auch sonst eine ernste und empfindsame Sache satyrisch behan- delt. Gott! versetzte er, wie soll ichs doch machen? Die wol- len haben, ich soll die Kinder rechnen lehren, und der Herr Pastor wills nicht haben! Wem soll ich nun folgen?
"Ich hab in Schulsachen zu befehlen, sagte Stollbein, und eure Bauern nicht!" und damit ging er zur Thüre hinaus.
Stilling befahl alsofort, alle Schiefersteine herabzuneh- men und auf einen Haufen hinter dem Ofen unter die Bank zu legen; das wurde befolgt, doch schrieb ein jeder seinen Na- men mit dem Griffel auf den seinigen.
Nach der Schule ging er zu dem Kirchen-Aeltesten, erzählte ihm den Vorfall und fragte ihn um Rath. Der Mann lächelte und sagte: Der Pastor wird so seine böse Laune gehabt haben, legt ihr die Steine zurück, daß er sie nicht sieht, wenn er wie- der kommen sollte; fahrt ihr aber fort, die Kinder müssen doch Rechnen lernen! Er erzählte es auch Krügern; dieser glaubte, der Teufel habe ihn besessen, und nach seiner Meinung sollten nun auch die Mädchen sich Schiefersteine anschaffen und das Rechnen lernen, seine Kinder wenigstens sollten es nun zuerst vornehmen. Und das geschah auch; Stilling mußte den größ- ten Knaben sogar in der Geometrie unterrichten.
So standen die Sachen den Sommer über, aber Niemand vermuthete, was den Herbst geschah. Vierzehn Tage vor Mar- tini kam der Aelteste in die Schule und kündigte Stilling im Namen des Pastors an, auf Martini die Schule zu ver- lassen und zu seinem Vater zurückzukehren. Dieses war dem Schulmeister und den Schülern ein Donnerschlag, sie weinten allzusammen. Krüger und die übrigen Zellberger wur- den fast rasend; sie stampften mit den Füßen und schwuren: der Pastor sollte ihnen ihren Schulmeister nicht nehmen. Allein Wilhelm Stilling, wie sehr er sich auch ärgerte, fand doch rathsamer, seinen Sohn zu sich zu nehmen, um ihn an seinem fernern Glück nicht zu hindern. Des Sonntags Nach- mittags vor Martini stopfte der gute Schulmeister sein Biß- chen Kleider und Bücher in einen Sack, hing ihn auf den Rücken und wanderte aus Zellberg das Höchste hinauf, seine Schüler gingen truppenweise hinten nach und weinten; er
auch ſonſt eine ernſte und empfindſame Sache ſatyriſch behan- delt. Gott! verſetzte er, wie ſoll ichs doch machen? Die wol- len haben, ich ſoll die Kinder rechnen lehren, und der Herr Paſtor wills nicht haben! Wem ſoll ich nun folgen?
„Ich hab in Schulſachen zu befehlen, ſagte Stollbein, und eure Bauern nicht!“ und damit ging er zur Thuͤre hinaus.
Stilling befahl alſofort, alle Schieferſteine herabzuneh- men und auf einen Haufen hinter dem Ofen unter die Bank zu legen; das wurde befolgt, doch ſchrieb ein jeder ſeinen Na- men mit dem Griffel auf den ſeinigen.
Nach der Schule ging er zu dem Kirchen-Aelteſten, erzaͤhlte ihm den Vorfall und fragte ihn um Rath. Der Mann laͤchelte und ſagte: Der Paſtor wird ſo ſeine boͤſe Laune gehabt haben, legt ihr die Steine zuruͤck, daß er ſie nicht ſieht, wenn er wie- der kommen ſollte; fahrt ihr aber fort, die Kinder muͤſſen doch Rechnen lernen! Er erzaͤhlte es auch Kruͤgern; dieſer glaubte, der Teufel habe ihn beſeſſen, und nach ſeiner Meinung ſollten nun auch die Maͤdchen ſich Schieferſteine anſchaffen und das Rechnen lernen, ſeine Kinder wenigſtens ſollten es nun zuerſt vornehmen. Und das geſchah auch; Stilling mußte den groͤß- ten Knaben ſogar in der Geometrie unterrichten.
