Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Zur Zeit, als die Klagen mit einer intentio incerta (S. 22)aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit, die Frau klagte mit der act. rei uxoriae auf "quantum aequius melius sit dari"; in dem "quantum" steckt bereits die Hindeu- tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung. Allein zur Zeit, als noch das Princip der intentio certa existirte, und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel- mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeschlossenen Stipulationen (cautiones rei uxoriae) zurückgefordert werden konnte, 60) mußte die Klage nicht unbestimmt auf ein "quantum", sondern auf das ganze bestimmte Dotalobject und mithin, wenn letzteres in Geld bestand, auf Geld gerichtet werden. Hier hätte also die Frau, wenn sie sich nicht einer plus-petitio und damit der Gefahr des Verlustes des ganzen Processes aussetzen wollte, die Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in Abzug bringen müssen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen? Wie konnte sie den Betrag der Gegenforderung von sich selbst wissen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des Argentarius (s. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen konnte und mußte, läßt sich eben aus dem Grunde nicht heran- ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf diese Frage in der von Gajus 61) mitgetheilten Präjudicialklage über den Betrag der Dos zu finden. Einen verständigen Grund für die Noth- wendigkeit dieser Präjudicialklage soll man noch erst angeben. In das System der intentio incerta paßt sie absolut nicht, denn hier steht ja der Ermittelung und Feststellung des Betrags der Dos in dem Dotalproceß selber nichts im Wege, sie weist also mit Nothwendigkeit auf das System der intentio certa hin. 60) A. Gellius N. A. IV, 3 datirt dieselben von der Ehescheidung des Carvilius Ruga (523 d. St.); Hasse, das Güterrecht der Ehegatten nach R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieser Zeit aber stand meiner Ansicht nach das Princip der intentio certa noch in vollster Blüthe. 61) Gaj. IV, 44: praejudicialibus formulis, qualis est, qua quaeri-
tur ... quanta dos sit. Die Erklärung, die O. Bülow de praejudic. form. (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Zur Zeit, als die Klagen mit einer intentio incerta (S. 22)aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit, die Frau klagte mit der act. rei uxoriae auf „quantum aequius melius sit dari“; in dem „quantum“ ſteckt bereits die Hindeu- tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung. Allein zur Zeit, als noch das Princip der intentio certa exiſtirte, und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel- mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeſchloſſenen Stipulationen (cautiones rei uxoriae) zurückgefordert werden konnte, 60) mußte die Klage nicht unbeſtimmt auf ein „quantum“, ſondern auf das ganze beſtimmte Dotalobject und mithin, wenn letzteres in Geld beſtand, auf Geld gerichtet werden. Hier hätte alſo die Frau, wenn ſie ſich nicht einer plus-petitio und damit der Gefahr des Verluſtes des ganzen Proceſſes ausſetzen wollte, die Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in Abzug bringen müſſen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen? Wie konnte ſie den Betrag der Gegenforderung von ſich ſelbſt wiſſen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des Argentarius (ſ. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen konnte und mußte, läßt ſich eben aus dem Grunde nicht heran- ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf dieſe Frage in der von Gajus 61) mitgetheilten Präjudicialklage über den Betrag der Dos zu finden. Einen verſtändigen Grund für die Noth- wendigkeit dieſer Präjudicialklage ſoll man noch erſt angeben. In das Syſtem der intentio incerta paßt ſie abſolut nicht, denn hier ſteht ja der Ermittelung und Feſtſtellung des Betrags der Dos in dem Dotalproceß ſelber nichts im Wege, ſie weiſt alſo mit Nothwendigkeit auf das Syſtem der intentio certa hin. 60) A. Gellius N. A. IV, 3 datirt dieſelben von der Eheſcheidung des Carvilius Ruga (523 d. St.); Haſſe, das Güterrecht der Ehegatten nach R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieſer Zeit aber ſtand meiner Anſicht nach das Princip der intentio certa noch in vollſter Blüthe. 61) Gaj. IV, 44: praejudicialibus formulis, qualis est, qua quaeri-
