noch immer im Zweifel, doch war ihm der Name Stillin- gen der schönste. Unter diesen Vorstellungen stieg er auf vom Fürsten zum Könige, und wenn er aufs Höchste gekommen war, so sah er Zellberg vor sich liegen, und er war nichts weiter, als zeitiger Schulmeister daselbst, und so wars ihm dann auch recht, denn er hatte Zeit zum Lesen.
An diesem Ort wohnte ein Jäger, Namens Krüger, ein redlicher, braver Mann; dieser hatte zwei junge Knaben, aus denen er gern etwas rechts gemacht hätte. Er hatte den alten Stilling herzlich geliebt, und so liebte er auch seine Kinder. Diesem war es Seelenfreude, den jungen Stilling als Schulmeister in seinem Dorf zu sehen. Daher entschloß er sich, denselben zu sich ins Haus zu nehmen. Heinrichen war dieses eben recht, sein Vater machte alle Kleider für den Jäger und seine Leute, und deßwegen war er daselbst am mehresten bekannt; überdem wußte er, daß Krüger viel rare Bücher hatte, die er recht zu nützen gedachte. Er quartirte sich daselbst ein; und das erste, was er vornahm, war die Untersuchung der Krügerischen Bibliothek; er schlug einen alten Folianten auf, und fand eine Uebersetzung Homers in deutsche Verse; er hüpfte vor Freuden, küßte das Buch, drückte es an seine Brust, bat sichs aus und nahm es mit in die Schule, wo ers in der Schublade unter dem Tisch sorgfältig verschloß und so oft darin las, als es ihm nur möglich war. Auf der lateinischen Schule hatte er den Virgilius erklärt und bei der Gelegen- heit so viel vom Homer gehört, daß er vorher Schätze darum gegeben hätte, um ihn nur einmal lesen zu können; nun bot sich ihm hier die Gelegenheit von selbst dar, und er nutzte sie auch rechtschaffen.
Schwerlich ist die Ilias seit der Zeit, daß sie in der Welt gewesen, mit mehrerem Entzücken und Empfindung gelesen worden. Hector war ein Mann, Achill aber nicht, Aga- memnon noch weniger; mit einem Wort: er hielt es durch- gehends mit den Trojanern, ob er gleich den Parias mit seiner Helenen kaum des Andenkens würdigte; beson- ders, weil er immer zu Haus blieb, da er doch die Ursach des Kriegs war. Das ist doch ein unerträglicher, schlechter Kerl!
noch immer im Zweifel, doch war ihm der Name Stillin- gen der ſchoͤnſte. Unter dieſen Vorſtellungen ſtieg er auf vom Fuͤrſten zum Koͤnige, und wenn er aufs Hoͤchſte gekommen war, ſo ſah er Zellberg vor ſich liegen, und er war nichts weiter, als zeitiger Schulmeiſter daſelbſt, und ſo wars ihm dann auch recht, denn er hatte Zeit zum Leſen.
An dieſem Ort wohnte ein Jaͤger, Namens Kruͤger, ein redlicher, braver Mann; dieſer hatte zwei junge Knaben, aus denen er gern etwas rechts gemacht haͤtte. Er hatte den alten Stilling herzlich geliebt, und ſo liebte er auch ſeine Kinder. Dieſem war es Seelenfreude, den jungen Stilling als Schulmeiſter in ſeinem Dorf zu ſehen. Daher entſchloß er ſich, denſelben zu ſich ins Haus zu nehmen. Heinrichen war dieſes eben recht, ſein Vater machte alle Kleider fuͤr den Jaͤger und ſeine Leute, und deßwegen war er daſelbſt am mehreſten bekannt; uͤberdem wußte er, daß Kruͤger viel rare Buͤcher hatte, die er recht zu nuͤtzen gedachte. Er quartirte ſich daſelbſt ein; und das erſte, was er vornahm, war die Unterſuchung der Kruͤgeriſchen Bibliothek; er ſchlug einen alten Folianten auf, und fand eine Ueberſetzung Homers in deutſche Verſe; er huͤpfte vor Freuden, kuͤßte das Buch, druͤckte es an ſeine Bruſt, bat ſichs aus und nahm es mit in die Schule, wo ers in der Schublade unter dem Tiſch ſorgfaͤltig verſchloß und ſo oft darin las, als es ihm nur moͤglich war. Auf der lateiniſchen Schule hatte er den Virgilius erklaͤrt und bei der Gelegen- heit ſo viel vom Homer gehoͤrt, daß er vorher Schaͤtze darum gegeben haͤtte, um ihn nur einmal leſen zu koͤnnen; nun bot ſich ihm hier die Gelegenheit von ſelbſt dar, und er nutzte ſie auch rechtſchaffen.
