gang neigte, ging er wieder nach Haus; er erzählte aber nichts von dem, was vorgefallen war, nicht so sehr aus Ver- schwiegenheit, sondern aus andern Ursachen.
Des andern Tages ging er mit seinem Vater und andern Freunden nach Leindorf zur Hochzeit; seine Stiefmutter empfing ihn mit aller Zärtlichkeit; er gewann sie lieb und sie liebte ihn wieder; Wilhelm freute sich dessen von Herzen. Nun erzählte er auch seinen Eltern, wie betrübt es ihm zu Dorlingen ging. Die Mutter rieth, er sollte zu Haus bleiben und nicht wieder hingehen; allein Wilhelm sagte: "Wir haben noch immer Wort gehalten, es darf an dir nicht fehlen; thun's andere Leute nicht, so müssen sie's verantwor- ten; du mußt aber deine Zeit aushalten." Dieses war Stil- lingen auch nicht sehr zuwider. Des andern Morgens reiste er wieder nach Dorlingen. Allein seine Schüler kamen nicht wieder; das Frühjahr rückte heran und ein Jeder begab sich aufs Feld. Da er nun nichts zu thun hatte, so wies man ihm verächtliche Dienste an, so, daß ihm sein tägliches Brod recht sauer wurde.
Noch vor Ostern, ehe er abreiste, hatten Steifmanns Knechte beschlossen, ihn recht trunken zu machen, um so recht ihre Freude an ihm zu haben. Als sie des Sonntags aus der Kirche kamen, sagte einer zum andern: laßt uns ein wenig wärmen, ehe wir uns auf den Weg begeben; denn es war kalt und sie hatten eine Stunde zu gehen. Nun war Stil- ling gewohnt, in Gesellschaft nach Haus zu gehen; er trat deßwegen mit hinein und setzte sich zu dem Ofen. Nun gings ans Branntweintrinken, der mit einem Syrup versüßt war; der Schulmeister mußte mittrinken; er merkte bald, wo das hinaus wollte, daher nahm er den Mund voll, spie ihn aber unvermerkt wieder aus, unter den Ofen ins Steinkohlengefäß. Die Knechte bekamen also zuerst einen Rausch, und nun merkten sie nicht mehr auf den Schulmeister, sondern sie be- trunken sich selbst aufs beste; unter diesen Umständen suchten sie endlich Ursache an Stilling, um ihn zu schlagen, und kaum entkam er aus ihren Händen. Er bezahlte seinen An-
Stillings Schriften. I. Band. 9
gang neigte, ging er wieder nach Haus; er erzaͤhlte aber nichts von dem, was vorgefallen war, nicht ſo ſehr aus Ver- ſchwiegenheit, ſondern aus andern Urſachen.
Des andern Tages ging er mit ſeinem Vater und andern Freunden nach Leindorf zur Hochzeit; ſeine Stiefmutter empfing ihn mit aller Zaͤrtlichkeit; er gewann ſie lieb und ſie liebte ihn wieder; Wilhelm freute ſich deſſen von Herzen. Nun erzaͤhlte er auch ſeinen Eltern, wie betruͤbt es ihm zu Dorlingen ging. Die Mutter rieth, er ſollte zu Haus bleiben und nicht wieder hingehen; allein Wilhelm ſagte: „Wir haben noch immer Wort gehalten, es darf an dir nicht fehlen; thun’s andere Leute nicht, ſo muͤſſen ſie’s verantwor- ten; du mußt aber deine Zeit aushalten.“ Dieſes war Stil- lingen auch nicht ſehr zuwider. Des andern Morgens reiste er wieder nach Dorlingen. Allein ſeine Schuͤler kamen nicht wieder; das Fruͤhjahr ruͤckte heran und ein Jeder begab ſich aufs Feld. Da er nun nichts zu thun hatte, ſo wies man ihm veraͤchtliche Dienſte an, ſo, daß ihm ſein taͤgliches Brod recht ſauer wurde.
