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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Die beiden von Gajus mitgetheilten Fälle waren schwerlich
die einzigen, in denen diese eigenthümliche Art der Klagfassung
zur Anwendung kam. Zwar für die persönlichen Klagen, also den
Conflict der Forderung mit der Gegenforderung, habe ich keinen
Grund zu dieser Behauptung, 88) wohl aber für die dingliche
Klage, namentlich den Conflict des Eigenthums mit dem Nieß-
brauch. Setzen wir den Fall, es hätte Jemand in seinem Testa-
ment seiner Wittwe den Nießbrauch, einer andern Person aber
das Eigenthum an seinem Hause vermacht, die Gültigkeit dieses
letzteren Legats aber wäre in Frage gekommen, und der Berech-
tigte wollte die Frage zur gerichtlichen Entscheidung bringen.
Wie gegen jede andere Person, so stand ihm auch gegen die
Wittwe die reivindicatio zu, allein während er jener gegenüber
nicht nöthig hatte in seiner Klage des Umstandes zu gedenken, daß
ihm der Nießbrauch entzogen sei, so konnte er es dieser Beklag-
ten gegenüber nicht umgehen, denn in ihr stand ihm ja gerade die
Person gegenüber, welcher der Nießbrauch gehörte. Mochte er den-
selben anerkennen oder bestreiten -- kurz so wie ihm das Mittel,
sein Eigenthum, so mußte ihr das Mittel geboten werden,
ihren Nießbrauch zur Anerkennung zu bringen. Dafür bot sich
aber ein ganz einfaches Mittel dar, nämlich die Form der reivind.
mit dem Zusatz deducto usufructu. Diese Formel ist in Anwendung
auf die freiwillige Gerichtsbarkeit bezeugt, 89) und bei der Ueber-

88) Ob in Vat. fr. §. 108 .. deductis quintis singulorum libe-
rorum nomine repetere posse
eine Klage mit deductio gemeint ist, wozu
Ulp. VI, 4: quintis relictis .. stimmen würde, wird sich schwer entschei-
den lassen.
89) Die Formeln der mancipatio und in jure cessio mit deductio wer-
den Vat. fr. §. 50 mitgetheilt. Von ihnen ist namentlich die der in jure ces-
sio
als einer nachgebildeten Vindicatio (B. 2 S. 579) besonders wichtig:
ajo hunc fundum meum esse deducto usufructu. Statt "deducto" kommen
ähnlich wie bei den nothwendigen Impensen der Dos (Note 67) auch re-
tento
(Vat. fr. §. 313) detracto (L. 36 §. 1 L. 54 de usufr. 7. 1,
L. 19 de usu leg. 33. 2)
vor, bei Gaj. II, 33 beide Ausdrücke: detrahere
und deducere neben einander.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.

Die beiden von Gajus mitgetheilten Fälle waren ſchwerlich
die einzigen, in denen dieſe eigenthümliche Art der Klagfaſſung
zur Anwendung kam. Zwar für die perſönlichen Klagen, alſo den
Conflict der Forderung mit der Gegenforderung, habe ich keinen
Grund zu dieſer Behauptung, 88) wohl aber für die dingliche
Klage, namentlich den Conflict des Eigenthums mit dem Nieß-
brauch. Setzen wir den Fall, es hätte Jemand in ſeinem Teſta-
ment ſeiner Wittwe den Nießbrauch, einer andern Perſon aber
das Eigenthum an ſeinem Hauſe vermacht, die Gültigkeit dieſes
letzteren Legats aber wäre in Frage gekommen, und der Berech-
tigte wollte die Frage zur gerichtlichen Entſcheidung bringen.
Wie gegen jede andere Perſon, ſo ſtand ihm auch gegen die
Wittwe die reivindicatio zu, allein während er jener gegenüber
nicht nöthig hatte in ſeiner Klage des Umſtandes zu gedenken, daß
ihm der Nießbrauch entzogen ſei, ſo konnte er es dieſer Beklag-
ten gegenüber nicht umgehen, denn in ihr ſtand ihm ja gerade die
Perſon gegenüber, welcher der Nießbrauch gehörte. Mochte er den-
ſelben anerkennen oder beſtreiten — kurz ſo wie ihm das Mittel,
ſein Eigenthum, ſo mußte ihr das Mittel geboten werden,
ihren Nießbrauch zur Anerkennung zu bringen. Dafür bot ſich
aber ein ganz einfaches Mittel dar, nämlich die Form der reivind.
mit dem Zuſatz deducto usufructu. Dieſe Formel iſt in Anwendung
auf die freiwillige Gerichtsbarkeit bezeugt, 89) und bei der Ueber-

