"ten sich einen andern Schulmeister wählen. Ihr bleibt als- "dann in Ehren und es wird nicht lange währen, so werdet "ihr eine bessere Schule bekommen, als diese, die ihr bedient "habt. Ich werde euch indessen lieb haben und sorgen, daß "ihr glücklich werden mögt, so viel ich nur kann."
Diese Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er wurde blaß und die Thränen standen ihm in den Augen. Er hatte sich die Sache vorgestellt, wie sie war, und nicht, wie sie ausgelegt werden könnte; doch sah er ein, daß sein Vetter ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm sich vor, in Zukunft äußerst behutsam zu seyn. Doch bedauerte er bei sich selber, daß seine mehrsten Amtsbrüder mit weniger Geschicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Glück genößen, als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu thun, was doch wohl der himmlische Vater noch mit ihm vor- haben möchte. Als er nach Haus kam, kündigte er mit innig- ster Wehmuth seiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte. Der größte Theil erstaunte, der böseste Theil aber war froh, denn sie hatten schon Jemand im Vorschlag, der sich besser zu ihren Absichten schickte, und nun hinderte sie Niemand mehr, dieselben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Töchtern konnten sich am übelsten darein finden, denn Erstere liebte ihn, und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund- schaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder hätte in erstern Brand gerathen können, wenn er sich zärtlicher gegen sie ausge- lassen, oder daß sie eine andere Möglichkeit, den erwünschten Zweck zu erreichen, geäußert hätte. Sie weinten alle drei und fürchteten den Tag des Abschiedes; doch der kam mehr als zu früh. Die Mädchen versanken in stummen Schmerz, Frau Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener; sie hielten an ihm an, sie oft zu besuchen; er versprach das und taumelte wieder mitternachtwärts den Berg hinauf; auf der Höhe sah er sich nochmals nach seinem lieben Preisin- gen um, setzte sich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe singt wohl recht: Mein Leben ist ein Pilgrimstand -- Da geh' ich schon das drittemal wieder an das Schneider- handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,
„ten ſich einen andern Schulmeiſter waͤhlen. Ihr bleibt als- „dann in Ehren und es wird nicht lange waͤhren, ſo werdet „ihr eine beſſere Schule bekommen, als dieſe, die ihr bedient „habt. Ich werde euch indeſſen lieb haben und ſorgen, daß „ihr gluͤcklich werden moͤgt, ſo viel ich nur kann.“
Dieſe Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er wurde blaß und die Thraͤnen ſtanden ihm in den Augen. Er hatte ſich die Sache vorgeſtellt, wie ſie war, und nicht, wie ſie ausgelegt werden koͤnnte; doch ſah er ein, daß ſein Vetter ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm ſich vor, in Zukunft aͤußerſt behutſam zu ſeyn. Doch bedauerte er bei ſich ſelber, daß ſeine mehrſten Amtsbruͤder mit weniger Geſchicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Gluͤck genoͤßen, als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu thun, was doch wohl der himmliſche Vater noch mit ihm vor- haben moͤchte. Als er nach Haus kam, kuͤndigte er mit innig- ſter Wehmuth ſeiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte. Der groͤßte Theil erſtaunte, der boͤſeſte Theil aber war froh, denn ſie hatten ſchon Jemand im Vorſchlag, der ſich beſſer zu ihren Abſichten ſchickte, und nun hinderte ſie Niemand mehr, dieſelben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Toͤchtern konnten ſich am uͤbelſten darein finden, denn Erſtere liebte ihn, und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund- ſchaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder haͤtte in erſtern Brand gerathen koͤnnen, wenn er ſich zaͤrtlicher gegen ſie ausge- laſſen, oder daß ſie eine andere Moͤglichkeit, den erwuͤnſchten Zweck zu erreichen, geaͤußert haͤtte. Sie weinten alle drei und fuͤrchteten den Tag des Abſchiedes; doch der kam mehr als zu fruͤh. Die Maͤdchen verſanken in ſtummen Schmerz, Frau Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener; ſie hielten an ihm an, ſie oft zu beſuchen; er verſprach das und taumelte wieder mitternachtwaͤrts den Berg hinauf; auf der Hoͤhe ſah er ſich nochmals nach ſeinem lieben Preiſin- gen um, ſetzte ſich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe ſingt wohl recht: Mein Leben iſt ein Pilgrimſtand — Da geh’ ich ſchon das drittemal wieder an das Schneider- handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0160"n="152"/>„ten ſich einen andern Schulmeiſter waͤhlen. Ihr bleibt als-<lb/>„dann in Ehren und es wird nicht lange waͤhren, ſo werdet<lb/>„ihr eine beſſere Schule bekommen, als dieſe, die ihr bedient<lb/>„habt. Ich werde euch indeſſen lieb haben und ſorgen, daß<lb/>„ihr gluͤcklich werden moͤgt, ſo viel ich nur kann.“</p><lb/><p>Dieſe Rede drang <hirendition="#g">Stilling</hi> durch Mark und Bein, er<lb/>
