ein und ließ sich melden. Der Herr Goldmann kam die Treppe herabgelaufen und rief: Ei willkommen, Vetter Stil- ling! Willkommen in meinem Haus! Er führte ihn die Treppe hinauf. Seine Liebste empfing ihn ebenfalls freundlich und machte Anstalten, daß er trockene Kleider an den Leib bekam, und die seinigen wiederum trocken wurden, hernach setzte man sich zu Tisch. Während des Essens mußte Stilling seine Geschichte erzählen; als das geschehen war, sagte Herr Gold- mann: Vetter! es muß doch etwas in eurer Lebensart seyn, das den Leuten mißfällt, sonst wär' es unmöglich, so unglück- lich zu seyn. Ich werde es bald bemerken, wenn Ihr einige Tage bei mir gewesen seyd, ich will's Euch dann sagen, und Ihr müßt es suchen abzuändern. Stilling lächelte und ant- wortete: Ich will mich freuen, Herr Vetter! wenn Sie mir meine Fehler sagen, aber ich weiß ganz wohl, wo der Knoten sitzt, und den will ich Ihnen aufknüpfen: Ich lebe nicht in dem Beruf, zu welchem ich geboren bin, ich thue alles mit Zwang, und deßwegen ist auch kein Segen dabei.
Goldmann schüttelte den Kopf und erwiederte: Ei! Ei! wozu solltet Ihr geboren seyn? Ich glaube, Ihr habt Euch durch euer Romanlesen unmögliche Dinge in den Kopf gesetzt. Die Glücksfälle, welche die Phantasie der Dichter ihren Hel- den andichtet, setzen sich in Kopf und Herz fest, und erwecken einen Hunger nach dergleichen wunderbaren Veränderungen.
Stilling schwieg eine Weile, sah vor sich nieder; endlich blickte er seinen Vetter durchdringend an und sagte mit Nach- druck: Nein! bei den Romanen fühl' ich nur, mir ists, als wenn mir alles selbst widerführe, was ich lese; aber ich habe gar keine Lust, solche Schicksale zu erleben. Es ist was an- ders, lieber Herr Vetter! ich habe Lust zu Wissenschaften, wenn ich nur einen Beruf hätte, in welchem ich mit Kopfarbeit mein Brod erwerben könnte, so wäre mein Wunsch erfüllt.
Goldmann versetzte: Nun so untersucht einmal diesen Trieb unparteiisch. Ist nicht Ruhm und Ehrbegierde damit verknüpft? Habt Ihr nicht süße Vorstellungen davon, wenn Ihr in einem schönen Kleid und herrschaftlichen Aufzug einher- treten könntet? Wenn die Leute sich bücken und den Hut vor
ein und ließ ſich melden. Der Herr Goldmann kam die Treppe herabgelaufen und rief: Ei willkommen, Vetter Stil- ling! Willkommen in meinem Haus! Er fuͤhrte ihn die Treppe hinauf. Seine Liebſte empfing ihn ebenfalls freundlich und machte Anſtalten, daß er trockene Kleider an den Leib bekam, und die ſeinigen wiederum trocken wurden, hernach ſetzte man ſich zu Tiſch. Waͤhrend des Eſſens mußte Stilling ſeine Geſchichte erzaͤhlen; als das geſchehen war, ſagte Herr Gold- mann: Vetter! es muß doch etwas in eurer Lebensart ſeyn, das den Leuten mißfaͤllt, ſonſt waͤr’ es unmoͤglich, ſo ungluͤck- lich zu ſeyn. Ich werde es bald bemerken, wenn Ihr einige Tage bei mir geweſen ſeyd, ich will’s Euch dann ſagen, und Ihr muͤßt es ſuchen abzuaͤndern. Stilling laͤchelte und ant- wortete: Ich will mich freuen, Herr Vetter! wenn Sie mir meine Fehler ſagen, aber ich weiß ganz wohl, wo der Knoten ſitzt, und den will ich Ihnen aufknuͤpfen: Ich lebe nicht in dem Beruf, zu welchem ich geboren bin, ich thue alles mit Zwang, und deßwegen iſt auch kein Segen dabei.
