aufgelegt; er redete nicht viel, was er aber sagte, das war von Gewicht und Nachdruck, weil es gemeiniglich Jemand, der gegenwärtig war, beleidigte. Er ließ sich auch anfäng- lich mit seinem neuen Schulmeister in Gespräche ein, allein er gefiel ihm nicht. Von allem, was Stilling gewohnt war zu reden, verstand er nicht Ein Wort, eben so wenig, als Stilling begriff, wovon sein Patron redete. Daher schwiegen sie Beide, wenn sie beisammen waren.
Des folgenden Montags Morgens ging die Schule an; Steifmanns drei Knaben machten den Anfang. Vor und nach fanden sich bei achtzehn große vierschrötige Jungens ein, die sich gegen ihren Schulmeister verhielten, wie so viel Pa- tagonier gegen Einen Franzosen. Zehn bis zwölf Mädchen von eben dem Schrot und Korn kamen auch und setzten sich hinter den Tisch. Stilling wußte nicht recht, was er mit diesem Volk anfangen sollte. Ihm war bang vor so vielen wilden Gesichtern; doch versuchte er die gewöhnliche Schul- methode und ließ sie beten, singen, lesen und den Catechismus lernen.
Dieses ging ungefähr vierzehn Tage seinen ordentlichen Gang; allein nun war es auch geschehen, ein oder anderer Kosacken- ähnlicher Junge versuchte es, den Schulmeister zu necken. Stilling brauchte den Stock rechtschaffen, aber mit so wi- drigem Erfolg, daß, wenn er sich müde auf dem starken Buckel zerdroschen hatte, der Schüler aus vollem Hals lachte, der Schulmeister aber weinte. Das war dann dem Herrn Steif- mann so seine liebste Belustigung; wenn er in dem Schul- stübchen Lärmen hörte, so kam er, that die Thüre auf und er- götzte sich von Herzen.
Dieses Verfahren gab Stillingen den letzten Stoß. Seine Schule wurde zum polnischen Reichstag, wo ein Jeder that, was ihm recht däuchte. So wie nun der arme Schulmeister in der Schule alles gebrannte Herzeleid ausstand, so hatte er auch außer derselben keine frohe Stunde. Bücher fand er wenig, nur eine große Baseler Bibel, deren Holzschnitte er durch und durch wohl studirte, auch wohl darin las, wiewohl er sie oft durchgelesen hatte. Zions Lehr' und Wunder
aufgelegt; er redete nicht viel, was er aber ſagte, das war von Gewicht und Nachdruck, weil es gemeiniglich Jemand, der gegenwaͤrtig war, beleidigte. Er ließ ſich auch anfaͤng- lich mit ſeinem neuen Schulmeiſter in Geſpraͤche ein, allein er gefiel ihm nicht. Von allem, was Stilling gewohnt war zu reden, verſtand er nicht Ein Wort, eben ſo wenig, als Stilling begriff, wovon ſein Patron redete. Daher ſchwiegen ſie Beide, wenn ſie beiſammen waren.
Des folgenden Montags Morgens ging die Schule an; Steifmanns drei Knaben machten den Anfang. Vor und nach fanden ſich bei achtzehn große vierſchroͤtige Jungens ein, die ſich gegen ihren Schulmeiſter verhielten, wie ſo viel Pa- tagonier gegen Einen Franzoſen. Zehn bis zwoͤlf Maͤdchen von eben dem Schrot und Korn kamen auch und ſetzten ſich hinter den Tiſch. Stilling wußte nicht recht, was er mit dieſem Volk anfangen ſollte. Ihm war bang vor ſo vielen wilden Geſichtern; doch verſuchte er die gewoͤhnliche Schul- methode und ließ ſie beten, ſingen, leſen und den Catechismus lernen.
