Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie sollen uns Genugthuung für seine Schmach geben, und
in diesem Fall wollen wir ihn behalten. Sehen Sie hier
unsere Vollmacht.

"Waist ämahl her!" Der Inspektor nahm sie und faßte
sie an, als wenn er sie zerreißen wollte. Rehkopf trat
hinzu, nahm sie ihm aus der Hand und sprach: Herr! las-
sen Sie sich das vergehen! Sie verbrennen, weiß Gott! die
Finger, und ich auch!

"Ihr trotzt mer in maim Haus?"

Wie Sie's nehmen, Herr! Trotz oder nicht!

Der Inspektor zog gelindere Saiten auf und sagte: "Liebä
"Lait! ihr wißt nit, was air Schoolmaister vor'n schlechter
"Mensch is, last mich doch machä!"

Eben das wollen wir wissen, ob er ein schlechter Mensch
ist, versetzte Rehkopf.

"Schräckliche Dinge! Schräckliche Dinge hab' ich von
"dem Kerl k'hört!"

Kann seyn! Ich hab' auch gehört, daß der Herr Inspek-
tor sternvoll besoffen gewesen, als er letzthin zu Kleefeld
Kapellen-Visitation gehalten.

"Was! Was! wer sagt das? wollt'r" --

Still! Still! ich hab's gehört, der Herr Inspektor richtet
nach Hörensagen, so darf ich's auch.

"Wart, ich will euch lärnä."

Herr! Sie lernen mich nichts, und was das Vollsanfen
betrifft, Herr! -- ich stand dabei, wie Sie auf der andern
Seite vom Pferd herunterfielen, als man Sie auf der einen
hinaufgehoben hatte. Wir erklären Ihnen hiemit im Namen
der Kleefelder Gemeinde, daß wir uns den Schulmeister
nicht nehmen lassen, bis er überführt ist, und damit Adje!

Nun gingen sie zusammen nach Haus. Rehkopf ging
den ganzen Abend über die Straßen spazieren, hustete, räusperte
sich, daß man's im ganzen Dorf hören konnte.

Stilling sah sich also wiederum ins größte Labyrinth
versetzt; er fühlte wohl, daß er abermal würde weichen müs-
sen, und was alsdann auf ihn wartete. Unterdessen kam er
doch hinter das ganze Geheimniß seiner Verfolgung.


11 *

Sie ſollen uns Genugthuung fuͤr ſeine Schmach geben, und
in dieſem Fall wollen wir ihn behalten. Sehen Sie hier
unſere Vollmacht.

„Waist aͤmahl her!“ Der Inſpektor nahm ſie und faßte
ſie an, als wenn er ſie zerreißen wollte. Rehkopf trat
hinzu, nahm ſie ihm aus der Hand und ſprach: Herr! laſ-
ſen Sie ſich das vergehen! Sie verbrennen, weiß Gott! die
Finger, und ich auch!

„Ihr trotzt mer in maim Haus?“

Wie Sie’s nehmen, Herr! Trotz oder nicht!

Der Inſpektor zog gelindere Saiten auf und ſagte: „Liebaͤ
„Lait! ihr wißt nit, was air Schoolmaiſter vor’n ſchlechter
„Menſch is, laſt mich doch machaͤ!“

Eben das wollen wir wiſſen, ob er ein ſchlechter Menſch
iſt, verſetzte Rehkopf.

„Schraͤckliche Dinge! Schraͤckliche Dinge hab’ ich von
„dem Kerl k’hoͤrt!“

Kann ſeyn! Ich hab’ auch gehoͤrt, daß der Herr Inſpek-
tor ſternvoll beſoffen geweſen, als er letzthin zu Kleefeld
Kapellen-Viſitation gehalten.

„Was! Was! wer ſagt das? wollt’r“ —

Still! Still! ich hab’s gehoͤrt, der Herr Inſpektor richtet
nach Hoͤrenſagen, ſo darf ich’s auch.

