sagen. Vater Stilling war der Letzte gewesen, der noch vom vorigen Prediger bestellet worden; daher fand er nirgends Widerstand. Er erklärte Krieg und schloß Frieden, ohne Je- mand zu Rath zu ziehen; alles fürchtete ihn und zitterte in seiner Gegenwart. Doch kann ich nicht sagen, daß das gemeine Wesen unter seiner Regierung sonderlich gelitten hätte; er hatte bei seinen Fehlern eine Menge guter Eigenschaften. Nur Krüger und einige der Vornehmsten zu Florenburg haß- ten ihn so sehr, daß sie fast gar nicht in die Kirche gingen, vielweniger bei ihm communicirten. Krüger sagte öffentlich: er sey vom bösen Geist besessen; und daher that er immer gerade das Gegentheil von dem, was der Pastor gerne sah.
Nachdem Stilling einige Wochen zu Zellberg gewe- sen war, so beschloß Herr Stollbein, seinen neuen Schul- meister daselbst einmal zu besuchen; er kam des Vormittags um neun Uhr in die Schule; zum Glück war Stilling we- der am Erzählen noch Lesen. Er wußte aber schon, daß er bei Krüger im Hause war, daher sah er ganz mürrisch aus, schaute umher und fragte: Was macht ihr mit den Schiefer- steinen auf der Schule? -- (Stilling hielt des Abends eine Rechenstunde mit den Kindern.) Der Schulmeister ant- wortete: Darauf rechnen die Kinder des Abends. Der Pa- stor fuhr fort:
"Das kann ich wohl denken, aber wer heißt euch das?"
Heinrich wußte nicht, was er sagen sollte, er sah dem Pastor ins Gesicht und verwunderte sich; endlich erwiederte er lächelnd: Der mich geheißen hat, die Kinder Lesen, Schrei- ben und den Catechismus zu lernen, der hat mich auch gehei- ßen, sie im Rechnen zu unterrichten.
"Ihr .... ich hätte bald was gesagt! lehrt sie erst einmal das Nöthigste, und wenn sie das können, dann lehrt sie auch Rechnen."
Nun fing es an, Stillingen weich ums Herz zu werden. Das ist so seiner Natur gemäß, anstatt daß andere Leute bös und launigt werden, schießen ihm die Thränen in die An- gen und die Backen herunter; es gibt aber auch einen Fall, in welchem er recht zornig werden kann: wenn man ihn oder
ſagen. Vater Stilling war der Letzte geweſen, der noch vom vorigen Prediger beſtellet worden; daher fand er nirgends Widerſtand. Er erklaͤrte Krieg und ſchloß Frieden, ohne Je- mand zu Rath zu ziehen; alles fuͤrchtete ihn und zitterte in ſeiner Gegenwart. Doch kann ich nicht ſagen, daß das gemeine Weſen unter ſeiner Regierung ſonderlich gelitten haͤtte; er hatte bei ſeinen Fehlern eine Menge guter Eigenſchaften. Nur Kruͤger und einige der Vornehmſten zu Florenburg haß- ten ihn ſo ſehr, daß ſie faſt gar nicht in die Kirche gingen, vielweniger bei ihm communicirten. Kruͤger ſagte oͤffentlich: er ſey vom boͤſen Geiſt beſeſſen; und daher that er immer gerade das Gegentheil von dem, was der Paſtor gerne ſah.
