unterhalb dem Dorf war. Eine Stunde hernach stieg auch Eber- hard herab, ging und hatte einen Hacken, um Rasen damit ab- zuschälen. Er ging des Endes oben ans Ende des Hofs an den Wald; Heinrich blieb gegen dem Hause über unter dem Kir- schenbaum sitzen; endlich kam Eberhard wieder, hatte einen großen Rasen um den Kopf hangen, bückte sich zu Heinrichen, sah ganz ernsthaft aus und sagte: Sieh, welch eine Schlafkappe! Heinrich fuhr in einander, und ein Schauer ging ihm durch die Seele. Er hat mir hernach wohl gestanden, daß dieses einen unvergeßlichen Eindruck auf ihn gemacht habe.
Indessen stieg Vater Stilling mit dem Rasen das Dach hinauf. Heinrich schnitzelte an einem Hölzchen; indem er drauf sah, hörte er ein Gepolter; er sah hin, vor seinen Au- gen wars schwarz, wie die Nacht -- lang hingestreckt lag da der theure, liebe Mann unter der Last von Leitern, seine Hände vor der Brust gefalten; die Augen starrten; die Zähne klapperten und alle Glieder bebten, wie ein Mensch im star- ken Frost. Heinrich warf eiligst die Leitern von ihm, streckte die Arme aus, und lief wie ein Rasender das Dorf hinab, und erfüllte das ganze Thal mit Zeter und Jammer. Mar- garethe und Mariechen hörten im Garten kaum halb die seelzagende kenntliche Stimme ihres geliebten Knaben; Mariechen that einen hellen Schrei, rang die Hände über dem Kopf und flog das Dorf hinauf. Margarethe strebte hinter ihr her, die Hände vorwärts ausgestreckt, die Augen starrten umher; dann und wann machte ein heiserer Schrei der beklemmenden Brust ein wenig Luft. Mariechen und Hein- rich waren zuerst bei dem lieben Manne. Er lag da lang ausgestreckt, die Augen und der Mund waren geschlossen, die Hände noch vor der Brust gefalten, und sein Odem ging lang- sam und stark, wie bei einem gesunden Menschen, der ordent- lich schläft; auch bemerkte man nirgend, daß er blutrünstig war. Mariechen weinte häufige Thränen auf sein Angesicht und jammerte beständig: Ach! mein Vater! mein Vater! Heinrich saß zu seinen Füßen im Staub, schluchzte und weinte. Indes- sen kam Margarethe auch hinzu; sie fiel neben ihm nieder auf die Knie, faßte ihren Mann um den Hals, rief ihm mit
unterhalb dem Dorf war. Eine Stunde hernach ſtieg auch Eber- hard herab, ging und hatte einen Hacken, um Raſen damit ab- zuſchaͤlen. Er ging des Endes oben ans Ende des Hofs an den Wald; Heinrich blieb gegen dem Hauſe uͤber unter dem Kir- ſchenbaum ſitzen; endlich kam Eberhard wieder, hatte einen großen Raſen um den Kopf hangen, buͤckte ſich zu Heinrichen, ſah ganz ernſthaft aus und ſagte: Sieh, welch eine Schlafkappe! Heinrich fuhr in einander, und ein Schauer ging ihm durch die Seele. Er hat mir hernach wohl geſtanden, daß dieſes einen unvergeßlichen Eindruck auf ihn gemacht habe.
