So wie Heinrich Stilling den Berg hinunter ins Thal ging und sein Vaterland aus dem Gesichte verlor, so wurde auch sein Herz leichter; er fühlte nun, wie alle Verbindungen und alle Beziehungen, in welchen er bis dahin so ängstlich ge- seufzt hatte, aufhörten, und deßwegen athmete er freie Luft und war völlig vergnügt.
Das Wetter war unvergleichlich schön; des Mittags trank er in einem Wirthshaus, das einsam am Wege stand, ein Glas Bier, aß ein Butterbrod dazu und wanderte darauf wieder seine Straße, die ihn durch wüste und öde Oerter, des Abends, nach Sonnenuntergang, in ein elendes Dörfchen brachte, wel- ches in einer morastigen Gegend, in einem engen Thal, in den Gesträuchen lag; die Häuser waren elende Hütten und standen mehr in der Erde, als auf derselben. An diesem Ort war er nicht Willens gewesen, zu übernachten, sondern zwei Stunden weiter; allein da er sich des Morgens früh irr gegangen hatte, konnte er so weit nicht kommen.
An dem ersten Hause fragte er: ob Jemand im Dorfe wohne, der Reisende beherberge? Man wies ihm ein Haus, er ging dahinein und fragte, ob er hier übernachten könnte? Die Frau sagte: Ja. Er ging in die Stube, setzte sich hin und legte seinen Reisesack ab. Der Hausvater kam herein, einige kleine Kinder versammelten sich bei dem Tisch und die Frau brachte ein Thranlicht, welches sie an eine hänfene Schnur mitten in der Stube aufhing; alles sah so ärmlich und, die Wahrheit zu sagen, so verdächtig aus, daß Stilling angst und bang wurde und lieber im lieben Wald geschlafen hätte; doch das war ganz unnöthig, denn er besaß nichts, das stehlenswerth war. Indessen brachte man ihm ein irdenes Schüsselchen mit Sauer-
Heinrich Stillings Wanderſchaft.
So wie Heinrich Stilling den Berg hinunter ins Thal ging und ſein Vaterland aus dem Geſichte verlor, ſo wurde auch ſein Herz leichter; er fuͤhlte nun, wie alle Verbindungen und alle Beziehungen, in welchen er bis dahin ſo aͤngſtlich ge- ſeufzt hatte, aufhoͤrten, und deßwegen athmete er freie Luft und war voͤllig vergnuͤgt.
Das Wetter war unvergleichlich ſchoͤn; des Mittags trank er in einem Wirthshaus, das einſam am Wege ſtand, ein Glas Bier, aß ein Butterbrod dazu und wanderte darauf wieder ſeine Straße, die ihn durch wuͤſte und oͤde Oerter, des Abends, nach Sonnenuntergang, in ein elendes Doͤrfchen brachte, wel- ches in einer moraſtigen Gegend, in einem engen Thal, in den Geſtraͤuchen lag; die Haͤuſer waren elende Huͤtten und ſtanden mehr in der Erde, als auf derſelben. An dieſem Ort war er nicht Willens geweſen, zu uͤbernachten, ſondern zwei Stunden weiter; allein da er ſich des Morgens fruͤh irr gegangen hatte, konnte er ſo weit nicht kommen.
An dem erſten Hauſe fragte er: ob Jemand im Dorfe wohne, der Reiſende beherberge? Man wies ihm ein Haus, er ging dahinein und fragte, ob er hier uͤbernachten koͤnnte? Die Frau ſagte: Ja. Er ging in die Stube, ſetzte ſich hin und legte ſeinen Reiſeſack ab. Der Hausvater kam herein, einige kleine Kinder verſammelten ſich bei dem Tiſch und die Frau brachte ein Thranlicht, welches ſie an eine haͤnfene Schnur mitten in der Stube aufhing; alles ſah ſo aͤrmlich und, die Wahrheit zu ſagen, ſo verdaͤchtig aus, daß Stilling angſt und bang wurde und lieber im lieben Wald geſchlafen haͤtte; doch das war ganz unnoͤthig, denn er beſaß nichts, das ſtehlenswerth war. Indeſſen brachte man ihm ein irdenes Schuͤſſelchen mit Sauer-
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Heinrich Stillings Wanderſchaft.
So wie Heinrich Stilling den Berg hinunter ins Thal
ging und ſein Vaterland aus dem Geſichte verlor, ſo wurde
auch ſein Herz leichter; er fuͤhlte nun, wie alle Verbindungen
und alle Beziehungen, in welchen er bis dahin ſo aͤngſtlich ge-
ſeufzt hatte, aufhoͤrten, und deßwegen athmete er freie Luft und
war voͤllig vergnuͤgt.
Das Wetter war unvergleichlich ſchoͤn; des Mittags trank
er in einem Wirthshaus, das einſam am Wege ſtand, ein Glas
Bier, aß ein Butterbrod dazu und wanderte darauf wieder
ſeine Straße, die ihn durch wuͤſte und oͤde Oerter, des Abends,
nach Sonnenuntergang, in ein elendes Doͤrfchen brachte, wel-
ches in einer moraſtigen Gegend, in einem engen Thal, in den
Geſtraͤuchen lag; die Haͤuſer waren elende Huͤtten und ſtanden
mehr in der Erde, als auf derſelben. An dieſem Ort war er
nicht Willens geweſen, zu uͤbernachten, ſondern zwei Stunden
weiter; allein da er ſich des Morgens fruͤh irr gegangen hatte,
konnte er ſo weit nicht kommen.
An dem erſten Hauſe fragte er: ob Jemand im Dorfe wohne,
der Reiſende beherberge? Man wies ihm ein Haus, er ging
dahinein und fragte, ob er hier uͤbernachten koͤnnte? Die Frau
ſagte: Ja. Er ging in die Stube, ſetzte ſich hin und legte
ſeinen Reiſeſack ab. Der Hausvater kam herein, einige kleine
Kinder verſammelten ſich bei dem Tiſch und die Frau brachte
ein Thranlicht, welches ſie an eine haͤnfene Schnur mitten in
der Stube aufhing; alles ſah ſo aͤrmlich und, die Wahrheit zu
ſagen, ſo verdaͤchtig aus, daß Stilling angſt und bang wurde
und lieber im lieben Wald geſchlafen haͤtte; doch das war
ganz unnoͤthig, denn er beſaß nichts, das ſtehlenswerth war.
Indeſſen brachte man ihm ein irdenes Schuͤſſelchen mit Sauer-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. [201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/209>, abgerufen am 27.11.2024.
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