Herr Pastor ist frei und hat seine volle Pflicht erfüllt. Christus gebeut Liebe und Versöhnlich- keit. Er wird Euch Euren Starrsinn auf den Kopf vergelten.
Herr Stollbein schloß diese rührende Scene mit den Wor- ten: Auch das soll geschehen, ich will meine ganze Gemeinde öffentlich auf der Kanzel um Vergebung bitten und ihnen weis- sagen, daß einer nach mir kommen werde, der ihnen einträn- ken wird, was sie an mir verschuldet haben. Beides ist auch in seiner ganzen Fülle geschehen.
Kurz nach diesem Vorfall starb Herr Stollbein im Frie- den und wurde zu Florenburg in der Kirche bei seiner Gat- tin begraben. In seinem Leben wurde er gehaßt und nach sei- nem Tode beweint, geehrt und geliebt. Wenigstens Hein- rich Stilling hielt ihn Lebenslang in ehrwürdigem Andenken.
Stilling war noch bis Ostern bei dem Schöffen Keil- hof, allein er merkte, daß ihn ein Jeder sauer ansah, er wurde also auch dieses Lebens müde.
Nun überlegte er einstmalen des Morgens auf dem Bett seine Umstände; zu seinem Vater zurückzukehren, war ihm ein erschrecklicher Gedanke; denn die vielen Feldarbeiten hätten ihn auf die Länge zu Boden gedrückt, dazu gab ihm sein Vater nur Speise und Trank; denn was er allenfalls mehr verdiente, das rechnete ihm derselbe auf den Vorschuß, den er ihm in vorigen Jahren gethan hatte, wenn er mit dem Schullohn nicht auskommen konnte; er durfte also noch nicht an Kleider den- ken, und diese waren doch binnen Jahresfrist ganz unbrauch- bar. Bei andern Meistern zu arbeiten war ihm ebenfalls schwer, und er sah, daß er sich auch damit nicht retten konnte, denn ein halber Gulden Wochenlohn trug ihm in einem gan- zen Jahr nicht so viel ein, als nur die allernothwendigsten Kleider erforderten. Er wurde halb rasend, fuhr aus dem Bett und rief: Allmächtiger Gott! was soll ich denn ma- chen? -- In dem Augenblick war es ihm, als wenn ihm in die Seele gesprochen würde: Geh' aus deinem Vater- land, von deiner Freundschaft und aus deines
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 13
Herr Paſtor iſt frei und hat ſeine volle Pflicht erfuͤllt. Chriſtus gebeut Liebe und Verſoͤhnlich- keit. Er wird Euch Euren Starrſinn auf den Kopf vergelten.
Herr Stollbein ſchloß dieſe ruͤhrende Scene mit den Wor- ten: Auch das ſoll geſchehen, ich will meine ganze Gemeinde oͤffentlich auf der Kanzel um Vergebung bitten und ihnen weiſ- ſagen, daß einer nach mir kommen werde, der ihnen eintraͤn- ken wird, was ſie an mir verſchuldet haben. Beides iſt auch in ſeiner ganzen Fuͤlle geſchehen.
Kurz nach dieſem Vorfall ſtarb Herr Stollbein im Frie- den und wurde zu Florenburg in der Kirche bei ſeiner Gat- tin begraben. In ſeinem Leben wurde er gehaßt und nach ſei- nem Tode beweint, geehrt und geliebt. Wenigſtens Hein- rich Stilling hielt ihn Lebenslang in ehrwuͤrdigem Andenken.
Stilling war noch bis Oſtern bei dem Schoͤffen Keil- hof, allein er merkte, daß ihn ein Jeder ſauer anſah, er wurde alſo auch dieſes Lebens muͤde.