wurde blaß und die Thraͤnen ſtanden ihm in den Augen. Er<lb/>
hatte ſich die Sache vorgeſtellt, wie ſie war, und nicht, wie<lb/>ſie ausgelegt werden koͤnnte; doch ſah er ein, daß ſein Vetter<lb/>
ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm<lb/>ſich vor, in Zukunft aͤußerſt behutſam zu ſeyn. Doch bedauerte<lb/>
er bei ſich ſelber, daß ſeine mehrſten Amtsbruͤder mit weniger<lb/>
Geſchicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Gluͤck genoͤßen,<lb/>
als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu<lb/>
thun, was doch wohl der himmliſche Vater noch mit ihm vor-<lb/>
haben moͤchte. Als er nach Haus kam, kuͤndigte er mit innig-<lb/>ſter Wehmuth ſeiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte.<lb/>
Der groͤßte Theil erſtaunte, der boͤſeſte Theil aber war froh,<lb/>
denn ſie hatten ſchon Jemand im Vorſchlag, der ſich beſſer<lb/>
zu ihren Abſichten ſchickte, und nun hinderte ſie Niemand mehr,<lb/>
dieſelben zu erreichen. Die Frau <hirendition="#g">Schmoll</hi> und ihre Toͤchtern<lb/>
konnten ſich am uͤbelſten darein finden, denn Erſtere liebte ihn,<lb/>
und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund-<lb/>ſchaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder haͤtte in erſtern<lb/>
Brand gerathen koͤnnen, wenn er ſich zaͤrtlicher gegen ſie ausge-<lb/>
laſſen, oder daß ſie eine andere Moͤglichkeit, den erwuͤnſchten<lb/>
Zweck zu erreichen, geaͤußert haͤtte. Sie weinten alle drei und<lb/>
fuͤrchteten den Tag des Abſchiedes; doch der kam mehr als<lb/>
zu fruͤh. Die Maͤdchen verſanken in ſtummen Schmerz, Frau<lb/><hirendition="#g">Schmoll</hi> aber weinte; <hirendition="#g">Stilling</hi> ging wie ein Trunkener;<lb/>ſie hielten an ihm an, ſie oft zu beſuchen; er verſprach das<lb/>
und taumelte wieder mitternachtwaͤrts den Berg hinauf; auf<lb/>
der Hoͤhe ſah er ſich nochmals nach ſeinem lieben <hirendition="#g">Preiſin-<lb/>
gen</hi> um, ſetzte ſich hin und weinte. Ja! dachte er, <hirendition="#g">Lampe</hi><lb/>ſingt wohl recht: <hirendition="#g">Mein Leben iſt ein Pilgrimſtand</hi><lb/>— Da geh’ ich ſchon das drittemal wieder an das Schneider-<lb/>
handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[152/0160]
„ten ſich einen andern Schulmeiſter waͤhlen. Ihr bleibt als-
„dann in Ehren und es wird nicht lange waͤhren, ſo werdet
„ihr eine beſſere Schule bekommen, als dieſe, die ihr bedient
„habt. Ich werde euch indeſſen lieb haben und ſorgen, daß
„ihr gluͤcklich werden moͤgt, ſo viel ich nur kann.“
Dieſe Rede drang Stilling durch Mark und Bein, er
wurde blaß und die Thraͤnen ſtanden ihm in den Augen. Er
hatte ſich die Sache vorgeſtellt, wie ſie war, und nicht, wie
ſie ausgelegt werden koͤnnte; doch ſah er ein, daß ſein Vetter
ganz recht hatte; er war nun abermal gewitzigt, und er nahm
ſich vor, in Zukunft aͤußerſt behutſam zu ſeyn. Doch bedauerte
er bei ſich ſelber, daß ſeine mehrſten Amtsbruͤder mit weniger
Geſchicklichkeit und Fleiß, doch mehr Ruhe und Gluͤck genoͤßen,
als er, und er begann einen dunkeln Blick in die Zukunft zu
thun, was doch wohl der himmliſche Vater noch mit ihm vor-
haben moͤchte. Als er nach Haus kam, kuͤndigte er mit innig-
ſter Wehmuth ſeiner Gemeinde an, daß er abdanken wollte.
Der groͤßte Theil erſtaunte, der boͤſeſte Theil aber war froh,
denn ſie hatten ſchon Jemand im Vorſchlag, der ſich beſſer
zu ihren Abſichten ſchickte, und nun hinderte ſie Niemand mehr,
dieſelben zu erreichen. Die Frau Schmoll und ihre Toͤchtern
konnten ſich am uͤbelſten darein finden, denn Erſtere liebte ihn,
und die beiden Letztern hatten ihre Liebe in eine herzliche Freund-
ſchaft verwandelt, die aber doch gar leicht wieder haͤtte in erſtern
Brand gerathen koͤnnen, wenn er ſich zaͤrtlicher gegen ſie ausge-
laſſen, oder daß ſie eine andere Moͤglichkeit, den erwuͤnſchten
Zweck zu erreichen, geaͤußert haͤtte. Sie weinten alle drei und
fuͤrchteten den Tag des Abſchiedes; doch der kam mehr als
zu fruͤh. Die Maͤdchen verſanken in ſtummen Schmerz, Frau
Schmoll aber weinte; Stilling ging wie ein Trunkener;
ſie hielten an ihm an, ſie oft zu beſuchen; er verſprach das
und taumelte wieder mitternachtwaͤrts den Berg hinauf; auf
der Hoͤhe ſah er ſich nochmals nach ſeinem lieben Preiſin-
gen um, ſetzte ſich hin und weinte. Ja! dachte er, Lampe
ſingt wohl recht: Mein Leben iſt ein Pilgrimſtand
— Da geh’ ich ſchon das drittemal wieder an das Schneider-
handwerk, wann mag es doch wohl endlich Gott gefallen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/160>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.