geht von Tiefenbach gerade den Wald hinauf; sobald man auf die Höhe kommt, hat man vor sich ein großes ebenes Feld, nahe zur rechten Seite den Wald, dessen hundertjährige Ei- chen und Maibuchen in gerader Linie gegen Osten zu, wie eine preußische Wachtparade, hingepflanzt stehen und den Himmel zu tragen scheinen; fast ostwärts am Ende des Waldes erhebt sich ein buschigter Hügel, auf dem Höchsten oder auch der Hängesberg genannt; dieses ist der höchste Gipfel von ganz Westphalen. Von Tiefenbach bis dahin hat man drei Viertelstund beständig gerad und steil aufzusteigen. Lin- ker Hand liegt eine herrliche Flur, die sich gegen Norden in einen Hügel von Saatland erhebt, dieser heißt: auf der Antonius-Kirche. Vermuthlich hat in alten Zeiten eine Kapelle da gestanden, die diesem Heiligen gewidmet gewesen. Vor diesem Hügel, südwärts, liegt ein schöner herrschaftli- cher Meierhof, der von Pächtern bewohnt wird. Nordostwärts senkt sich die Fläche in eine vortreffliche Wiese, die sich zwi- schen buschigten Hügeln herumdrängt; zwischen dieser Wiese und dem Höchsten geht durchs Gebüsch ein grüner Rasen- weg vom Feld aus längs die Seite des Hügels fort, bis er sich endlich im feierlichen Dunkel dem Auge entzieht; es ist ein bloßer Holzweg, und von der Natur und dem Zufall so entstanden. Sobald man über den höchsten Hügel hin ist, so kommt man an das Dorf Zellberg; dieses liegt also an der Ostseite des Gillers, da, wo in einer Wiese ein Bach entspringt, der endlich zum Fluß wird und nicht weit von Cassel in die Weser fällt. Die Lage dieses Orts ist be- zaubernd schön, besonders im spätern Frühling, im Sommer und im Anfange des Herbsts; der Winter aber ist daselbst fürch- terlich. Das Geheul des Sturms und der Schwall von Schnee, welcher vom Wind getrieben hinstürzt, verwandelt dieses Pa- radies in eine Norwegische Landschaft. Dieser Ort war also der erste, wo Heinrich Stilling die Probe seiner Fähig- keiten ablegen sollte.
Auf den kleinen Dörfern in diesen Gegenden wird vom er- sten Mai bis auf Martini und also den Sommer durch wö- chentlich nur zwei Tage, nämlich Freitags und Samstags,
geht von Tiefenbach gerade den Wald hinauf; ſobald man auf die Hoͤhe kommt, hat man vor ſich ein großes ebenes Feld, nahe zur rechten Seite den Wald, deſſen hundertjaͤhrige Ei- chen und Maibuchen in gerader Linie gegen Oſten zu, wie eine preußiſche Wachtparade, hingepflanzt ſtehen und den Himmel zu tragen ſcheinen; faſt oſtwaͤrts am Ende des Waldes erhebt ſich ein buſchigter Huͤgel, auf dem Hoͤchſten oder auch der Haͤngesberg genannt; dieſes iſt der hoͤchſte Gipfel von ganz Weſtphalen. Von Tiefenbach bis dahin hat man drei Viertelſtund beſtaͤndig gerad und ſteil aufzuſteigen. Lin- ker Hand liegt eine herrliche Flur, die ſich gegen Norden in einen Huͤgel von Saatland erhebt, dieſer heißt: auf der Antonius-Kirche. Vermuthlich hat in alten Zeiten eine Kapelle da geſtanden, die dieſem Heiligen gewidmet geweſen. Vor dieſem Huͤgel, ſuͤdwaͤrts, liegt ein ſchoͤner herrſchaftli- cher Meierhof, der von Paͤchtern bewohnt wird. Nordoſtwaͤrts ſenkt ſich die Flaͤche in eine vortreffliche Wieſe, die ſich zwi- ſchen buſchigten Huͤgeln herumdraͤngt; zwiſchen dieſer Wieſe und dem Hoͤchſten geht durchs Gebuͤſch ein gruͤner Raſen- weg vom Feld aus laͤngs die Seite des Huͤgels fort, bis er ſich endlich im feierlichen Dunkel dem Auge entzieht; es iſt ein bloßer Holzweg, und von der Natur und dem Zufall ſo entſtanden. Sobald man uͤber den hoͤchſten Huͤgel hin iſt, ſo kommt man an das Dorf Zellberg; dieſes liegt alſo an der Oſtſeite des Gillers, da, wo in einer Wieſe ein Bach entſpringt, der endlich zum Fluß wird und nicht weit von Caſſel in die Weſer faͤllt. Die Lage dieſes Orts iſt be- zaubernd ſchoͤn, beſonders im ſpaͤtern Fruͤhling, im Sommer und im Anfange des Herbſts; der Winter aber iſt daſelbſt fuͤrch- terlich. Das Geheul des Sturms und der Schwall von Schnee, welcher vom Wind getrieben hinſtuͤrzt, verwandelt dieſes Pa- radies in eine Norwegiſche Landſchaft. Dieſer Ort war alſo der erſte, wo Heinrich Stilling die Probe ſeiner Faͤhig- keiten ablegen ſollte.