Nun uͤberlegte er einſtmalen des Morgens auf dem Bett ſeine Umſtaͤnde; zu ſeinem Vater zuruͤckzukehren, war ihm ein erſchrecklicher Gedanke; denn die vielen Feldarbeiten haͤtten ihn auf die Laͤnge zu Boden gedruͤckt, dazu gab ihm ſein Vater nur Speiſe und Trank; denn was er allenfalls mehr verdiente, das rechnete ihm derſelbe auf den Vorſchuß, den er ihm in vorigen Jahren gethan hatte, wenn er mit dem Schullohn nicht auskommen konnte; er durfte alſo noch nicht an Kleider den- ken, und dieſe waren doch binnen Jahresfriſt ganz unbrauch- bar. Bei andern Meiſtern zu arbeiten war ihm ebenfalls ſchwer, und er ſah, daß er ſich auch damit nicht retten konnte, denn ein halber Gulden Wochenlohn trug ihm in einem gan- zen Jahr nicht ſo viel ein, als nur die allernothwendigſten Kleider erforderten. Er wurde halb raſend, fuhr aus dem Bett und rief: Allmaͤchtiger Gott! was ſoll ich denn ma- chen? — In dem Augenblick war es ihm, als wenn ihm in die Seele geſprochen wuͤrde: Geh’ aus deinem Vater- land, von deiner Freundſchaft und aus deines
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 13
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Herr Paſtor iſt frei und hat ſeine volle Pflicht
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keit. Er wird Euch Euren Starrſinn auf den
Kopf vergelten.
Herr Stollbein ſchloß dieſe ruͤhrende Scene mit den Wor-
ten: Auch das ſoll geſchehen, ich will meine ganze Gemeinde
oͤffentlich auf der Kanzel um Vergebung bitten und ihnen weiſ-
ſagen, daß einer nach mir kommen werde, der ihnen eintraͤn-
ken wird, was ſie an mir verſchuldet haben. Beides iſt auch
in ſeiner ganzen Fuͤlle geſchehen.
Kurz nach dieſem Vorfall ſtarb Herr Stollbein im Frie-
den und wurde zu Florenburg in der Kirche bei ſeiner Gat-
tin begraben. In ſeinem Leben wurde er gehaßt und nach ſei-
nem Tode beweint, geehrt und geliebt. Wenigſtens Hein-
rich Stilling hielt ihn Lebenslang in ehrwuͤrdigem Andenken.
Stilling war noch bis Oſtern bei dem Schoͤffen Keil-
hof, allein er merkte, daß ihn ein Jeder ſauer anſah, er wurde
alſo auch dieſes Lebens muͤde.
Nun uͤberlegte er einſtmalen des Morgens auf dem Bett
ſeine Umſtaͤnde; zu ſeinem Vater zuruͤckzukehren, war ihm ein
erſchrecklicher Gedanke; denn die vielen Feldarbeiten haͤtten ihn
auf die Laͤnge zu Boden gedruͤckt, dazu gab ihm ſein Vater
nur Speiſe und Trank; denn was er allenfalls mehr verdiente,
das rechnete ihm derſelbe auf den Vorſchuß, den er ihm in
vorigen Jahren gethan hatte, wenn er mit dem Schullohn nicht
auskommen konnte; er durfte alſo noch nicht an Kleider den-
ken, und dieſe waren doch binnen Jahresfriſt ganz unbrauch-
bar. Bei andern Meiſtern zu arbeiten war ihm ebenfalls
ſchwer, und er ſah, daß er ſich auch damit nicht retten konnte,
denn ein halber Gulden Wochenlohn trug ihm in einem gan-
zen Jahr nicht ſo viel ein, als nur die allernothwendigſten
Kleider erforderten. Er wurde halb raſend, fuhr aus dem
Bett und rief: Allmaͤchtiger Gott! was ſoll ich denn ma-
chen? — In dem Augenblick war es ihm, als wenn ihm in
die Seele geſprochen wuͤrde: Geh’ aus deinem Vater-
land, von deiner Freundſchaft und aus deines
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/201>, abgerufen am 12.12.2024.
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