Noch vor Oſtern, ehe er abreiste, hatten Steifmanns Knechte beſchloſſen, ihn recht trunken zu machen, um ſo recht ihre Freude an ihm zu haben. Als ſie des Sonntags aus der Kirche kamen, ſagte einer zum andern: laßt uns ein wenig waͤrmen, ehe wir uns auf den Weg begeben; denn es war kalt und ſie hatten eine Stunde zu gehen. Nun war Stil- ling gewohnt, in Geſellſchaft nach Haus zu gehen; er trat deßwegen mit hinein und ſetzte ſich zu dem Ofen. Nun gings ans Branntweintrinken, der mit einem Syrup verſuͤßt war; der Schulmeiſter mußte mittrinken; er merkte bald, wo das hinaus wollte, daher nahm er den Mund voll, ſpie ihn aber unvermerkt wieder aus, unter den Ofen ins Steinkohlengefaͤß. Die Knechte bekamen alſo zuerſt einen Rauſch, und nun merkten ſie nicht mehr auf den Schulmeiſter, ſondern ſie be- trunken ſich ſelbſt aufs beſte; unter dieſen Umſtaͤnden ſuchten ſie endlich Urſache an Stilling, um ihn zu ſchlagen, und kaum entkam er aus ihren Haͤnden. Er bezahlte ſeinen An-
Stillings Schriften. I. Band. 9
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gang neigte, ging er wieder nach Haus; er erzaͤhlte aber
nichts von dem, was vorgefallen war, nicht ſo ſehr aus Ver-
ſchwiegenheit, ſondern aus andern Urſachen.
Des andern Tages ging er mit ſeinem Vater und andern
Freunden nach Leindorf zur Hochzeit; ſeine Stiefmutter
empfing ihn mit aller Zaͤrtlichkeit; er gewann ſie lieb und
ſie liebte ihn wieder; Wilhelm freute ſich deſſen von Herzen.
Nun erzaͤhlte er auch ſeinen Eltern, wie betruͤbt es ihm zu
Dorlingen ging. Die Mutter rieth, er ſollte zu Haus
bleiben und nicht wieder hingehen; allein Wilhelm ſagte:
„Wir haben noch immer Wort gehalten, es darf an dir nicht
fehlen; thun’s andere Leute nicht, ſo muͤſſen ſie’s verantwor-
ten; du mußt aber deine Zeit aushalten.“ Dieſes war Stil-
lingen auch nicht ſehr zuwider. Des andern Morgens reiste
er wieder nach Dorlingen. Allein ſeine Schuͤler kamen
nicht wieder; das Fruͤhjahr ruͤckte heran und ein Jeder begab
ſich aufs Feld. Da er nun nichts zu thun hatte, ſo wies man
ihm veraͤchtliche Dienſte an, ſo, daß ihm ſein taͤgliches Brod
recht ſauer wurde.
Noch vor Oſtern, ehe er abreiste, hatten Steifmanns
Knechte beſchloſſen, ihn recht trunken zu machen, um ſo recht
ihre Freude an ihm zu haben. Als ſie des Sonntags aus der
Kirche kamen, ſagte einer zum andern: laßt uns ein wenig
waͤrmen, ehe wir uns auf den Weg begeben; denn es war
kalt und ſie hatten eine Stunde zu gehen. Nun war Stil-
ling gewohnt, in Geſellſchaft nach Haus zu gehen; er trat
deßwegen mit hinein und ſetzte ſich zu dem Ofen. Nun gings
ans Branntweintrinken, der mit einem Syrup verſuͤßt war;
der Schulmeiſter mußte mittrinken; er merkte bald, wo das
hinaus wollte, daher nahm er den Mund voll, ſpie ihn aber
unvermerkt wieder aus, unter den Ofen ins Steinkohlengefaͤß.
Die Knechte bekamen alſo zuerſt einen Rauſch, und nun
merkten ſie nicht mehr auf den Schulmeiſter, ſondern ſie be-
trunken ſich ſelbſt aufs beſte; unter dieſen Umſtaͤnden ſuchten
ſie endlich Urſache an Stilling, um ihn zu ſchlagen, und
kaum entkam er aus ihren Haͤnden. Er bezahlte ſeinen An-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/137>, abgerufen am 24.11.2024.
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