Indeſſen ſtieg Vater Stilling mit dem Raſen das Dach hinauf. Heinrich ſchnitzelte an einem Hoͤlzchen; indem er drauf ſah, hoͤrte er ein Gepolter; er ſah hin, vor ſeinen Au- gen wars ſchwarz, wie die Nacht — lang hingeſtreckt lag da der theure, liebe Mann unter der Laſt von Leitern, ſeine Haͤnde vor der Bruſt gefalten; die Augen ſtarrten; die Zaͤhne klapperten und alle Glieder bebten, wie ein Menſch im ſtar- ken Froſt. Heinrich warf eiligſt die Leitern von ihm, ſtreckte die Arme aus, und lief wie ein Raſender das Dorf hinab, und erfuͤllte das ganze Thal mit Zeter und Jammer. Mar- garethe und Mariechen hoͤrten im Garten kaum halb die ſeelzagende kenntliche Stimme ihres geliebten Knaben; Mariechen that einen hellen Schrei, rang die Haͤnde uͤber dem Kopf und flog das Dorf hinauf. Margarethe ſtrebte hinter ihr her, die Haͤnde vorwaͤrts ausgeſtreckt, die Augen ſtarrten umher; dann und wann machte ein heiſerer Schrei der beklemmenden Bruſt ein wenig Luft. Mariechen und Hein- rich waren zuerſt bei dem lieben Manne. Er lag da lang ausgeſtreckt, die Augen und der Mund waren geſchloſſen, die Haͤnde noch vor der Bruſt gefalten, und ſein Odem ging lang- ſam und ſtark, wie bei einem geſunden Menſchen, der ordent- lich ſchlaͤft; auch bemerkte man nirgend, daß er blutruͤnſtig war. Mariechen weinte haͤufige Thraͤnen auf ſein Angeſicht und jammerte beſtaͤndig: Ach! mein Vater! mein Vater! Heinrich ſaß zu ſeinen Fuͤßen im Staub, ſchluchzte und weinte. Indeſ- ſen kam Margarethe auch hinzu; ſie fiel neben ihm nieder auf die Knie, faßte ihren Mann um den Hals, rief ihm mit
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Wald; Heinrich blieb gegen dem Hauſe uͤber unter dem Kir-
ſchenbaum ſitzen; endlich kam Eberhard wieder, hatte einen
großen Raſen um den Kopf hangen, buͤckte ſich zu Heinrichen,
ſah ganz ernſthaft aus und ſagte: Sieh, welch eine Schlafkappe!
Heinrich fuhr in einander, und ein Schauer ging ihm durch
die Seele. Er hat mir hernach wohl geſtanden, daß dieſes einen
unvergeßlichen Eindruck auf ihn gemacht habe.
Indeſſen ſtieg Vater Stilling mit dem Raſen das Dach
hinauf. Heinrich ſchnitzelte an einem Hoͤlzchen; indem er
drauf ſah, hoͤrte er ein Gepolter; er ſah hin, vor ſeinen Au-
gen wars ſchwarz, wie die Nacht — lang hingeſtreckt lag
da der theure, liebe Mann unter der Laſt von Leitern, ſeine
Haͤnde vor der Bruſt gefalten; die Augen ſtarrten; die Zaͤhne
klapperten und alle Glieder bebten, wie ein Menſch im ſtar-
ken Froſt. Heinrich warf eiligſt die Leitern von ihm, ſtreckte
die Arme aus, und lief wie ein Raſender das Dorf hinab,
und erfuͤllte das ganze Thal mit Zeter und Jammer. Mar-
garethe und Mariechen hoͤrten im Garten kaum halb
die ſeelzagende kenntliche Stimme ihres geliebten Knaben;
Mariechen that einen hellen Schrei, rang die Haͤnde uͤber
dem Kopf und flog das Dorf hinauf. Margarethe ſtrebte
hinter ihr her, die Haͤnde vorwaͤrts ausgeſtreckt, die Augen
ſtarrten umher; dann und wann machte ein heiſerer Schrei der
beklemmenden Bruſt ein wenig Luft. Mariechen und Hein-
rich waren zuerſt bei dem lieben Manne. Er lag da lang
ausgeſtreckt, die Augen und der Mund waren geſchloſſen, die
Haͤnde noch vor der Bruſt gefalten, und ſein Odem ging lang-
ſam und ſtark, wie bei einem geſunden Menſchen, der ordent-
lich ſchlaͤft; auch bemerkte man nirgend, daß er blutruͤnſtig war.
Mariechen weinte haͤufige Thraͤnen auf ſein Angeſicht und
jammerte beſtaͤndig: Ach! mein Vater! mein Vater! Heinrich
ſaß zu ſeinen Fuͤßen im Staub, ſchluchzte und weinte. Indeſ-
ſen kam Margarethe auch hinzu; ſie fiel neben ihm nieder
auf die Knie, faßte ihren Mann um den Hals, rief ihm mit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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