Auf den kleinen Doͤrfern in dieſen Gegenden wird vom er- ſten Mai bis auf Martini und alſo den Sommer durch woͤ- chentlich nur zwei Tage, naͤmlich Freitags und Samſtags,
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geht von Tiefenbach gerade den Wald hinauf; ſobald man
auf die Hoͤhe kommt, hat man vor ſich ein großes ebenes Feld,
nahe zur rechten Seite den Wald, deſſen hundertjaͤhrige Ei-
chen und Maibuchen in gerader Linie gegen Oſten zu, wie eine
preußiſche Wachtparade, hingepflanzt ſtehen und den Himmel
zu tragen ſcheinen; faſt oſtwaͤrts am Ende des Waldes erhebt
ſich ein buſchigter Huͤgel, auf dem Hoͤchſten oder auch der
Haͤngesberg genannt; dieſes iſt der hoͤchſte Gipfel von
ganz Weſtphalen. Von Tiefenbach bis dahin hat man
drei Viertelſtund beſtaͤndig gerad und ſteil aufzuſteigen. Lin-
ker Hand liegt eine herrliche Flur, die ſich gegen Norden in
einen Huͤgel von Saatland erhebt, dieſer heißt: auf der
Antonius-Kirche. Vermuthlich hat in alten Zeiten eine
Kapelle da geſtanden, die dieſem Heiligen gewidmet geweſen.
Vor dieſem Huͤgel, ſuͤdwaͤrts, liegt ein ſchoͤner herrſchaftli-
cher Meierhof, der von Paͤchtern bewohnt wird. Nordoſtwaͤrts
ſenkt ſich die Flaͤche in eine vortreffliche Wieſe, die ſich zwi-
ſchen buſchigten Huͤgeln herumdraͤngt; zwiſchen dieſer Wieſe
und dem Hoͤchſten geht durchs Gebuͤſch ein gruͤner Raſen-
weg vom Feld aus laͤngs die Seite des Huͤgels fort, bis er
ſich endlich im feierlichen Dunkel dem Auge entzieht; es iſt
ein bloßer Holzweg, und von der Natur und dem Zufall ſo
entſtanden. Sobald man uͤber den hoͤchſten Huͤgel hin iſt, ſo
kommt man an das Dorf Zellberg; dieſes liegt alſo an
der Oſtſeite des Gillers, da, wo in einer Wieſe ein Bach
entſpringt, der endlich zum Fluß wird und nicht weit von
Caſſel in die Weſer faͤllt. Die Lage dieſes Orts iſt be-
zaubernd ſchoͤn, beſonders im ſpaͤtern Fruͤhling, im Sommer
und im Anfange des Herbſts; der Winter aber iſt daſelbſt fuͤrch-
terlich. Das Geheul des Sturms und der Schwall von Schnee,
welcher vom Wind getrieben hinſtuͤrzt, verwandelt dieſes Pa-
radies in eine Norwegiſche Landſchaft. Dieſer Ort war alſo
der erſte, wo Heinrich Stilling die Probe ſeiner Faͤhig-
keiten ablegen ſollte.
Auf den kleinen Doͤrfern in dieſen Gegenden wird vom er-
ſten Mai bis auf Martini und alſo den Sommer durch woͤ-
chentlich nur zwei Tage, naͤmlich Freitags und Samſtags,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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