Schnupftabaksdose, klopfte ihm auf die Schulter, und sagte: Nehmt einmal ein Prischen, wir erleben noch etwas zusam- men. Stilling lächelte dann, nahm's und sagte: Der Herr wird's ersehen! Dieses währte so fort, bis ins zweite Jahr seines Schulamts zu Preisingen. Da fingen die beiden Mädchen an, ihre Liebe gegen den Schulmeister mehr und mehr zu äußern; Maria bekam Muth, sich kla- rer zu entdecken, und die Hindernisse demselben leichter zu machen; er fühlte recht innig, daß er sie lieben könnte, aber ihm graute vor den Folgen; daher fuhr er fort, jedem Ge- danken an sie zu widerstehen, doch war er kmmer ins Geheim zärtlich gegen sie; es war ihm unmöglich, spröde zu seyn. Anna sah das und verzweifelte; sie entdeckte sich nicht, schwieg und verbiß ihren Gram. Stilling merkte aber da- von nichts, er ahnete nicht einmal etwas Verdrießliches, sonst würde er klug genug gewesen seyn, um ihr auch zärtlich zu begegnen. Sie wurde still und melancholisch; niemand wußte, was ihr fehlte. Man suchte ihr allerhand Verände- rungen zu machen, aber alles war vergebens. Endlich wünschte sie, ihre Tante zu besuchen, die eine starke Stunde von Prei- singen, nahe bei der Stadt Salen, wohnte. Man er- laubte ihr dieses gern, und sie ging mit einer Magd, welche desselbigen Abends wieder kam, und versicherte, daß sie ganz munter geworden sey, als sie zu ihrer Freundin gekommen wäre. Nach einigen Tagen fing man an, sie zu erwarten; allein sie blieb aus, und man hörte und sah gar keine Nach- richt von da her. Die Frau Schmoll fing an zu sorgen, sie konnte nicht begreifen, wo das Mädchen bliebe; sie fuhr alle- mal zusammen, wenn des Abends die Thür aufging, und fürchtete eine Trauerpost zu hören. Des folgenden Samstags Mittags ersuchte sie den Schulmeister, ihr Annchen wieder zu holen, er war nicht abgeneigt dazu, machte sich fertig und ging fort.
Es war spät im Oktober, die Sonne stand niedrig in Sü- den, an den Bäumen hing noch da und dort ein grünes Blatt, und ein kältlicher Ostwind pfiff in den blätterlosen Birken. Er mußte über eine große, lange Haide gehen; hier fühlte
Schnupftabaksdoſe, klopfte ihm auf die Schulter, und ſagte: Nehmt einmal ein Prischen, wir erleben noch etwas zuſam- men. Stilling laͤchelte dann, nahm’s und ſagte: Der Herr wird’s erſehen! Dieſes waͤhrte ſo fort, bis ins zweite Jahr ſeines Schulamts zu Preiſingen. Da fingen die beiden Maͤdchen an, ihre Liebe gegen den Schulmeiſter mehr und mehr zu aͤußern; Maria bekam Muth, ſich kla- rer zu entdecken, und die Hinderniſſe demſelben leichter zu machen; er fuͤhlte recht innig, daß er ſie lieben koͤnnte, aber ihm graute vor den Folgen; daher fuhr er fort, jedem Ge- danken an ſie zu widerſtehen, doch war er kmmer ins Geheim zaͤrtlich gegen ſie; es war ihm unmoͤglich, ſproͤde zu ſeyn. Anna ſah das und verzweifelte; ſie entdeckte ſich nicht, ſchwieg und verbiß ihren Gram. Stilling merkte aber da- von nichts, er ahnete nicht einmal etwas Verdrießliches, ſonſt wuͤrde er klug genug geweſen ſeyn, um ihr auch zaͤrtlich zu begegnen. Sie wurde ſtill und melancholiſch; niemand wußte, was ihr fehlte. Man ſuchte ihr allerhand Veraͤnde- rungen zu machen, aber alles war vergebens. Endlich wuͤnſchte ſie, ihre Tante zu beſuchen, die eine ſtarke Stunde von Prei- ſingen, nahe bei der Stadt Salen, wohnte. Man er- laubte ihr dieſes gern, und ſie ging mit einer Magd, welche deſſelbigen Abends wieder kam, und verſicherte, daß ſie ganz munter geworden ſey, als ſie zu ihrer Freundin gekommen waͤre. Nach einigen Tagen fing man an, ſie zu erwarten; allein ſie blieb aus, und man hoͤrte und ſah gar keine Nach- richt von da her. Die Frau Schmoll fing an zu ſorgen, ſie konnte nicht begreifen, wo das Maͤdchen bliebe; ſie fuhr alle- mal zuſammen, wenn des Abends die Thuͤr aufging, und fuͤrchtete eine Trauerpoſt zu hoͤren. Des folgenden Samſtags Mittags erſuchte ſie den Schulmeiſter, ihr Annchen wieder zu holen, er war nicht abgeneigt dazu, machte ſich fertig und ging fort.
