So ein Mann mag wohl Goldmann heißen; wie er sprach, so handelte er auch; wenn er noch lebt und liest dieses, so wird er weinen und sein Gefühl dabei wird englisch seyn.
Auf der Heimreise nahm sich Stilling fest vor, ruhig am Schneiderhandwerk zu bleiben und nicht wieder so eitle Wünsche zu hegen; diejenigen Stunden aber, die er frei ha- ben würde, wollte er ferner dem Studiren widmen. Doch als er nahe zu Leindorf kam, fühlte er schon wieder die Melancholie anklopfen. Insonderheit fürchtete er die Vorwürfe seines Vaters, so daß er also sehr niedergeschlagen zur Stu- benthüre hereintrat.
Wilhelm saß mit einem Lehrjungen am Tisch und nähte. Er grüßte seinen Vater und seine Mutter, setzte sich still hin und schwieg. Wilhelm schwieg auch eine Weile, endlich legte er seinen Fingerhut nieder, schlug die Arme über einan- der und fing an:
Heinrich! ich hab' alles gehört, was dir abermals zu Kleefeld widerfahren ist; ich will dir keine Vorwürfe machen; das sehe ich aber klar ein, es ist Gottes Wille nicht, daß du ein Schulmeister werden sollst. Nun gib dich doch einmal ruhig aus Schneiderhandwerk und arbeite mit Lust. Es fin- det sich noch so manches Stündchen, wo du deine Sachen fortsetzen kannst.
Stilling ärgerte sich recht über sich selber und befestigte seinen Vorsatz, den er unterwegs gefaßt hatte. Er antwortete deßwegen seinem Vater: Ja, Ihr habt ganz recht! ich will beten, daß mir unser Herr Gott die Sinnen ändern möge! Und so setzte er sich hin und fing wieder an zu Nähen. Die- ses geschah vierzehn Tage nach Michaelis Anno 1760, als er ins einundzwanzigste Jahr getreten war.
Wenn er nun weiter nichts zu thun gehabt hätte, als auf dem Handwerk zu arbeiten, so würde er sich beruhigt und in die Zeit geschickt haben; allein sein Vater stellte ihn auch aus Dreschen. Er mußte den ganzen Winter durch des Morgens früh um zwei Uhr aus dem Bett und auf die kalte Dresch- tenne. Der Flegel war ihm erschrecklich. Er bekam die Hände voller lichter Blasen, und seine Glieder zitterten vor Schmerzen
So ein Mann mag wohl Goldmann heißen; wie er ſprach, ſo handelte er auch; wenn er noch lebt und liest dieſes, ſo wird er weinen und ſein Gefuͤhl dabei wird engliſch ſeyn.
Auf der Heimreiſe nahm ſich Stilling feſt vor, ruhig am Schneiderhandwerk zu bleiben und nicht wieder ſo eitle Wuͤnſche zu hegen; diejenigen Stunden aber, die er frei ha- ben wuͤrde, wollte er ferner dem Studiren widmen. Doch als er nahe zu Leindorf kam, fuͤhlte er ſchon wieder die Melancholie anklopfen. Inſonderheit fuͤrchtete er die Vorwuͤrfe ſeines Vaters, ſo daß er alſo ſehr niedergeſchlagen zur Stu- benthuͤre hereintrat.
Wilhelm ſaß mit einem Lehrjungen am Tiſch und naͤhte. Er gruͤßte ſeinen Vater und ſeine Mutter, ſetzte ſich ſtill hin und ſchwieg. Wilhelm ſchwieg auch eine Weile, endlich legte er ſeinen Fingerhut nieder, ſchlug die Arme uͤber einan- der und fing an:
Heinrich! ich hab’ alles gehoͤrt, was dir abermals zu Kleefeld widerfahren iſt; ich will dir keine Vorwuͤrfe machen; das ſehe ich aber klar ein, es iſt Gottes Wille nicht, daß du ein Schulmeiſter werden ſollſt. Nun gib dich doch einmal ruhig aus Schneiderhandwerk und arbeite mit Luſt. Es fin- det ſich noch ſo manches Stuͤndchen, wo du deine Sachen fortſetzen kannſt.