Goldmann ſchuͤttelte den Kopf und erwiederte: Ei! Ei! wozu ſolltet Ihr geboren ſeyn? Ich glaube, Ihr habt Euch durch euer Romanleſen unmoͤgliche Dinge in den Kopf geſetzt. Die Gluͤcksfaͤlle, welche die Phantaſie der Dichter ihren Hel- den andichtet, ſetzen ſich in Kopf und Herz feſt, und erwecken einen Hunger nach dergleichen wunderbaren Veraͤnderungen.
Stilling ſchwieg eine Weile, ſah vor ſich nieder; endlich blickte er ſeinen Vetter durchdringend an und ſagte mit Nach- druck: Nein! bei den Romanen fuͤhl’ ich nur, mir iſts, als wenn mir alles ſelbſt widerfuͤhre, was ich leſe; aber ich habe gar keine Luſt, ſolche Schickſale zu erleben. Es iſt was an- ders, lieber Herr Vetter! ich habe Luſt zu Wiſſenſchaften, wenn ich nur einen Beruf haͤtte, in welchem ich mit Kopfarbeit mein Brod erwerben koͤnnte, ſo waͤre mein Wunſch erfuͤllt.
Goldmann verſetzte: Nun ſo unterſucht einmal dieſen Trieb unparteiiſch. Iſt nicht Ruhm und Ehrbegierde damit verknuͤpft? Habt Ihr nicht ſuͤße Vorſtellungen davon, wenn Ihr in einem ſchoͤnen Kleid und herrſchaftlichen Aufzug einher- treten koͤnntet? Wenn die Leute ſich buͤcken und den Hut vor
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0176"n="168"/>
ein und ließ ſich melden. Der Herr <hirendition="#g">Goldmann</hi> kam die<lb/>
Treppe herabgelaufen und rief: Ei willkommen, Vetter <hirendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi>! Willkommen in meinem Haus! Er fuͤhrte ihn die Treppe<lb/>
hinauf. Seine Liebſte empfing ihn ebenfalls freundlich und<lb/>
machte Anſtalten, daß er trockene Kleider an den Leib bekam,<lb/>
und die ſeinigen wiederum trocken wurden, hernach ſetzte man<lb/>ſich zu Tiſch. Waͤhrend des Eſſens mußte <hirendition="#g">Stilling</hi>ſeine<lb/>
Geſchichte erzaͤhlen; als das geſchehen war, ſagte Herr <hirendition="#g">Gold-<lb/>
mann</hi>: Vetter! es muß doch etwas in eurer Lebensart ſeyn,<lb/>
das den Leuten mißfaͤllt, ſonſt waͤr’ es unmoͤglich, ſo ungluͤck-<lb/>
lich zu ſeyn. Ich werde es bald bemerken, wenn Ihr einige<lb/>
Tage bei mir geweſen ſeyd, ich will’s Euch dann ſagen, und<lb/>
Ihr muͤßt es ſuchen abzuaͤndern. <hirendition="#g">Stilling</hi> laͤchelte und ant-<lb/>
wortete: Ich will mich freuen, Herr Vetter! wenn Sie mir<lb/>
meine Fehler ſagen, aber ich weiß ganz wohl, wo der Knoten<lb/>ſitzt, und den will ich Ihnen aufknuͤpfen: Ich lebe nicht in<lb/>
dem Beruf, zu welchem ich geboren bin, ich thue alles mit<lb/>
Zwang, und deßwegen iſt auch kein Segen dabei.</p><lb/><p><hirendition="#g">Goldmann</hi>ſchuͤttelte den Kopf und erwiederte: Ei! Ei!<lb/>
wozu ſolltet Ihr geboren ſeyn? Ich glaube, Ihr habt Euch<lb/>
durch euer Romanleſen unmoͤgliche Dinge in den Kopf geſetzt.<lb/>
Die Gluͤcksfaͤlle, welche die Phantaſie der Dichter ihren Hel-<lb/>
den andichtet, ſetzen ſich in Kopf und Herz feſt, und erwecken<lb/>
einen Hunger nach dergleichen wunderbaren Veraͤnderungen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Stilling</hi>ſchwieg eine Weile, ſah vor ſich nieder; endlich<lb/>
blickte er ſeinen Vetter durchdringend an und ſagte mit Nach-<lb/>