„Wart, ich will euch laͤrnaͤ.“

Herr! Sie lernen mich nichts, und was das Vollſanfen
betrifft, Herr! — ich ſtand dabei, wie Sie auf der andern
Seite vom Pferd herunterfielen, als man Sie auf der einen
hinaufgehoben hatte. Wir erklaͤren Ihnen hiemit im Namen
der Kleefelder Gemeinde, daß wir uns den Schulmeiſter
nicht nehmen laſſen, bis er uͤberfuͤhrt iſt, und damit Adje!

Nun gingen ſie zuſammen nach Haus. Rehkopf ging
den ganzen Abend uͤber die Straßen ſpazieren, huſtete, raͤuſperte
ſich, daß man’s im ganzen Dorf hoͤren konnte.

Stilling ſah ſich alſo wiederum ins groͤßte Labyrinth
verſetzt; er fuͤhlte wohl, daß er abermal wuͤrde weichen muͤſ-
ſen, und was alsdann auf ihn wartete. Unterdeſſen kam er
doch hinter das ganze Geheimniß ſeiner Verfolgung.


11 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0171" n="163"/>
Sie &#x017F;ollen uns Genugthuung fu&#x0364;r &#x017F;eine Schmach geben, und<lb/>
in die&#x017F;em Fall wollen wir ihn behalten. Sehen Sie hier<lb/>
un&#x017F;ere Vollmacht.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Waist a&#x0364;mahl her!&#x201C; Der In&#x017F;pektor nahm &#x017F;ie und faßte<lb/>
&#x017F;ie an, als wenn er &#x017F;ie zerreißen wollte. <hi rendition="#g">Rehkopf</hi> trat<lb/>
hinzu, nahm &#x017F;ie ihm aus der Hand und &#x017F;prach: Herr! la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Sie &#x017F;ich das vergehen! Sie verbrennen, weiß Gott! die<lb/>
Finger, und ich auch!</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ihr trotzt mer in maim Haus?&#x201C;</p><lb/>
            <p>Wie Sie&#x2019;s nehmen, Herr! Trotz oder nicht!</p><lb/>
            <p>Der In&#x017F;pektor zog gelindere Saiten auf und &#x017F;agte: &#x201E;Lieba&#x0364;<lb/>
&#x201E;Lait! ihr wißt nit, was air Schoolmai&#x017F;ter vor&#x2019;n &#x017F;chlechter<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch is, la&#x017F;t mich doch macha&#x0364;!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Eben das wollen wir wi&#x017F;&#x017F;en, ob er ein &#x017F;chlechter Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t, ver&#x017F;etzte <hi rendition="#g">Rehkopf</hi>.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Schra&#x0364;ckliche Dinge! Schra&#x0364;ckliche Dinge hab&#x2019; ich von<lb/>
&#x201E;dem Kerl k&#x2019;ho&#x0364;rt!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Kann &#x017F;eyn! Ich hab&#x2019; auch geho&#x0364;rt, daß der Herr In&#x017F;pek-<lb/>
tor &#x017F;ternvoll be&#x017F;offen gewe&#x017F;en, als er letzthin zu <hi rendition="#g">Kleefeld</hi><lb/>
Kapellen-Vi&#x017F;itation gehalten.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Was! Was! wer &#x017F;agt das? wollt&#x2019;r&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
            <p>Still! Still! ich hab&#x2019;s geho&#x0364;rt, der Herr In&#x017F;pektor richtet<lb/>
nach Ho&#x0364;ren&#x017F;agen, &#x017F;o darf ich&#x2019;s auch.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Wart, ich will euch la&#x0364;rna&#x0364;.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Herr! Sie lernen mich nichts, und was das Voll&#x017F;anfen<lb/>
