Euch abziehen müßten, und wenn Ihr der Stolz und das Haupt eurer Familie würdet?
Ja! antwortete Stilling treuherzig, das fühl ich freilich, und das macht mir manche süße Stunde.
Recht, fuhr Goldmann fort: Aber ist es Euch auch ein wahrer Ernst, ein rechtschaffenen Mann in der Welt zu seyn, Gott und Menschen zu dienen, und also auch nach diesem Le- ben selig zu werden? Da heuchelt nun nicht, sondern seyd auf- richtig. Habt Ihr den fest entschlossenen Willen?
O ja! versetzte Stilling, das ist doch wohl der rechte Polarstern, nach welchem sich endlich, nach vielem Hin- und Hervagiren, mein Geist wie eine Magnetnadel richtet.
Nun, Vetter! erwiederte Goldmann: Nun will ich Euch eure Nativität stellen, und die soll zuverläßig seyn. Hört mir zu! "Gott verabscheut nichts mehr, als den eiteln Stolz und die Ehrbegierde, seinen Nebenmenschen, der oft besser ist, als wir, tief unter sich zu sehen; das ist verdorbene menschliche Natur. Aber er liebt auch den Mann, der im Stillen und Verborgenen zum Wohl der Menschen arbeitet, und nicht wünscht, offenbar zu seyn. Diesen zieht Er durch Seine gü- tige Leitung, gegen seinen Willen endlich hervor und setzt ihn hoch hinauf. Da sitzt dann der rechtschaffene Mann -- ohne Gefahr, gestürzt zu werden, und weil ihn die Last der Erhö- hung niederdrückt, so betrachtet er alle Menschen neben sich so gut als sich selbst. Seht, Vetter! das ist wahre, edle, ver- besserte oder wiedergeborene Menschennatur. Nun will ich weissagen, was Euch widerfahren wird: Gott wird durch eine lange und schwere Führung alle eure eiteln Wünsche suchen abzufegen; gelingt Ihm dieses, so werdet ihr endlich nach vie- len schweren Proben ein glücklicher, großer Mann und ein vortreffliches Werkzeug Gottes werden! Wenn Ihr aber nicht folgt, so werdet Ihr Euch vielleicht bald hoch schwingen, und einen entsetzlichen Fall thun, der allen Menschen, die es hören werden, in die Ohren gellen wird!"
Stilling wußte nicht wie ihm ward, alle diese Worte waren, als wenn sie Goldmann in seiner Seele gelesen hätte. Er fühlte diese Wahrheit im Grund seines Herzens
Euch abziehen muͤßten, und wenn Ihr der Stolz und das Haupt eurer Familie wuͤrdet?
Ja! antwortete Stilling treuherzig, das fuͤhl ich freilich, und das macht mir manche ſuͤße Stunde.
Recht, fuhr Goldmann fort: Aber iſt es Euch auch ein wahrer Ernſt, ein rechtſchaffenen Mann in der Welt zu ſeyn, Gott und Menſchen zu dienen, und alſo auch nach dieſem Le- ben ſelig zu werden? Da heuchelt nun nicht, ſondern ſeyd auf- richtig. Habt Ihr den feſt entſchloſſenen Willen?
O ja! verſetzte Stilling, das iſt doch wohl der rechte Polarſtern, nach welchem ſich endlich, nach vielem Hin- und Hervagiren, mein Geiſt wie eine Magnetnadel richtet.
