ganze Einbildung war schon mit seinem zukünftigen glückseligen Zustand beschäftiget.
Des andern Tages blieb er noch zu Lahnburg. Der Hof- prediger gab sich alle Mühe, um gewisse Hoffnung wegen der bewußten Bedienung Stillingen mitzugeben, und es gelang ihm auch. Die ganze Sache wurde so zu sagen beschlossen, und Stilling ging, vor Freude trunken, zurück nach Roth- hagen zu Vetter Goldmann. Diesem erzählte er die ganze Sache. Herr Goldmann mußte herzlich lachen, als er Stil- ling mit solchem Enthusiasmus reden hörte. Als er ausge- redet hatte, fing der Richter an: O Vetter! Vetter! wo will's doch mit Euch hinaus? -- Das ist eine Stelle, die Euch Gott im Zorn gibt, wenn Ihr sie bekommt, das ist der gerade Weg zu Eurem gänzlichen Verderben, und das will ich Euch bewei- sen: sobald Ihr da seyd, fangen alle Hofschranzen an, Euch zu besuchen und sich bei Euch lustig zu machen; leidet Ihr das nicht, so stürzen sie Euch, sobald sie können, und laßt Ihr ih- nen ihre Freiheit, so reicht Euer Gehalt nicht halb zu.
Stilling erschrack, als er seinen Vetter so reden hörte; er erzählte ihm darauf alle die guten Lehren, die ihm der Hofpre- diger gegeben hatte.
Die Prediger können das sehr selten, sagte Herr Gold- mann. Sie moralisiren gut und ein braver Prediger kann auch in seinem Cirkel gut moralisch leben, aber! aber! wir Andern können das so nicht; man führt die Geistlichen nicht so leicht in Versuchung, als andere Leute. Sie haben gut sagen! -- Hört, Vetter! alle moralischen Predigten sind nicht einen Pfifferling werth, der Verstand bestimmt niemalen unsre Handlungen, wenn die Leidenschaften etwas stark dabei interes- sirt sind, das Herz macht allezeit ein Mäntelchen darum und überredet uns: schwarz sey weiß! -- Vetter! ich sag Euch eine größere Wahrheit, als Freund Schneeberg. Wer nicht dahin kommt, daß das Herz mit einer star- ken Leidenschaft Gott liebt, den hilft alles Mora- lisiren ganz und gar nichts. Die Liebe Gottes allein macht uns tüchtig, moralisch gut zu wer- den. Dieses sey Euch ein Notabene, Vetter Stilling!
ganze Einbildung war ſchon mit ſeinem zukuͤnftigen gluͤckſeligen Zuſtand beſchaͤftiget.
Des andern Tages blieb er noch zu Lahnburg. Der Hof- prediger gab ſich alle Muͤhe, um gewiſſe Hoffnung wegen der bewußten Bedienung Stillingen mitzugeben, und es gelang ihm auch. Die ganze Sache wurde ſo zu ſagen beſchloſſen, und Stilling ging, vor Freude trunken, zuruͤck nach Roth- hagen zu Vetter Goldmann. Dieſem erzaͤhlte er die ganze Sache. Herr Goldmann mußte herzlich lachen, als er Stil- ling mit ſolchem Enthuſiasmus reden hoͤrte. Als er ausge- redet hatte, fing der Richter an: O Vetter! Vetter! wo will’s doch mit Euch hinaus? — Das iſt eine Stelle, die Euch Gott im Zorn gibt, wenn Ihr ſie bekommt, das iſt der gerade Weg zu Eurem gaͤnzlichen Verderben, und das will ich Euch bewei- ſen: ſobald Ihr da ſeyd, fangen alle Hofſchranzen an, Euch zu beſuchen und ſich bei Euch luſtig zu machen; leidet Ihr das nicht, ſo ſtuͤrzen ſie Euch, ſobald ſie koͤnnen, und laßt Ihr ih- nen ihre Freiheit, ſo reicht Euer Gehalt nicht halb zu.