Dieſes ging ungefaͤhr vierzehn Tage ſeinen ordentlichen Gang; allein nun war es auch geſchehen, ein oder anderer Koſacken- aͤhnlicher Junge verſuchte es, den Schulmeiſter zu necken. Stilling brauchte den Stock rechtſchaffen, aber mit ſo wi- drigem Erfolg, daß, wenn er ſich muͤde auf dem ſtarken Buckel zerdroſchen hatte, der Schuͤler aus vollem Hals lachte, der Schulmeiſter aber weinte. Das war dann dem Herrn Steif- mann ſo ſeine liebſte Beluſtigung; wenn er in dem Schul- ſtuͤbchen Laͤrmen hoͤrte, ſo kam er, that die Thuͤre auf und er- goͤtzte ſich von Herzen.
Dieſes Verfahren gab Stillingen den letzten Stoß. Seine Schule wurde zum polniſchen Reichstag, wo ein Jeder that, was ihm recht daͤuchte. So wie nun der arme Schulmeiſter in der Schule alles gebrannte Herzeleid ausſtand, ſo hatte er auch außer derſelben keine frohe Stunde. Buͤcher fand er wenig, nur eine große Baſeler Bibel, deren Holzſchnitte er durch und durch wohl ſtudirte, auch wohl darin las, wiewohl er ſie oft durchgeleſen hatte. Zions Lehr’ und Wunder
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aufgelegt; er redete nicht viel, was er aber ſagte, das war
von Gewicht und Nachdruck, weil es gemeiniglich Jemand,
der gegenwaͤrtig war, beleidigte. Er ließ ſich auch anfaͤng-
lich mit ſeinem neuen Schulmeiſter in Geſpraͤche ein, allein er
gefiel ihm nicht. Von allem, was Stilling gewohnt war
zu reden, verſtand er nicht Ein Wort, eben ſo wenig, als
Stilling begriff, wovon ſein Patron redete. Daher ſchwiegen
ſie Beide, wenn ſie beiſammen waren.
Des folgenden Montags Morgens ging die Schule an;
Steifmanns drei Knaben machten den Anfang. Vor und
nach fanden ſich bei achtzehn große vierſchroͤtige Jungens ein,
die ſich gegen ihren Schulmeiſter verhielten, wie ſo viel Pa-
tagonier gegen Einen Franzoſen. Zehn bis zwoͤlf Maͤdchen
von eben dem Schrot und Korn kamen auch und ſetzten ſich
hinter den Tiſch. Stilling wußte nicht recht, was er mit
dieſem Volk anfangen ſollte. Ihm war bang vor ſo vielen
wilden Geſichtern; doch verſuchte er die gewoͤhnliche Schul-
methode und ließ ſie beten, ſingen, leſen und den Catechismus
lernen.
Dieſes ging ungefaͤhr vierzehn Tage ſeinen ordentlichen Gang;
allein nun war es auch geſchehen, ein oder anderer Koſacken-
aͤhnlicher Junge verſuchte es, den Schulmeiſter zu necken.
Stilling brauchte den Stock rechtſchaffen, aber mit ſo wi-
drigem Erfolg, daß, wenn er ſich muͤde auf dem ſtarken Buckel
zerdroſchen hatte, der Schuͤler aus vollem Hals lachte, der
Schulmeiſter aber weinte. Das war dann dem Herrn Steif-
mann ſo ſeine liebſte Beluſtigung; wenn er in dem Schul-
ſtuͤbchen Laͤrmen hoͤrte, ſo kam er, that die Thuͤre auf und er-
goͤtzte ſich von Herzen.
Dieſes Verfahren gab Stillingen den letzten Stoß. Seine
Schule wurde zum polniſchen Reichstag, wo ein Jeder that,
was ihm recht daͤuchte. So wie nun der arme Schulmeiſter
in der Schule alles gebrannte Herzeleid ausſtand, ſo hatte
er auch außer derſelben keine frohe Stunde. Buͤcher fand er
wenig, nur eine große Baſeler Bibel, deren Holzſchnitte er
durch und durch wohl ſtudirte, auch wohl darin las, wiewohl
er ſie oft durchgeleſen hatte. Zions Lehr’ und Wunder
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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