, wie er vor-
hin war, nur daß er weniger und behutſamer redete, welches
ihn noch beliebter machte.
Dieſe Geſchichte iſt eine gewiſſe Wahrheit. Ich uͤberlaſſe
Schoͤngeiſtern, Philoſophen und Pſychologen, daraus zu machen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/219>, abgerufen am 27.11.2024.
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