Stilling erſchrack, als er ſeinen Vetter ſo reden hoͤrte; er erzaͤhlte ihm darauf alle die guten Lehren, die ihm der Hofpre- diger gegeben hatte.
Die Prediger koͤnnen das ſehr ſelten, ſagte Herr Gold- mann. Sie moraliſiren gut und ein braver Prediger kann auch in ſeinem Cirkel gut moraliſch leben, aber! aber! wir Andern koͤnnen das ſo nicht; man fuͤhrt die Geiſtlichen nicht ſo leicht in Verſuchung, als andere Leute. Sie haben gut ſagen! — Hoͤrt, Vetter! alle moraliſchen Predigten ſind nicht einen Pfifferling werth, der Verſtand beſtimmt niemalen unſre Handlungen, wenn die Leidenſchaften etwas ſtark dabei intereſ- ſirt ſind, das Herz macht allezeit ein Maͤntelchen darum und uͤberredet uns: ſchwarz ſey weiß! — Vetter! ich ſag Euch eine groͤßere Wahrheit, als Freund Schneeberg. Wer nicht dahin kommt, daß das Herz mit einer ſtar- ken Leidenſchaft Gott liebt, den hilft alles Mora- liſiren ganz und gar nichts. Die Liebe Gottes allein macht uns tuͤchtig, moraliſch gut zu wer- den. Dieſes ſey Euch ein Notabene, Vetter Stilling!
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Des andern Tages blieb er noch zu Lahnburg. Der Hof-
prediger gab ſich alle Muͤhe, um gewiſſe Hoffnung wegen der
bewußten Bedienung Stillingen mitzugeben, und es gelang
ihm auch. Die ganze Sache wurde ſo zu ſagen beſchloſſen,
und Stilling ging, vor Freude trunken, zuruͤck nach Roth-
hagen zu Vetter Goldmann. Dieſem erzaͤhlte er die ganze
Sache. Herr Goldmann mußte herzlich lachen, als er Stil-
ling mit ſolchem Enthuſiasmus reden hoͤrte. Als er ausge-
redet hatte, fing der Richter an: O Vetter! Vetter! wo will’s
doch mit Euch hinaus? — Das iſt eine Stelle, die Euch Gott
im Zorn gibt, wenn Ihr ſie bekommt, das iſt der gerade Weg
zu Eurem gaͤnzlichen Verderben, und das will ich Euch bewei-
ſen: ſobald Ihr da ſeyd, fangen alle Hofſchranzen an, Euch zu
beſuchen und ſich bei Euch luſtig zu machen; leidet Ihr das
nicht, ſo ſtuͤrzen ſie Euch, ſobald ſie koͤnnen, und laßt Ihr ih-
nen ihre Freiheit, ſo reicht Euer Gehalt nicht halb zu.
Stilling erſchrack, als er ſeinen Vetter ſo reden hoͤrte; er
erzaͤhlte ihm darauf alle die guten Lehren, die ihm der Hofpre-
diger gegeben hatte.
Die Prediger koͤnnen das ſehr ſelten, ſagte Herr Gold-
mann. Sie moraliſiren gut und ein braver Prediger kann
auch in ſeinem Cirkel gut moraliſch leben, aber! aber! wir
Andern koͤnnen das ſo nicht; man fuͤhrt die Geiſtlichen nicht
ſo leicht in Verſuchung, als andere Leute. Sie haben gut
ſagen! — Hoͤrt, Vetter! alle moraliſchen Predigten ſind nicht
einen Pfifferling werth, der Verſtand beſtimmt niemalen unſre
Handlungen, wenn die Leidenſchaften etwas ſtark dabei intereſ-
ſirt ſind, das Herz macht allezeit ein Maͤntelchen darum und
uͤberredet uns: ſchwarz ſey weiß! — Vetter! ich ſag Euch
eine groͤßere Wahrheit, als Freund Schneeberg. Wer
nicht dahin kommt, daß das Herz mit einer ſtar-
ken Leidenſchaft Gott liebt, den hilft alles Mora-
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den. Dieſes ſey Euch ein Notabene, Vetter Stilling!
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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