Nun, Vetter! erwiederte Goldmann: Nun will ich Euch eure Nativitaͤt ſtellen, und die ſoll zuverlaͤßig ſeyn. Hoͤrt mir zu! „Gott verabſcheut nichts mehr, als den eiteln Stolz und die Ehrbegierde, ſeinen Nebenmenſchen, der oft beſſer iſt, als wir, tief unter ſich zu ſehen; das iſt verdorbene menſchliche Natur. Aber er liebt auch den Mann, der im Stillen und Verborgenen zum Wohl der Menſchen arbeitet, und nicht wuͤnſcht, offenbar zu ſeyn. Dieſen zieht Er durch Seine guͤ- tige Leitung, gegen ſeinen Willen endlich hervor und ſetzt ihn hoch hinauf. Da ſitzt dann der rechtſchaffene Mann — ohne Gefahr, geſtuͤrzt zu werden, und weil ihn die Laſt der Erhoͤ- hung niederdruͤckt, ſo betrachtet er alle Menſchen neben ſich ſo gut als ſich ſelbſt. Seht, Vetter! das iſt wahre, edle, ver- beſſerte oder wiedergeborene Menſchennatur. Nun will ich weiſſagen, was Euch widerfahren wird: Gott wird durch eine lange und ſchwere Fuͤhrung alle eure eiteln Wuͤnſche ſuchen abzufegen; gelingt Ihm dieſes, ſo werdet ihr endlich nach vie- len ſchweren Proben ein gluͤcklicher, großer Mann und ein vortreffliches Werkzeug Gottes werden! Wenn Ihr aber nicht folgt, ſo werdet Ihr Euch vielleicht bald hoch ſchwingen, und einen entſetzlichen Fall thun, der allen Menſchen, die es hoͤren werden, in die Ohren gellen wird!“
Stilling wußte nicht wie ihm ward, alle dieſe Worte waren, als wenn ſie Goldmann in ſeiner Seele geleſen haͤtte. Er fuͤhlte dieſe Wahrheit im Grund ſeines Herzens
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0177"n="169"/>
Euch abziehen muͤßten, und wenn Ihr der Stolz und das<lb/>
Haupt eurer Familie wuͤrdet?</p><lb/><p>Ja! antwortete <hirendition="#g">Stilling</hi> treuherzig, das fuͤhl ich freilich,<lb/>
und das macht mir manche ſuͤße Stunde.</p><lb/><p>Recht, fuhr <hirendition="#g">Goldmann</hi> fort: Aber iſt es Euch auch ein<lb/>
wahrer Ernſt, ein rechtſchaffenen Mann in der Welt zu ſeyn,<lb/>
Gott und Menſchen zu dienen, und alſo auch nach dieſem Le-<lb/>
ben ſelig zu werden? Da heuchelt nun nicht, ſondern ſeyd auf-<lb/>
richtig. Habt Ihr den feſt entſchloſſenen Willen?</p><lb/><p>O ja! verſetzte <hirendition="#g">Stilling</hi>, das iſt doch wohl der rechte<lb/>
Polarſtern, nach welchem ſich endlich, nach vielem Hin- und<lb/>
Hervagiren, mein Geiſt wie eine Magnetnadel richtet.</p><lb/><p>Nun, Vetter! erwiederte <hirendition="#g">Goldmann</hi>: Nun will ich Euch<lb/>
eure Nativitaͤt ſtellen, und die ſoll zuverlaͤßig ſeyn. Hoͤrt mir<lb/>
zu! „Gott verabſcheut nichts mehr, als den eiteln Stolz und<lb/>
die Ehrbegierde, ſeinen Nebenmenſchen, der oft beſſer iſt, als<lb/>
wir, tief unter ſich zu ſehen; das iſt verdorbene menſchliche<lb/>
Natur. Aber er liebt auch <hirendition="#g">den</hi> Mann, der im Stillen und<lb/>
Verborgenen zum Wohl der Menſchen arbeitet, und nicht<lb/>
wuͤnſcht, offenbar zu ſeyn. Dieſen zieht Er durch Seine guͤ-<lb/>
tige Leitung, gegen ſeinen Willen endlich hervor und ſetzt ihn<lb/>
hoch hinauf. Da ſitzt dann der rechtſchaffene Mann — ohne<lb/>
Gefahr, geſtuͤrzt zu werden, und weil ihn die Laſt der Erhoͤ-<lb/>
hung niederdruͤckt, ſo betrachtet er alle Menſchen neben ſich ſo<lb/>
gut als ſich ſelbſt. Seht, Vetter! das iſt wahre, edle, ver-<lb/>
beſſerte oder wiedergeborene Menſchennatur. Nun will ich<lb/>
weiſſagen, was Euch widerfahren wird: Gott wird durch eine<lb/>
lange und ſchwere Fuͤhrung alle eure eiteln Wuͤnſche ſuchen<lb/>
abzufegen; gelingt Ihm dieſes, ſo werdet ihr endlich nach vie-<lb/>
len ſchweren Proben ein gluͤcklicher, großer Mann und ein<lb/>
vortreffliches Werkzeug Gottes werden! Wenn Ihr aber nicht<lb/>
folgt, ſo werdet Ihr Euch vielleicht bald hoch ſchwingen, und<lb/>
einen entſetzlichen Fall thun, der allen Menſchen, die es hoͤren<lb/>
werden, in die Ohren gellen wird!“</p><lb/><p><hirendition="#g">Stilling</hi> wußte nicht wie ihm ward, alle dieſe Worte<lb/>
waren, als wenn ſie <hirendition="#g">Goldmann</hi> in ſeiner Seele geleſen<lb/>
haͤtte. Er fuͤhlte dieſe Wahrheit im Grund ſeines Herzens<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[169/0177]
Euch abziehen muͤßten, und wenn Ihr der Stolz und das
Haupt eurer Familie wuͤrdet?
