Herr Pastor wußte keine Gelegenheit für ihn. Stilling war noch nicht erfahren genug, sonst hätte er leicht denken können, daß man so keinen Menschen von der Straße in Handlungs- dienste aufnimmt, denn Herr Dahlheim, ob er gleich aus dem Salen'schen Lande zu Haus war, kannte doch weder Stil- ling, noch seine Familie.
Er reiste also wieder zurück nach Schönenthal und war halb Willens, sich für einen Schneiderburschen anzugeben; doch, als er im Verbeigehen unlängst eine Schneiderswerkstatt ge- wahr wurde, daß es hier Mode sey, mit übereinander geschla- genen Beinen auf dem Tisch zu sitzen, so schreckte ihn dieses wieder ab, denn er hatte noch nie anders, als vor dem Tisch auf einem Stuhl gesessen. Indem er nun so fürbaß in den Gassen auf und abging, sah er ein Pferd mit zwei Körben auf dem Rücken, und einen ziemlich wohlgekleideten Mann dabei stehen und die Körbe festbinden. Da nun dieser Mann so ziemlich gut aussahe, so fragte ihn Stilling: ob er diesen Abend noch aus der Stadt ginge? Der Mann sagte: Ja! ich bin der Bote von Schauberg und gehe alsofort dahin ab. Stilling erinnerte sich, daß daselbst der junge Herr Stoll- bein, des Florenburger Predigers Sohn, Pastor sey, deßglei- chen, daß sich verschiedene Salen'sche Schneiderburschen da- selbst aufhielten; er beschloß also, mit dem Boten dahin zu gehen; dieser ließ es auch gerne geschehen, Schauberg liegt drei Stunden füdwestwärts von Schönenthal ab.
Unterwegs suchte Stilling mit dem Boten vertraulich zu werden. Wenn es nun der ehrliche Wandsbecker gewesen wäre, so würden die Beiden einen hübschen Discurs gehalten haben; allein das war er nicht, obgleich der Schauberger unter Vielen einer der Rechtschaffensten seyn mochte, denn er nahm Stillings Reisesack umsonst auf dem Pferde mit, so war er doch kein empfindsamer Bote, sondern nur blos ein guter ehrlicher Mann, welches schon viel ist. Sobald als sie zu Schauberg ankamen, begab er sich zum Herrn Pastor Stoll- bein; dieser hatte nun seinen Großvater wohl gekannt, deß- gleichen seine selige Mutter, auch kannte er seinen Vater, denn sie waren Knaben zusammen gewesen.
Herr Paſtor wußte keine Gelegenheit fuͤr ihn. Stilling war noch nicht erfahren genug, ſonſt haͤtte er leicht denken koͤnnen, daß man ſo keinen Menſchen von der Straße in Handlungs- dienſte aufnimmt, denn Herr Dahlheim, ob er gleich aus dem Salen’ſchen Lande zu Haus war, kannte doch weder Stil- ling, noch ſeine Familie.
Er reiste alſo wieder zuruͤck nach Schoͤnenthal und war halb Willens, ſich fuͤr einen Schneiderburſchen anzugeben; doch, als er im Verbeigehen unlaͤngſt eine Schneiderswerkſtatt ge- wahr wurde, daß es hier Mode ſey, mit uͤbereinander geſchla- genen Beinen auf dem Tiſch zu ſitzen, ſo ſchreckte ihn dieſes wieder ab, denn er hatte noch nie anders, als vor dem Tiſch auf einem Stuhl geſeſſen. Indem er nun ſo fuͤrbaß in den Gaſſen auf und abging, ſah er ein Pferd mit zwei Koͤrben auf dem Ruͤcken, und einen ziemlich wohlgekleideten Mann dabei ſtehen und die Koͤrbe feſtbinden. Da nun dieſer Mann ſo ziemlich gut ausſahe, ſo fragte ihn Stilling: ob er dieſen Abend noch aus der Stadt ginge? Der Mann ſagte: Ja! ich bin der Bote von Schauberg und gehe alſofort dahin ab. Stilling erinnerte ſich, daß daſelbſt der junge Herr Stoll- bein, des Florenburger Predigers Sohn, Paſtor ſey, deßglei- chen, daß ſich verſchiedene Salen’ſche Schneiderburſchen da- ſelbſt aufhielten; er beſchloß alſo, mit dem Boten dahin zu gehen; dieſer ließ es auch gerne geſchehen, Schauberg liegt drei Stunden fuͤdweſtwaͤrts von Schoͤnenthal ab.
