erblicken, hätte nicht Stilling selbst uns hochbetheuernd versichert, daß, mit Ausnahme der Namen und einiger Verzierungen, Alles wahr sey.
Sein Leben nämlich stellt, nach seinen Hauptwende- punkten betrachtet, eine Erhebung von der niedrigsten, dunkelsten Lage zur glänzendsten Stellung dar, die Stilling als Professor, Hofrath und als weltberühmter Volks- schriftsteller einnahm, und wie es also schon im Allge- meinen das Daseyn einer für ihre Verehrer gütig sorgenden Vorsehung bekundet, so ist es auch im Einzelnen voll von Spuren göttlicher Hilfe, welche, in so viele Bedrängnisse auch Stilling kam, doch nie ausblieb.
Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, wurde 1740 zu Grund im Nassau'schen geboren. Sein Vater, Schul- meister und Schneider, verlor frühe seine Frau, eines armen Pfarrers Tochter. Die religiöse Richtung dieses Mannes wurde durch diesen Verlust noch strenger und ernster. In der dürftigsten Lage, zurückgezogen von aller Welt, lebte der Vater. Beten, Lesen und Schreiben war die einzige Beschäftigung des Kindes, äußerst streng über- haupt seine Erziehung. Aber eben diese Erziehung war in mehrfacher Beziehung geeignet, Stilling zu dem großen religiösen Volksschriftsteller zu bilden, als der er später auftritt. Vor Allem fand hier sein religiös fühlender und denkender Geist noch das ungeschminkte, frische und lautere Christenthum. In einem höheren Stande geboren und in der großen Welt erzogen, wäre er vielleicht dem Geiste des religiösen Indifferentismus frühe erlegen. Nur ein auf einem so frischen und kräftigen religiösen Boden, wie der unbefangene, aber eben darum starke Glauben mancher den niederen Volksklassen angehörenden Individuen ist, nur ein also aufgewachsener Sproß konnte so, wie Stilling, sicher dem Sturme des in Unglauben versunkenen Zeit- geistes Trotz bieten. Zudem war es gerade die Abge- schlossenheit, welche zur Entwickelung des Geistes Stilling's indirect am meisten beitrug; denn er hatte hier Gelegen- heit, sich in seiner Originalität frei und beinahe rein aus sich zu entfalten. Eine lebhafte Phantasie war ihm ange-
erblicken, hätte nicht Stilling ſelbſt uns hochbetheuernd verſichert, daß, mit Ausnahme der Namen und einiger Verzierungen, Alles wahr ſey.
Sein Leben nämlich ſtellt, nach ſeinen Hauptwende- punkten betrachtet, eine Erhebung von der niedrigſten, dunkelſten Lage zur glänzendſten Stellung dar, die Stilling als Profeſſor, Hofrath und als weltberühmter Volks- ſchriftſteller einnahm, und wie es alſo ſchon im Allge- meinen das Daſeyn einer für ihre Verehrer gütig ſorgenden Vorſehung bekundet, ſo iſt es auch im Einzelnen voll von Spuren göttlicher Hilfe, welche, in ſo viele Bedrängniſſe auch Stilling kam, doch nie ausblieb.
Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, wurde 1740 zu Grund im Naſſau’ſchen geboren. Sein Vater, Schul- meiſter und Schneider, verlor frühe ſeine Frau, eines armen Pfarrers Tochter. Die religiöſe Richtung dieſes Mannes wurde durch dieſen Verluſt noch ſtrenger und ernſter. In der dürftigſten Lage, zurückgezogen von aller Welt, lebte der Vater. Beten, Leſen und Schreiben war die einzige Beſchäftigung des Kindes, äußerſt ſtreng über- haupt ſeine Erziehung. Aber eben dieſe Erziehung war in mehrfacher Beziehung geeignet, Stilling zu dem großen religiöſen Volksſchriftſteller zu bilden, als der er ſpäter auftritt. Vor Allem fand hier ſein religiös fühlender und denkender Geiſt noch das ungeſchminkte, friſche und lautere Chriſtenthum. In einem höheren Stande geboren und in der großen Welt erzogen, wäre er vielleicht dem Geiſte des religiöſen Indifferentismus frühe erlegen. Nur ein auf einem ſo friſchen und kräftigen religiöſen Boden, wie der unbefangene, aber eben darum ſtarke Glauben mancher den niederen Volksklaſſen angehörenden Individuen iſt, nur ein alſo aufgewachſener Sproß konnte ſo, wie Stilling, ſicher dem Sturme des in Unglauben verſunkenen Zeit- geiſtes Trotz bieten. Zudem war es gerade die Abge- ſchloſſenheit, welche zur Entwickelung des Geiſtes Stilling’s indirect am meiſten beitrug; denn er hatte hier Gelegen- heit, ſich in ſeiner Originalität frei und beinahe rein aus ſich zu entfalten. Eine lebhafte Phantaſie war ihm ange-
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erblicken, hätte nicht Stilling ſelbſt uns hochbetheuernd
verſichert, daß, mit Ausnahme der Namen und einiger
Verzierungen, Alles wahr ſey.
Sein Leben nämlich ſtellt, nach ſeinen Hauptwende-
punkten betrachtet, eine Erhebung von der niedrigſten,
dunkelſten Lage zur glänzendſten Stellung dar, die Stilling
als Profeſſor, Hofrath und als weltberühmter Volks-
ſchriftſteller einnahm, und wie es alſo ſchon im Allge-
meinen das Daſeyn einer für ihre Verehrer gütig ſorgenden
Vorſehung bekundet, ſo iſt es auch im Einzelnen voll von
Spuren göttlicher Hilfe, welche, in ſo viele Bedrängniſſe
auch Stilling kam, doch nie ausblieb.
Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, wurde 1740
zu Grund im Naſſau’ſchen geboren. Sein Vater, Schul-
meiſter und Schneider, verlor frühe ſeine Frau, eines
armen Pfarrers Tochter. Die religiöſe Richtung dieſes
Mannes wurde durch dieſen Verluſt noch ſtrenger und
ernſter. In der dürftigſten Lage, zurückgezogen von aller
Welt, lebte der Vater. Beten, Leſen und Schreiben war
die einzige Beſchäftigung des Kindes, äußerſt ſtreng über-
haupt ſeine Erziehung. Aber eben dieſe Erziehung war in
mehrfacher Beziehung geeignet, Stilling zu dem großen
religiöſen Volksſchriftſteller zu bilden, als der er ſpäter
auftritt. Vor Allem fand hier ſein religiös fühlender und
denkender Geiſt noch das ungeſchminkte, friſche und lautere
Chriſtenthum. In einem höheren Stande geboren und in
der großen Welt erzogen, wäre er vielleicht dem Geiſte
des religiöſen Indifferentismus frühe erlegen. Nur ein
auf einem ſo friſchen und kräftigen religiöſen Boden, wie
der unbefangene, aber eben darum ſtarke Glauben mancher
den niederen Volksklaſſen angehörenden Individuen iſt,
nur ein alſo aufgewachſener Sproß konnte ſo, wie Stilling,
ſicher dem Sturme des in Unglauben verſunkenen Zeit-
geiſtes Trotz bieten. Zudem war es gerade die Abge-
ſchloſſenheit, welche zur Entwickelung des Geiſtes Stilling’s
indirect am meiſten beitrug; denn er hatte hier Gelegen-
heit, ſich in ſeiner Originalität frei und beinahe rein aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/15>, abgerufen am 02.10.2024.
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