Ja! antwortete Stilling treuherzig, das fuͤhl ich freilich,
und das macht mir manche ſuͤße Stunde.
Recht, fuhr Goldmann fort: Aber iſt es Euch auch ein
wahrer Ernſt, ein rechtſchaffenen Mann in der Welt zu ſeyn,
Gott und Menſchen zu dienen, und alſo auch nach dieſem Le-
ben ſelig zu werden? Da heuchelt nun nicht, ſondern ſeyd auf-
richtig. Habt Ihr den feſt entſchloſſenen Willen?
O ja! verſetzte Stilling, das iſt doch wohl der rechte
Polarſtern, nach welchem ſich endlich, nach vielem Hin- und
Hervagiren, mein Geiſt wie eine Magnetnadel richtet.
Nun, Vetter! erwiederte Goldmann: Nun will ich Euch
eure Nativitaͤt ſtellen, und die ſoll zuverlaͤßig ſeyn. Hoͤrt mir
zu! „Gott verabſcheut nichts mehr, als den eiteln Stolz und
die Ehrbegierde, ſeinen Nebenmenſchen, der oft beſſer iſt, als
wir, tief unter ſich zu ſehen; das iſt verdorbene menſchliche
Natur. Aber er liebt auch den Mann, der im Stillen und
Verborgenen zum Wohl der Menſchen arbeitet, und nicht
wuͤnſcht, offenbar zu ſeyn. Dieſen zieht Er durch Seine guͤ-
tige Leitung, gegen ſeinen Willen endlich hervor und ſetzt ihn
hoch hinauf. Da ſitzt dann der rechtſchaffene Mann — ohne
Gefahr, geſtuͤrzt zu werden, und weil ihn die Laſt der Erhoͤ-
hung niederdruͤckt, ſo betrachtet er alle Menſchen neben ſich ſo
gut als ſich ſelbſt. Seht, Vetter! das iſt wahre, edle, ver-
beſſerte oder wiedergeborene Menſchennatur. Nun will ich
weiſſagen, was Euch widerfahren wird: Gott wird durch eine
lange und ſchwere Fuͤhrung alle eure eiteln Wuͤnſche ſuchen
abzufegen; gelingt Ihm dieſes, ſo werdet ihr endlich nach vie-
len ſchweren Proben ein gluͤcklicher, großer Mann und ein
vortreffliches Werkzeug Gottes werden! Wenn Ihr aber nicht
folgt, ſo werdet Ihr Euch vielleicht bald hoch ſchwingen, und
einen entſetzlichen Fall thun, der allen Menſchen, die es hoͤren
werden, in die Ohren gellen wird!“
Stilling wußte nicht wie ihm ward, alle dieſe Worte
waren, als wenn ſie Goldmann in ſeiner Seele geleſen
haͤtte. Er fuͤhlte dieſe Wahrheit im Grund ſeines Herzens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/177>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.