betrifft, Herr! &#x2014; ich &#x017F;tand dabei, wie Sie auf der andern<lb/>
Seite vom Pferd herunterfielen, als man Sie auf der einen<lb/>
hinaufgehoben hatte. Wir erkla&#x0364;ren Ihnen hiemit im Namen<lb/>
der <hi rendition="#g">Kleefelder</hi> Gemeinde, daß wir uns den Schulmei&#x017F;ter<lb/>
nicht nehmen la&#x017F;&#x017F;en, bis er u&#x0364;berfu&#x0364;hrt i&#x017F;t, und damit Adje!</p><lb/>
            <p>Nun gingen &#x017F;ie zu&#x017F;ammen nach Haus. <hi rendition="#g">Rehkopf</hi> ging<lb/>
den ganzen Abend u&#x0364;ber die Straßen &#x017F;pazieren, hu&#x017F;tete, ra&#x0364;u&#x017F;perte<lb/>
&#x017F;ich, daß man&#x2019;s im ganzen Dorf ho&#x0364;ren konnte.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;ah &#x017F;ich al&#x017F;o wiederum ins gro&#x0364;ßte Labyrinth<lb/>
ver&#x017F;etzt; er fu&#x0364;hlte wohl, daß er abermal wu&#x0364;rde weichen mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, und was alsdann auf ihn wartete. Unterde&#x017F;&#x017F;en kam er<lb/>
doch hinter das ganze Geheimniß &#x017F;einer Verfolgung.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">11 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] Sie ſollen uns Genugthuung fuͤr ſeine Schmach geben, und in dieſem Fall wollen wir ihn behalten. Sehen Sie hier unſere Vollmacht. „Waist aͤmahl her!“ Der Inſpektor nahm ſie und faßte ſie an, als wenn er ſie zerreißen wollte. Rehkopf trat hinzu, nahm ſie ihm aus der Hand und ſprach: Herr! laſ- ſen Sie ſich das vergehen! Sie verbrennen, weiß Gott! die Finger, und ich auch! „Ihr trotzt mer in maim Haus?“ Wie Sie’s nehmen, Herr! Trotz oder nicht! Der Inſpektor zog gelindere Saiten auf und ſagte: „Liebaͤ „Lait! ihr wißt nit, was air Schoolmaiſter vor’n ſchlechter „Menſch is, laſt mich doch machaͤ!“ Eben das wollen wir wiſſen, ob er ein ſchlechter Menſch iſt, verſetzte Rehkopf. „Schraͤckliche Dinge! Schraͤckliche Dinge hab’ ich von „dem Kerl k’hoͤrt!“ Kann ſeyn! Ich hab’ auch gehoͤrt, daß der Herr Inſpek- tor ſternvoll beſoffen geweſen, als er letzthin zu Kleefeld Kapellen-Viſitation gehalten. „Was! Was! wer ſagt das? wollt’r“ — Still! Still! ich hab’s gehoͤrt, der Herr Inſpektor richtet nach Hoͤrenſagen, ſo darf ich’s auch. „Wart, ich will euch laͤrnaͤ.“ Herr! Sie lernen mich nichts, und was das Vollſanfen betrifft, Herr! — ich ſtand dabei, wie Sie auf der andern Seite vom Pferd herunterfielen, als man Sie auf der einen hinaufgehoben hatte. Wir erklaͤren Ihnen hiemit im Namen der Kleefelder Gemeinde, daß wir uns den Schulmeiſter nicht nehmen laſſen, bis er uͤberfuͤhrt iſt, und damit Adje! Nun gingen ſie zuſammen nach Haus. Rehkopf ging den ganzen Abend uͤber die Straßen ſpazieren, huſtete, raͤuſperte ſich, daß man’s im ganzen Dorf hoͤren konnte. Stilling ſah ſich alſo wiederum ins groͤßte Labyrinth verſetzt; er fuͤhlte wohl, daß er abermal wuͤrde weichen muͤſ- ſen, und was alsdann auf ihn wartete. Unterdeſſen kam er doch hinter das ganze Geheimniß ſeiner Verfolgung. 11 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/171
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/171>, abgerufen am 22.11.2024.