Die Eiche saust im Wind. Es klappern an den Wänden Die halbverfaulten Breter, Es rast der wilde Sturm. Dann ist's mir wohl im Dunkeln, Dann fühl' ich tiefen Frieden, Dann ist's mir traurig wohl u. s. w.
Wenn sein Vater guter Laune war, so daß er sich in Etwas an ihn entdecken durfte, so klagte er ihm zuweilen sein inne- res trauriges Gefühl. Wilhelm lächelte dann und sagte: "Das ist etwas, welches wir Stillinge nicht kennen, das "hast du von deiner Mutter geerbt. Wir sind immer gut "Freund mit der Natur, sie mag grün, gelb oder weiß aus- "sehen; wir denken dann: das muß so seyn, und es gefällt "uns. Aber deine selige Mutter hüpfte und tanzte im Früh- "ling, im Sommer war sie munter und geschäftig, im Anfange "des Herbstes fing sie an zu trauern, bis Weihnachten weinte "sie, und dann fing sie an zu hoffen und die Tage zu zählen; "im März lebte sie schon halb wieder auf." Wilhelm lächelte, schüttelte den Kopf und sagte: Es sind doch besondere Dinge! -- Ach, seufzte dann Heinrich oft in seinem Her- zen, möchte sie noch leben, sie würde mich am besten verstehen!
Zuweilen fand Stilling ein Stündchen, das er zum Lesen verwenden konnte, und dann däuchte ihm, als wenn er noch einen fernen Nachgeschmack von den vergangenen seligen Zei- ten genösse, allein es war nur ein vorbeieilender Genuß. Um ihn her wirkten eitle frostige Geister, er fühlte das beständige Treiben des Geldhungers, und der frohe stille Genuß war verschwunden. -- Er beweinte seine Jugend und trauerte um sie, wie ein Bräutigam um seine erblaßte Braut. Allein das alles half nichts, klagen durfte er nicht, und sein Weinen brachte ihm nur Vorwürfe.
Doch hatte er einen einzigen Freund zu Leindorf, der ihn ganz verstand, und dem er alles klagen konnte. Dieser Mensch hieß Caspar und war ein Eisenschmelzer, eine edle Seele, warm für die Religion, mit einem Herzen voller Em- pfindsamkeit. Der November hatte noch schöne Herbsttage,
Die Eiche ſaust im Wind. Es klappern an den Wänden Die halbverfaulten Breter, Es rast der wilde Sturm. Dann iſt’s mir wohl im Dunkeln, Dann fuͤhl’ ich tiefen Frieden, Dann iſt’s mir traurig wohl u. ſ. w.
Wenn ſein Vater guter Laune war, ſo daß er ſich in Etwas an ihn entdecken durfte, ſo klagte er ihm zuweilen ſein inne- res trauriges Gefuͤhl. Wilhelm laͤchelte dann und ſagte: „Das iſt etwas, welches wir Stillinge nicht kennen, das „haſt du von deiner Mutter geerbt. Wir ſind immer gut „Freund mit der Natur, ſie mag gruͤn, gelb oder weiß aus- „ſehen; wir denken dann: das muß ſo ſeyn, und es gefaͤllt „uns. Aber deine ſelige Mutter huͤpfte und tanzte im Fruͤh- „ling, im Sommer war ſie munter und geſchaͤftig, im Anfange „des Herbſtes fing ſie an zu trauern, bis Weihnachten weinte „ſie, und dann fing ſie an zu hoffen und die Tage zu zaͤhlen; „im Maͤrz lebte ſie ſchon halb wieder auf.“ Wilhelm laͤchelte, ſchuͤttelte den Kopf und ſagte: Es ſind doch beſondere Dinge! — Ach, ſeufzte dann Heinrich oft in ſeinem Her- zen, moͤchte ſie noch leben, ſie wuͤrde mich am beſten verſtehen!
Zuweilen fand Stilling ein Stuͤndchen, das er zum Leſen verwenden konnte, und dann daͤuchte ihm, als wenn er noch einen fernen Nachgeſchmack von den vergangenen ſeligen Zei- ten genoͤſſe, allein es war nur ein vorbeieilender Genuß. Um ihn her wirkten eitle froſtige Geiſter, er fuͤhlte das beſtaͤndige Treiben des Geldhungers, und der frohe ſtille Genuß war verſchwunden. — Er beweinte ſeine Jugend und trauerte um ſie, wie ein Braͤutigam um ſeine erblaßte Braut. Allein das alles half nichts, klagen durfte er nicht, und ſein Weinen brachte ihm nur Vorwuͤrfe.
Doch hatte er einen einzigen Freund zu Leindorf, der ihn ganz verſtand, und dem er alles klagen konnte. Dieſer Menſch hieß Caſpar und war ein Eiſenſchmelzer, eine edle Seele, warm fuͤr die Religion, mit einem Herzen voller Em- pfindſamkeit. Der November hatte noch ſchoͤne Herbſttage,
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Die Eiche ſaust im Wind.
Es klappern an den Wänden
Die halbverfaulten Breter,
Es rast der wilde Sturm.
Dann iſt’s mir wohl im Dunkeln,
Dann fuͤhl’ ich tiefen Frieden,
Dann iſt’s mir traurig wohl u. ſ. w.
Wenn ſein Vater guter Laune war, ſo daß er ſich in Etwas
an ihn entdecken durfte, ſo klagte er ihm zuweilen ſein inne-
res trauriges Gefuͤhl. Wilhelm laͤchelte dann und ſagte:
„Das iſt etwas, welches wir Stillinge nicht kennen, das
„haſt du von deiner Mutter geerbt. Wir ſind immer gut
„Freund mit der Natur, ſie mag gruͤn, gelb oder weiß aus-
„ſehen; wir denken dann: das muß ſo ſeyn, und es gefaͤllt
„uns. Aber deine ſelige Mutter huͤpfte und tanzte im Fruͤh-
„ling, im Sommer war ſie munter und geſchaͤftig, im Anfange
„des Herbſtes fing ſie an zu trauern, bis Weihnachten weinte
„ſie, und dann fing ſie an zu hoffen und die Tage zu zaͤhlen;
„im Maͤrz lebte ſie ſchon halb wieder auf.“ Wilhelm laͤchelte,
ſchuͤttelte den Kopf und ſagte: Es ſind doch beſondere
Dinge! — Ach, ſeufzte dann Heinrich oft in ſeinem Her-
zen, moͤchte ſie noch leben, ſie wuͤrde mich am beſten verſtehen!
Zuweilen fand Stilling ein Stuͤndchen, das er zum Leſen
verwenden konnte, und dann daͤuchte ihm, als wenn er noch
einen fernen Nachgeſchmack von den vergangenen ſeligen Zei-
ten genoͤſſe, allein es war nur ein vorbeieilender Genuß. Um
ihn her wirkten eitle froſtige Geiſter, er fuͤhlte das beſtaͤndige
Treiben des Geldhungers, und der frohe ſtille Genuß war
verſchwunden. — Er beweinte ſeine Jugend und trauerte um
ſie, wie ein Braͤutigam um ſeine erblaßte Braut. Allein das
alles half nichts, klagen durfte er nicht, und ſein Weinen
brachte ihm nur Vorwuͤrfe.
Doch hatte er einen einzigen Freund zu Leindorf, der
ihn ganz verſtand, und dem er alles klagen konnte. Dieſer
Menſch hieß Caſpar und war ein Eiſenſchmelzer, eine edle
Seele, warm fuͤr die Religion, mit einem Herzen voller Em-
pfindſamkeit. Der November hatte noch ſchoͤne Herbſttage,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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