ihm der Plan dieses Romans ein Meisterstück der Erdichtung zu seyn, und der Verfasser desselben war in seinen Augen der größte Poet, den jemals Deutschland hervorgebracht hatte. Als er im Lesen dahin kam, wo Balacin seine Banise im Tempel errettet und den Chaumigrem ermordet, so überlief ihn der Schauer der Empfindung dergestalt, daß er fortlief, in einen geheimen Winkel niederkniete und Gott dankte, daß er doch endlich den Gottlosen ihren Lohn auf ihr Haupt bezahlte und die Unschuld auf den Thron setzte. Er vergoß milde Thränen und las mit eben der Wärme auch den zwei- ten Theil durch. Dieser gefiel ihm noch besser; der Plan ist verwickelter und im Ganzen mehr romantisch. Darauf las er die zwei Quartbände von der Geschichte des christlichen deut- schen Großfürsten Hercules und der königlich böhmischen Prinzessin Valiska, und dieses Buch gefiel ihm gleichfalls über die Maßen; er las es im Sommer während der Heu- erndte, als er einige Tage Ferien hatte, an einander ganz durch und vergaß die ganze Welt dabei. Was das für eine Glückseligkeit sey, eine solche neue Schöpfung von Geschichten zu lesen, gleichsam mit anzusehen und alles mit den handeln- den Personen zu empfinden, das läßt sich nur deneu sagen, die ein Stillings-Herz haben.
Es war einmal eine Zeit, da man sagte: der Hercules, die Banise und dergleichen, ist das größte Buch, das Deutsch- land hervorgebracht hat. Es war auch einmal eine Zeit, da mußten die Hüte der Mannspersonen dreieckigt hoch in die Luft stehen, je höher, je schöner. Der Kopfputz der Weiber und Jungfrauen stand derweil in die Quere, je breiter, je bes- ser. Jetzt lacht man der Banise und des Hercules, eben so, wie man eines Hagestolzen lacht, der noch mit hohem Hut, steifen Rockstößen und ellenlangen herabhängenden Auf- schlägen einhertritt. Anstatt dessen trägt man Hütchen, Röck- chen, Manschettchen, liest Amonrettchen und bundscheckigte Romänchen, und wird unter der Hand so klein, daß man einen Mann aus dem vorigen Jahrhundert wie einen Riesen ansieht, der von Grobheit strotzt. Dank sey's vorab Klopstock, und die Reihe herunter bis auf -- daß sie dem undeutschen
ihm der Plan dieſes Romans ein Meiſterſtuͤck der Erdichtung zu ſeyn, und der Verfaſſer deſſelben war in ſeinen Augen der groͤßte Poet, den jemals Deutſchland hervorgebracht hatte. Als er im Leſen dahin kam, wo Balacin ſeine Baniſe im Tempel errettet und den Chaumigrem ermordet, ſo uͤberlief ihn der Schauer der Empfindung dergeſtalt, daß er fortlief, in einen geheimen Winkel niederkniete und Gott dankte, daß er doch endlich den Gottloſen ihren Lohn auf ihr Haupt bezahlte und die Unſchuld auf den Thron ſetzte. Er vergoß milde Thraͤnen und las mit eben der Waͤrme auch den zwei- ten Theil durch. Dieſer gefiel ihm noch beſſer; der Plan iſt verwickelter und im Ganzen mehr romantiſch. Darauf las er die zwei Quartbaͤnde von der Geſchichte des chriſtlichen deut- ſchen Großfuͤrſten Hercules und der koͤniglich boͤhmiſchen Prinzeſſin Valiska, und dieſes Buch gefiel ihm gleichfalls uͤber die Maßen; er las es im Sommer waͤhrend der Heu- erndte, als er einige Tage Ferien hatte, an einander ganz durch und vergaß die ganze Welt dabei. Was das fuͤr eine Gluͤckſeligkeit ſey, eine ſolche neue Schoͤpfung von Geſchichten zu leſen, gleichſam mit anzuſehen und alles mit den handeln- den Perſonen zu empfinden, das laͤßt ſich nur deneu ſagen, die ein Stillings-Herz haben.