So ſtanden die Sachen den Sommer uͤber, aber Niemand vermuthete, was den Herbſt geſchah. Vierzehn Tage vor Mar- tini kam der Aelteſte in die Schule und kuͤndigte Stilling im Namen des Paſtors an, auf Martini die Schule zu ver- laſſen und zu ſeinem Vater zuruͤckzukehren. Dieſes war dem Schulmeiſter und den Schuͤlern ein Donnerſchlag, ſie weinten allzuſammen. Kruͤger und die uͤbrigen Zellberger wur- den faſt raſend; ſie ſtampften mit den Fuͤßen und ſchwuren: der Paſtor ſollte ihnen ihren Schulmeiſter nicht nehmen. Allein Wilhelm Stilling, wie ſehr er ſich auch aͤrgerte, fand doch rathſamer, ſeinen Sohn zu ſich zu nehmen, um ihn an ſeinem fernern Gluͤck nicht zu hindern. Des Sonntags Nach- mittags vor Martini ſtopfte der gute Schulmeiſter ſein Biß- chen Kleider und Buͤcher in einen Sack, hing ihn auf den Ruͤcken und wanderte aus Zellberg das Hoͤchſte hinauf, ſeine Schuͤler gingen truppenweiſe hinten nach und weinten; er
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auch ſonſt eine ernſte und empfindſame Sache ſatyriſch behan-
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Paſtor wills nicht haben! Wem ſoll ich nun folgen?
„Ich hab in Schulſachen zu befehlen, ſagte Stollbein,
und eure Bauern nicht!“ und damit ging er zur Thuͤre hinaus.
Stilling befahl alſofort, alle Schieferſteine herabzuneh-
men und auf einen Haufen hinter dem Ofen unter die Bank
zu legen; das wurde befolgt, doch ſchrieb ein jeder ſeinen Na-
men mit dem Griffel auf den ſeinigen.
Nach der Schule ging er zu dem Kirchen-Aelteſten, erzaͤhlte
ihm den Vorfall und fragte ihn um Rath. Der Mann laͤchelte
und ſagte: Der Paſtor wird ſo ſeine boͤſe Laune gehabt haben,
legt ihr die Steine zuruͤck, daß er ſie nicht ſieht, wenn er wie-
der kommen ſollte; fahrt ihr aber fort, die Kinder muͤſſen doch
Rechnen lernen! Er erzaͤhlte es auch Kruͤgern; dieſer glaubte,
der Teufel habe ihn beſeſſen, und nach ſeiner Meinung ſollten
nun auch die Maͤdchen ſich Schieferſteine anſchaffen und das
Rechnen lernen, ſeine Kinder wenigſtens ſollten es nun zuerſt
vornehmen. Und das geſchah auch; Stilling mußte den groͤß-
ten Knaben ſogar in der Geometrie unterrichten.
So ſtanden die Sachen den Sommer uͤber, aber Niemand
vermuthete, was den Herbſt geſchah. Vierzehn Tage vor Mar-
tini kam der Aelteſte in die Schule und kuͤndigte Stilling
im Namen des Paſtors an, auf Martini die Schule zu ver-
laſſen und zu ſeinem Vater zuruͤckzukehren. Dieſes war dem
Schulmeiſter und den Schuͤlern ein Donnerſchlag, ſie weinten
allzuſammen. Kruͤger und die uͤbrigen Zellberger wur-
den faſt raſend; ſie ſtampften mit den Fuͤßen und ſchwuren:
der Paſtor ſollte ihnen ihren Schulmeiſter nicht nehmen. Allein
Wilhelm Stilling, wie ſehr er ſich auch aͤrgerte, fand
doch rathſamer, ſeinen Sohn zu ſich zu nehmen, um ihn an
ſeinem fernern Gluͤck nicht zu hindern. Des Sonntags Nach-
mittags vor Martini ſtopfte der gute Schulmeiſter ſein Biß-
chen Kleider und Buͤcher in einen Sack, hing ihn auf den Ruͤcken
und wanderte aus Zellberg das Hoͤchſte hinauf, ſeine
Schuͤler gingen truppenweiſe hinten nach und weinten; er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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