Schwerlich iſt die Ilias ſeit der Zeit, daß ſie in der Welt geweſen, mit mehrerem Entzuͤcken und Empfindung geleſen worden. Hector war ein Mann, Achill aber nicht, Aga- memnon noch weniger; mit einem Wort: er hielt es durch- gehends mit den Trojanern, ob er gleich den Parias mit ſeiner Helenen kaum des Andenkens wuͤrdigte; beſon- ders, weil er immer zu Haus blieb, da er doch die Urſach des Kriegs war. Das iſt doch ein unertraͤglicher, ſchlechter Kerl!
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gen der ſchoͤnſte. Unter dieſen Vorſtellungen ſtieg er auf vom
Fuͤrſten zum Koͤnige, und wenn er aufs Hoͤchſte gekommen
war, ſo ſah er Zellberg vor ſich liegen, und er war nichts
weiter, als zeitiger Schulmeiſter daſelbſt, und ſo wars ihm
dann auch recht, denn er hatte Zeit zum Leſen.
An dieſem Ort wohnte ein Jaͤger, Namens Kruͤger, ein
redlicher, braver Mann; dieſer hatte zwei junge Knaben, aus
denen er gern etwas rechts gemacht haͤtte. Er hatte den alten
Stilling herzlich geliebt, und ſo liebte er auch ſeine Kinder.
Dieſem war es Seelenfreude, den jungen Stilling als
Schulmeiſter in ſeinem Dorf zu ſehen. Daher entſchloß er ſich,
denſelben zu ſich ins Haus zu nehmen. Heinrichen war
dieſes eben recht, ſein Vater machte alle Kleider fuͤr den Jaͤger
und ſeine Leute, und deßwegen war er daſelbſt am mehreſten
bekannt; uͤberdem wußte er, daß Kruͤger viel rare Buͤcher
hatte, die er recht zu nuͤtzen gedachte. Er quartirte ſich daſelbſt
ein; und das erſte, was er vornahm, war die Unterſuchung
der Kruͤgeriſchen Bibliothek; er ſchlug einen alten Folianten
auf, und fand eine Ueberſetzung Homers in deutſche Verſe;
er huͤpfte vor Freuden, kuͤßte das Buch, druͤckte es an ſeine
Bruſt, bat ſichs aus und nahm es mit in die Schule, wo ers
in der Schublade unter dem Tiſch ſorgfaͤltig verſchloß und ſo
oft darin las, als es ihm nur moͤglich war. Auf der lateiniſchen
Schule hatte er den Virgilius erklaͤrt und bei der Gelegen-
heit ſo viel vom Homer gehoͤrt, daß er vorher Schaͤtze darum
gegeben haͤtte, um ihn nur einmal leſen zu koͤnnen; nun bot
ſich ihm hier die Gelegenheit von ſelbſt dar, und er nutzte ſie
auch rechtſchaffen.
Schwerlich iſt die Ilias ſeit der Zeit, daß ſie in der Welt
geweſen, mit mehrerem Entzuͤcken und Empfindung geleſen
worden. Hector war ein Mann, Achill aber nicht, Aga-
memnon noch weniger; mit einem Wort: er hielt es durch-
gehends mit den Trojanern, ob er gleich den Parias
mit ſeiner Helenen kaum des Andenkens wuͤrdigte; beſon-
ders, weil er immer zu Haus blieb, da er doch die Urſach des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/119>, abgerufen am 24.11.2024.
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