Es war einmal eine Zeit, da man ſagte: der Hercules, die Baniſe und dergleichen, iſt das groͤßte Buch, das Deutſch- land hervorgebracht hat. Es war auch einmal eine Zeit, da mußten die Huͤte der Mannsperſonen dreieckigt hoch in die Luft ſtehen, je hoͤher, je ſchoͤner. Der Kopfputz der Weiber und Jungfrauen ſtand derweil in die Quere, je breiter, je beſ- ſer. Jetzt lacht man der Baniſe und des Hercules, eben ſo, wie man eines Hageſtolzen lacht, der noch mit hohem Hut, ſteifen Rockſtoͤßen und ellenlangen herabhaͤngenden Auf- ſchlaͤgen einhertritt. Anſtatt deſſen traͤgt man Huͤtchen, Roͤck- chen, Manſchettchen, liest Amonrettchen und bundſcheckigte Romaͤnchen, und wird unter der Hand ſo klein, daß man einen Mann aus dem vorigen Jahrhundert wie einen Rieſen anſieht, der von Grobheit ſtrotzt. Dank ſey’s vorab Klopſtock, und die Reihe herunter bis auf — daß ſie dem undeutſchen
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ihm der Plan dieſes Romans ein Meiſterſtuͤck der Erdichtung
zu ſeyn, und der Verfaſſer deſſelben war in ſeinen Augen der
groͤßte Poet, den jemals Deutſchland hervorgebracht hatte.
Als er im Leſen dahin kam, wo Balacin ſeine Baniſe
im Tempel errettet und den Chaumigrem ermordet, ſo
uͤberlief ihn der Schauer der Empfindung dergeſtalt, daß er
fortlief, in einen geheimen Winkel niederkniete und Gott dankte,
daß er doch endlich den Gottloſen ihren Lohn auf ihr Haupt
bezahlte und die Unſchuld auf den Thron ſetzte. Er vergoß
milde Thraͤnen und las mit eben der Waͤrme auch den zwei-
ten Theil durch. Dieſer gefiel ihm noch beſſer; der Plan iſt
verwickelter und im Ganzen mehr romantiſch. Darauf las
er die zwei Quartbaͤnde von der Geſchichte des chriſtlichen deut-
ſchen Großfuͤrſten Hercules und der koͤniglich boͤhmiſchen
Prinzeſſin Valiska, und dieſes Buch gefiel ihm gleichfalls
uͤber die Maßen; er las es im Sommer waͤhrend der Heu-
erndte, als er einige Tage Ferien hatte, an einander ganz
durch und vergaß die ganze Welt dabei. Was das fuͤr eine
Gluͤckſeligkeit ſey, eine ſolche neue Schoͤpfung von Geſchichten
zu leſen, gleichſam mit anzuſehen und alles mit den handeln-
den Perſonen zu empfinden, das laͤßt ſich nur deneu ſagen,
die ein Stillings-Herz haben.
Es war einmal eine Zeit, da man ſagte: der Hercules,
die Baniſe und dergleichen, iſt das groͤßte Buch, das Deutſch-
land hervorgebracht hat. Es war auch einmal eine Zeit, da
mußten die Huͤte der Mannsperſonen dreieckigt hoch in die
Luft ſtehen, je hoͤher, je ſchoͤner. Der Kopfputz der Weiber
und Jungfrauen ſtand derweil in die Quere, je breiter, je beſ-
ſer. Jetzt lacht man der Baniſe und des Hercules, eben
ſo, wie man eines Hageſtolzen lacht, der noch mit hohem
Hut, ſteifen Rockſtoͤßen und ellenlangen herabhaͤngenden Auf-
ſchlaͤgen einhertritt. Anſtatt deſſen traͤgt man Huͤtchen, Roͤck-
chen, Manſchettchen, liest Amonrettchen und bundſcheckigte
Romaͤnchen, und wird unter der Hand ſo klein, daß man
einen Mann aus dem vorigen Jahrhundert wie einen Rieſen
anſieht, der von Grobheit ſtrotzt. Dank ſey’s vorab Klopſtock,
und die Reihe herunter bis auf — daß ſie dem undeutſchen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/148>, abgerufen am 23.11.2024.
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