druck: Nein! bei den Romanen fuͤhl’ ich nur, mir iſts, als<lb/>
wenn mir alles ſelbſt widerfuͤhre, was ich leſe; aber ich habe<lb/>
gar keine Luſt, ſolche Schickſale zu erleben. Es iſt was an-<lb/>
ders, lieber Herr Vetter! ich habe Luſt zu Wiſſenſchaften, wenn<lb/>
ich nur einen Beruf haͤtte, in welchem ich mit Kopfarbeit mein<lb/>
Brod erwerben koͤnnte, ſo waͤre mein Wunſch erfuͤllt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Goldmann</hi> verſetzte: Nun ſo unterſucht einmal dieſen<lb/>
Trieb unparteiiſch. Iſt nicht Ruhm und Ehrbegierde damit<lb/>
verknuͤpft? Habt Ihr nicht ſuͤße Vorſtellungen davon, wenn<lb/>
Ihr in einem ſchoͤnen Kleid und herrſchaftlichen Aufzug einher-<lb/>
treten koͤnntet? Wenn die Leute ſich buͤcken und den Hut vor<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[168/0176]
ein und ließ ſich melden. Der Herr Goldmann kam die
Treppe herabgelaufen und rief: Ei willkommen, Vetter Stil-
ling! Willkommen in meinem Haus! Er fuͤhrte ihn die Treppe
hinauf. Seine Liebſte empfing ihn ebenfalls freundlich und
machte Anſtalten, daß er trockene Kleider an den Leib bekam,
und die ſeinigen wiederum trocken wurden, hernach ſetzte man
ſich zu Tiſch. Waͤhrend des Eſſens mußte Stilling ſeine
Geſchichte erzaͤhlen; als das geſchehen war, ſagte Herr Gold-
mann: Vetter! es muß doch etwas in eurer Lebensart ſeyn,
das den Leuten mißfaͤllt, ſonſt waͤr’ es unmoͤglich, ſo ungluͤck-
lich zu ſeyn. Ich werde es bald bemerken, wenn Ihr einige
Tage bei mir geweſen ſeyd, ich will’s Euch dann ſagen, und
Ihr muͤßt es ſuchen abzuaͤndern. Stilling laͤchelte und ant-
wortete: Ich will mich freuen, Herr Vetter! wenn Sie mir
meine Fehler ſagen, aber ich weiß ganz wohl, wo der Knoten
ſitzt, und den will ich Ihnen aufknuͤpfen: Ich lebe nicht in
dem Beruf, zu welchem ich geboren bin, ich thue alles mit
Zwang, und deßwegen iſt auch kein Segen dabei.
Goldmann ſchuͤttelte den Kopf und erwiederte: Ei! Ei!
wozu ſolltet Ihr geboren ſeyn? Ich glaube, Ihr habt Euch
durch euer Romanleſen unmoͤgliche Dinge in den Kopf geſetzt.
Die Gluͤcksfaͤlle, welche die Phantaſie der Dichter ihren Hel-
den andichtet, ſetzen ſich in Kopf und Herz feſt, und erwecken
einen Hunger nach dergleichen wunderbaren Veraͤnderungen.
Stilling ſchwieg eine Weile, ſah vor ſich nieder; endlich
blickte er ſeinen Vetter durchdringend an und ſagte mit Nach-
druck: Nein! bei den Romanen fuͤhl’ ich nur, mir iſts, als
wenn mir alles ſelbſt widerfuͤhre, was ich leſe; aber ich habe
gar keine Luſt, ſolche Schickſale zu erleben. Es iſt was an-
ders, lieber Herr Vetter! ich habe Luſt zu Wiſſenſchaften, wenn
ich nur einen Beruf haͤtte, in welchem ich mit Kopfarbeit mein
Brod erwerben koͤnnte, ſo waͤre mein Wunſch erfuͤllt.
Goldmann verſetzte: Nun ſo unterſucht einmal dieſen
Trieb unparteiiſch. Iſt nicht Ruhm und Ehrbegierde damit
verknuͤpft? Habt Ihr nicht ſuͤße Vorſtellungen davon, wenn
Ihr in einem ſchoͤnen Kleid und herrſchaftlichen Aufzug einher-
treten koͤnntet? Wenn die Leute ſich buͤcken und den Hut vor
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/176>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.