Nachdem Stilling einige Wochen zu Zellberg gewe- ſen war, ſo beſchloß Herr Stollbein, ſeinen neuen Schul- meiſter daſelbſt einmal zu beſuchen; er kam des Vormittags um neun Uhr in die Schule; zum Gluͤck war Stilling we- der am Erzaͤhlen noch Leſen. Er wußte aber ſchon, daß er bei Kruͤger im Hauſe war, daher ſah er ganz muͤrriſch aus, ſchaute umher und fragte: Was macht ihr mit den Schiefer- ſteinen auf der Schule? — (Stilling hielt des Abends eine Rechenſtunde mit den Kindern.) Der Schulmeiſter ant- wortete: Darauf rechnen die Kinder des Abends. Der Pa- ſtor fuhr fort:
„Das kann ich wohl denken, aber wer heißt euch das?“
Heinrich wußte nicht, was er ſagen ſollte, er ſah dem Paſtor ins Geſicht und verwunderte ſich; endlich erwiederte er laͤchelnd: Der mich geheißen hat, die Kinder Leſen, Schrei- ben und den Catechismus zu lernen, der hat mich auch gehei- ßen, ſie im Rechnen zu unterrichten.
„Ihr .... ich haͤtte bald was geſagt! lehrt ſie erſt einmal das Noͤthigſte, und wenn ſie das koͤnnen, dann lehrt ſie auch Rechnen.“
Nun fing es an, Stillingen weich ums Herz zu werden. Das iſt ſo ſeiner Natur gemaͤß, anſtatt daß andere Leute boͤs und launigt werden, ſchießen ihm die Thraͤnen in die An- gen und die Backen herunter; es gibt aber auch einen Fall, in welchem er recht zornig werden kann: wenn man ihn oder
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ſagen. Vater Stilling war der Letzte geweſen, der noch vom
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Widerſtand. Er erklaͤrte Krieg und ſchloß Frieden, ohne Je-
mand zu Rath zu ziehen; alles fuͤrchtete ihn und zitterte in
ſeiner Gegenwart. Doch kann ich nicht ſagen, daß das gemeine
Weſen unter ſeiner Regierung ſonderlich gelitten haͤtte; er
hatte bei ſeinen Fehlern eine Menge guter Eigenſchaften. Nur
Kruͤger und einige der Vornehmſten zu Florenburg haß-
ten ihn ſo ſehr, daß ſie faſt gar nicht in die Kirche gingen,
vielweniger bei ihm communicirten. Kruͤger ſagte oͤffentlich:
er ſey vom boͤſen Geiſt beſeſſen; und daher that er immer
gerade das Gegentheil von dem, was der Paſtor gerne ſah.
Nachdem Stilling einige Wochen zu Zellberg gewe-
ſen war, ſo beſchloß Herr Stollbein, ſeinen neuen Schul-
meiſter daſelbſt einmal zu beſuchen; er kam des Vormittags
um neun Uhr in die Schule; zum Gluͤck war Stilling we-
der am Erzaͤhlen noch Leſen. Er wußte aber ſchon, daß er bei
Kruͤger im Hauſe war, daher ſah er ganz muͤrriſch aus,
ſchaute umher und fragte: Was macht ihr mit den Schiefer-
ſteinen auf der Schule? — (Stilling hielt des Abends
eine Rechenſtunde mit den Kindern.) Der Schulmeiſter ant-
wortete: Darauf rechnen die Kinder des Abends. Der Pa-
ſtor fuhr fort:
„Das kann ich wohl denken, aber wer heißt euch das?“
Heinrich wußte nicht, was er ſagen ſollte, er ſah dem
Paſtor ins Geſicht und verwunderte ſich; endlich erwiederte
er laͤchelnd: Der mich geheißen hat, die Kinder Leſen, Schrei-
ben und den Catechismus zu lernen, der hat mich auch gehei-
ßen, ſie im Rechnen zu unterrichten.
„Ihr .... ich haͤtte bald was geſagt! lehrt ſie erſt einmal
das Noͤthigſte, und wenn ſie das koͤnnen, dann lehrt ſie auch
Rechnen.“
Nun fing es an, Stillingen weich ums Herz zu werden.
Das iſt ſo ſeiner Natur gemaͤß, anſtatt daß andere Leute
boͤs und launigt werden, ſchießen ihm die Thraͤnen in die An-
gen und die Backen herunter; es gibt aber auch einen Fall,
in welchem er recht zornig werden kann: wenn man ihn oder
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/126>, abgerufen am 24.11.2024.
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