Stilling aͤrgerte ſich recht uͤber ſich ſelber und befeſtigte ſeinen Vorſatz, den er unterwegs gefaßt hatte. Er antwortete deßwegen ſeinem Vater: Ja, Ihr habt ganz recht! ich will beten, daß mir unſer Herr Gott die Sinnen aͤndern moͤge! Und ſo ſetzte er ſich hin und fing wieder an zu Naͤhen. Die- ſes geſchah vierzehn Tage nach Michaelis Anno 1760, als er ins einundzwanzigſte Jahr getreten war.
Wenn er nun weiter nichts zu thun gehabt haͤtte, als auf dem Handwerk zu arbeiten, ſo wuͤrde er ſich beruhigt und in die Zeit geſchickt haben; allein ſein Vater ſtellte ihn auch aus Dreſchen. Er mußte den ganzen Winter durch des Morgens fruͤh um zwei Uhr aus dem Bett und auf die kalte Dreſch- tenne. Der Flegel war ihm erſchrecklich. Er bekam die Haͤnde voller lichter Blaſen, und ſeine Glieder zitterten vor Schmerzen
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So ein Mann mag wohl Goldmann heißen; wie er ſprach,
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Auf der Heimreiſe nahm ſich Stilling feſt vor, ruhig
am Schneiderhandwerk zu bleiben und nicht wieder ſo eitle
Wuͤnſche zu hegen; diejenigen Stunden aber, die er frei ha-
ben wuͤrde, wollte er ferner dem Studiren widmen. Doch
als er nahe zu Leindorf kam, fuͤhlte er ſchon wieder die
Melancholie anklopfen. Inſonderheit fuͤrchtete er die Vorwuͤrfe
ſeines Vaters, ſo daß er alſo ſehr niedergeſchlagen zur Stu-
benthuͤre hereintrat.
Wilhelm ſaß mit einem Lehrjungen am Tiſch und naͤhte.
Er gruͤßte ſeinen Vater und ſeine Mutter, ſetzte ſich ſtill hin
und ſchwieg. Wilhelm ſchwieg auch eine Weile, endlich
legte er ſeinen Fingerhut nieder, ſchlug die Arme uͤber einan-
der und fing an:
Heinrich! ich hab’ alles gehoͤrt, was dir abermals zu
Kleefeld widerfahren iſt; ich will dir keine Vorwuͤrfe machen;
das ſehe ich aber klar ein, es iſt Gottes Wille nicht, daß du
ein Schulmeiſter werden ſollſt. Nun gib dich doch einmal
ruhig aus Schneiderhandwerk und arbeite mit Luſt. Es fin-
det ſich noch ſo manches Stuͤndchen, wo du deine Sachen
fortſetzen kannſt.
Stilling aͤrgerte ſich recht uͤber ſich ſelber und befeſtigte
ſeinen Vorſatz, den er unterwegs gefaßt hatte. Er antwortete
deßwegen ſeinem Vater: Ja, Ihr habt ganz recht! ich will
beten, daß mir unſer Herr Gott die Sinnen aͤndern moͤge!
Und ſo ſetzte er ſich hin und fing wieder an zu Naͤhen. Die-
ſes geſchah vierzehn Tage nach Michaelis Anno 1760, als
er ins einundzwanzigſte Jahr getreten war.
Wenn er nun weiter nichts zu thun gehabt haͤtte, als auf
dem Handwerk zu arbeiten, ſo wuͤrde er ſich beruhigt und in
die Zeit geſchickt haben; allein ſein Vater ſtellte ihn auch aus
Dreſchen. Er mußte den ganzen Winter durch des Morgens
fruͤh um zwei Uhr aus dem Bett und auf die kalte Dreſch-
tenne. Der Flegel war ihm erſchrecklich. Er bekam die Haͤnde
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/183>, abgerufen am 22.11.2024.
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