Unterwegs ſuchte Stilling mit dem Boten vertraulich zu werden. Wenn es nun der ehrliche Wandsbecker geweſen waͤre, ſo wuͤrden die Beiden einen huͤbſchen Discurs gehalten haben; allein das war er nicht, obgleich der Schauberger unter Vielen einer der Rechtſchaffenſten ſeyn mochte, denn er nahm Stillings Reiſeſack umſonſt auf dem Pferde mit, ſo war er doch kein empfindſamer Bote, ſondern nur blos ein guter ehrlicher Mann, welches ſchon viel iſt. Sobald als ſie zu Schauberg ankamen, begab er ſich zum Herrn Paſtor Stoll- bein; dieſer hatte nun ſeinen Großvater wohl gekannt, deß- gleichen ſeine ſelige Mutter, auch kannte er ſeinen Vater, denn ſie waren Knaben zuſammen geweſen.
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[207/0215]
Herr Paſtor wußte keine Gelegenheit fuͤr ihn. Stilling war
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dienſte aufnimmt, denn Herr Dahlheim, ob er gleich aus
dem Salen’ſchen Lande zu Haus war, kannte doch weder Stil-
ling, noch ſeine Familie.
Er reiste alſo wieder zuruͤck nach Schoͤnenthal und war
halb Willens, ſich fuͤr einen Schneiderburſchen anzugeben; doch,
als er im Verbeigehen unlaͤngſt eine Schneiderswerkſtatt ge-
wahr wurde, daß es hier Mode ſey, mit uͤbereinander geſchla-
genen Beinen auf dem Tiſch zu ſitzen, ſo ſchreckte ihn dieſes
wieder ab, denn er hatte noch nie anders, als vor dem Tiſch
auf einem Stuhl geſeſſen. Indem er nun ſo fuͤrbaß in den
Gaſſen auf und abging, ſah er ein Pferd mit zwei Koͤrben auf
dem Ruͤcken, und einen ziemlich wohlgekleideten Mann dabei
ſtehen und die Koͤrbe feſtbinden. Da nun dieſer Mann ſo
ziemlich gut ausſahe, ſo fragte ihn Stilling: ob er dieſen
Abend noch aus der Stadt ginge? Der Mann ſagte: Ja! ich
bin der Bote von Schauberg und gehe alſofort dahin ab.
Stilling erinnerte ſich, daß daſelbſt der junge Herr Stoll-
bein, des Florenburger Predigers Sohn, Paſtor ſey, deßglei-
chen, daß ſich verſchiedene Salen’ſche Schneiderburſchen da-
ſelbſt aufhielten; er beſchloß alſo, mit dem Boten dahin zu
gehen; dieſer ließ es auch gerne geſchehen, Schauberg liegt
drei Stunden fuͤdweſtwaͤrts von Schoͤnenthal ab.
Unterwegs ſuchte Stilling mit dem Boten vertraulich zu
werden. Wenn es nun der ehrliche Wandsbecker geweſen waͤre,
ſo wuͤrden die Beiden einen huͤbſchen Discurs gehalten haben;
allein das war er nicht, obgleich der Schauberger unter
Vielen einer der Rechtſchaffenſten ſeyn mochte, denn er nahm
Stillings Reiſeſack umſonſt auf dem Pferde mit, ſo war
er doch kein empfindſamer Bote, ſondern nur blos ein guter
ehrlicher Mann, welches ſchon viel iſt. Sobald als ſie zu
Schauberg ankamen, begab er ſich zum Herrn Paſtor Stoll-
bein; dieſer hatte nun ſeinen Großvater wohl gekannt, deß-
gleichen ſeine ſelige Mutter, auch kannte er ſeinen Vater, denn
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/215>, abgerufen am 27.11.2024.
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