Es war ſpaͤt im Oktober, die Sonne ſtand niedrig in Suͤ- den, an den Baͤumen hing noch da und dort ein gruͤnes Blatt, und ein kaͤltlicher Oſtwind pfiff in den blaͤtterloſen Birken. Er mußte uͤber eine große, lange Haide gehen; hier fuͤhlte
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Schnupftabaksdoſe, klopfte ihm auf die Schulter, und ſagte:
Nehmt einmal ein Prischen, wir erleben noch etwas zuſam-
men. Stilling laͤchelte dann, nahm’s und ſagte: Der
Herr wird’s erſehen! Dieſes waͤhrte ſo fort, bis ins
zweite Jahr ſeines Schulamts zu Preiſingen. Da fingen
die beiden Maͤdchen an, ihre Liebe gegen den Schulmeiſter
mehr und mehr zu aͤußern; Maria bekam Muth, ſich kla-
rer zu entdecken, und die Hinderniſſe demſelben leichter zu
machen; er fuͤhlte recht innig, daß er ſie lieben koͤnnte, aber
ihm graute vor den Folgen; daher fuhr er fort, jedem Ge-
danken an ſie zu widerſtehen, doch war er kmmer ins Geheim
zaͤrtlich gegen ſie; es war ihm unmoͤglich, ſproͤde zu ſeyn.
Anna ſah das und verzweifelte; ſie entdeckte ſich nicht,
ſchwieg und verbiß ihren Gram. Stilling merkte aber da-
von nichts, er ahnete nicht einmal etwas Verdrießliches,
ſonſt wuͤrde er klug genug geweſen ſeyn, um ihr auch zaͤrtlich
zu begegnen. Sie wurde ſtill und melancholiſch; niemand
wußte, was ihr fehlte. Man ſuchte ihr allerhand Veraͤnde-
rungen zu machen, aber alles war vergebens. Endlich wuͤnſchte
ſie, ihre Tante zu beſuchen, die eine ſtarke Stunde von Prei-
ſingen, nahe bei der Stadt Salen, wohnte. Man er-
laubte ihr dieſes gern, und ſie ging mit einer Magd, welche
deſſelbigen Abends wieder kam, und verſicherte, daß ſie ganz
munter geworden ſey, als ſie zu ihrer Freundin gekommen
waͤre. Nach einigen Tagen fing man an, ſie zu erwarten;
allein ſie blieb aus, und man hoͤrte und ſah gar keine Nach-
richt von da her. Die Frau Schmoll fing an zu ſorgen, ſie
konnte nicht begreifen, wo das Maͤdchen bliebe; ſie fuhr alle-
mal zuſammen, wenn des Abends die Thuͤr aufging, und
fuͤrchtete eine Trauerpoſt zu hoͤren. Des folgenden Samſtags
Mittags erſuchte ſie den Schulmeiſter, ihr Annchen wieder
zu holen, er war nicht abgeneigt dazu, machte ſich fertig und
ging fort.
Es war ſpaͤt im Oktober, die Sonne ſtand niedrig in Suͤ-
den, an den Baͤumen hing noch da und dort ein gruͤnes Blatt,
und ein kaͤltlicher Oſtwind pfiff in den blaͤtterloſen Birken.
Er mußte uͤber eine große, lange Haide gehen; hier fuͤhlte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/150>, abgerufen am 23.11.2024.
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