tur … quanta dos sit. Die Erklärung, die O. Bülow de praejudic. form. (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <div n="10"> <div n="11"> <p><pb facs="#f0086" n="70"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/> Zur Zeit, als die Klagen mit einer <hi rendition="#aq">intentio incerta</hi> (S. 22)<lb/> aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit,<lb/> die Frau klagte mit der <hi rendition="#aq">act. rei uxoriae</hi> auf <hi rendition="#aq">„quantum aequius<lb/> melius sit dari“;</hi> in dem <hi rendition="#aq">„quantum“</hi> ſteckt bereits die Hindeu-<lb/> tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung.<lb/> Allein zur Zeit, als noch das Princip der <hi rendition="#aq">intentio certa</hi> exiſtirte,<lb/> und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel-<lb/> mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeſchloſſenen<lb/> Stipulationen <hi rendition="#aq">(cautiones rei uxoriae)</hi> zurückgefordert werden<lb/> konnte, <note place="foot" n="60)"><hi rendition="#aq">A. Gellius N. A. IV,</hi> 3 datirt dieſelben von der Eheſcheidung des<lb/> Carvilius Ruga (523 d. St.); <hi rendition="#g">Haſſe</hi>, das Güterrecht der Ehegatten nach<lb/> R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieſer Zeit aber ſtand meiner Anſicht nach das<lb/> Princip der <hi rendition="#aq">intentio certa</hi> noch in vollſter Blüthe.</note> mußte die Klage nicht unbeſtimmt auf ein <hi rendition="#aq">„quantum“,</hi><lb/> ſondern auf das ganze beſtimmte Dotalobject und mithin, wenn<lb/> letzteres in Geld beſtand, auf <hi rendition="#g">Geld</hi> gerichtet werden. Hier hätte<lb/> alſo die Frau, wenn ſie ſich nicht einer <hi rendition="#aq">plus-petitio</hi> und damit der<lb/> Gefahr des Verluſtes des ganzen Proceſſes ausſetzen wollte, die<lb/> Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in<lb/> Abzug bringen müſſen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen?<lb/> Wie konnte ſie den Betrag der Gegenforderung von ſich ſelbſt<lb/> wiſſen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des<lb/> Argentarius (ſ. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen<lb/> konnte und mußte, läßt ſich eben aus dem Grunde nicht heran-<lb/> ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf dieſe Frage in der<lb/> von Gajus <note place="foot" n="61)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV, 44: praejudicialibus formulis, qualis est, qua quaeri-<lb/> tur … <hi rendition="#g">quanta dos sit</hi>.</hi> Die Erklärung, die <hi rendition="#aq">O. <hi rendition="#g">Bülow</hi> de praejudic.<lb/> form.</hi> (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht.</note> mitgetheilten Präjudicialklage über den <hi rendition="#g">Betrag<lb/> der Dos</hi> zu finden. Einen verſtändigen Grund für die Noth-<lb/> wendigkeit dieſer Präjudicialklage ſoll man noch erſt angeben.<lb/> In das Syſtem der <hi rendition="#aq">intentio incerta</hi> paßt ſie abſolut nicht, denn<lb/> hier ſteht ja der Ermittelung und Feſtſtellung des <hi rendition="#g">Betrags</hi><lb/> der Dos in dem Dotalproceß ſelber nichts im Wege, ſie weiſt<lb/> alſo mit Nothwendigkeit auf das Syſtem der <hi rendition="#aq">intentio certa</hi> hin.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0086]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Zur Zeit, als die Klagen mit einer intentio incerta (S. 22)
aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit,
die Frau klagte mit der act. rei uxoriae auf „quantum aequius
melius sit dari“; in dem „quantum“ ſteckt bereits die Hindeu-
tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung.
Allein zur Zeit, als noch das Princip der intentio certa exiſtirte,
und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel-
mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeſchloſſenen
Stipulationen (cautiones rei uxoriae) zurückgefordert werden
konnte, 60) mußte die Klage nicht unbeſtimmt auf ein „quantum“,
ſondern auf das ganze beſtimmte Dotalobject und mithin, wenn
letzteres in Geld beſtand, auf Geld gerichtet werden. Hier hätte
alſo die Frau, wenn ſie ſich nicht einer plus-petitio und damit der
Gefahr des Verluſtes des ganzen Proceſſes ausſetzen wollte, die
Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in
Abzug bringen müſſen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen?
Wie konnte ſie den Betrag der Gegenforderung von ſich ſelbſt
wiſſen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des
Argentarius (ſ. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen
konnte und mußte, läßt ſich eben aus dem Grunde nicht heran-
ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf dieſe Frage in der
von Gajus 61) mitgetheilten Präjudicialklage über den Betrag
der Dos zu finden. Einen verſtändigen Grund für die Noth-
wendigkeit dieſer Präjudicialklage ſoll man noch erſt angeben.
In das Syſtem der intentio incerta paßt ſie abſolut nicht, denn
hier ſteht ja der Ermittelung und Feſtſtellung des Betrags
der Dos in dem Dotalproceß ſelber nichts im Wege, ſie weiſt
alſo mit Nothwendigkeit auf das Syſtem der intentio certa hin.
60) A. Gellius N. A. IV, 3 datirt dieſelben von der Eheſcheidung des
Carvilius Ruga (523 d. St.); Haſſe, das Güterrecht der Ehegatten nach
R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieſer Zeit aber ſtand meiner Anſicht nach das
Princip der intentio certa noch in vollſter Blüthe.
61) Gaj. IV, 44: praejudicialibus formulis, qualis est, qua quaeri-
tur … quanta dos sit. Die Erklärung, die O. Bülow de praejudic.
form. (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht.
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