88) Ob in Vat. fr. §. 108 .. deductis quintis singulorum libe-
rorum nomine repetere posse
eine Klage mit deductio gemeint iſt, wozu
Ulp. VI, 4: quintis relictis .. ſtimmen würde, wird ſich ſchwer entſchei-
den laſſen.
89) Die Formeln der mancipatio und in jure cessio mit deductio wer-
den Vat. fr. §. 50 mitgetheilt. Von ihnen iſt namentlich die der in jure ces-
sio
als einer nachgebildeten Vindicatio (B. 2 S. 579) beſonders wichtig:
ajo hunc fundum meum esse deducto usufructu. Statt „deducto“ kommen
ähnlich wie bei den nothwendigen Impenſen der Dos (Note 67) auch re-
tento
(Vat. fr. §. 313) detracto (L. 36 §. 1 L. 54 de usufr. 7. 1,
L. 19 de usu leg. 33. 2)
vor, bei Gaj. II, 33 beide Ausdrücke: detrahere
und deducere neben einander.
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[80/0096] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Die beiden von Gajus mitgetheilten Fälle waren ſchwerlich die einzigen, in denen dieſe eigenthümliche Art der Klagfaſſung zur Anwendung kam. Zwar für die perſönlichen Klagen, alſo den Conflict der Forderung mit der Gegenforderung, habe ich keinen Grund zu dieſer Behauptung, 88) wohl aber für die dingliche Klage, namentlich den Conflict des Eigenthums mit dem Nieß- brauch. Setzen wir den Fall, es hätte Jemand in ſeinem Teſta- ment ſeiner Wittwe den Nießbrauch, einer andern Perſon aber das Eigenthum an ſeinem Hauſe vermacht, die Gültigkeit dieſes letzteren Legats aber wäre in Frage gekommen, und der Berech- tigte wollte die Frage zur gerichtlichen Entſcheidung bringen. Wie gegen jede andere Perſon, ſo ſtand ihm auch gegen die Wittwe die reivindicatio zu, allein während er jener gegenüber nicht nöthig hatte in ſeiner Klage des Umſtandes zu gedenken, daß ihm der Nießbrauch entzogen ſei, ſo konnte er es dieſer Beklag- ten gegenüber nicht umgehen, denn in ihr ſtand ihm ja gerade die Perſon gegenüber, welcher der Nießbrauch gehörte. Mochte er den- ſelben anerkennen oder beſtreiten — kurz ſo wie ihm das Mittel, ſein Eigenthum, ſo mußte ihr das Mittel geboten werden, ihren Nießbrauch zur Anerkennung zu bringen. Dafür bot ſich aber ein ganz einfaches Mittel dar, nämlich die Form der reivind. mit dem Zuſatz deducto usufructu. Dieſe Formel iſt in Anwendung auf die freiwillige Gerichtsbarkeit bezeugt, 89) und bei der Ueber- 88) Ob in Vat. fr. §. 108 .. deductis quintis singulorum libe- rorum nomine repetere posse eine Klage mit deductio gemeint iſt, wozu Ulp. VI, 4: quintis relictis .. ſtimmen würde, wird ſich ſchwer entſchei- den laſſen. 89) Die Formeln der mancipatio und in jure cessio mit deductio wer- den Vat. fr. §. 50 mitgetheilt. Von ihnen iſt namentlich die der in jure ces- sio als einer nachgebildeten Vindicatio (B. 2 S. 579) beſonders wichtig: ajo hunc fundum meum esse deducto usufructu. Statt „deducto“ kommen ähnlich wie bei den nothwendigen Impenſen der Dos (Note 67) auch re- tento (Vat. fr. §. 313) detracto (L. 36 §. 1 L. 54 de usufr. 7. 1, L. 19 de usu leg. 33. 2) vor, bei Gaj. II, 33 beide Ausdrücke: detrahere und deducere neben einander.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/96>, abgerufen am 25.11.2024.