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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzersetzung. §. 51.
fest im Auge haltend, waren sie gesichert gegen die Gefahr einer
Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsspalterei,
gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbstzweck und
Krankheit wird.

Von dieser Verirrung, welche zu Zeiten wissenschaftlicher
Oede und Dürre das schöpferische Denken ersetzt und carikirt,
gilt was Quintilian 20) treffend sagt: sie spaltet selbst das, was
seiner Natur nach einfach ist, und indem sie nicht sowohl scheidet,
als zerstückelt, bewirkt sie durch ihre Unterscheidungen gerade das,
was sie abwehren will: Dunkelheit. Es bedarf nur eines
Blickes auf das ältere Recht, um sich zu überzeugen, daß es sich
von dieser Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm
darum zu thun gewesen, möglichst kleine Klagen zu schaffen, es
hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), so
auch bei dem Kauf derselben eben so viele Klagen geben können,
als Objecte vorhanden sind; oder da es für die Stipulation den
Satz aufstellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine
Stipulation mehre Gegenstände umfaßt, so ist es so gut, als ob
über jeden derselben eine besondere Stipulation abgeschlossen
wäre, so hätte es diesem Satze, dessen hauptsächliche, wenn
nicht ausschließliche praktische Bedeutung in der Klagenconsum-
tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein-
räumen können, daß über jeden der mehren Gegenstände beson-
ders hätte geklagt werden müssen; kurz soweit für den Klä-
ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte
es dieselbe zur Nothwendigkeit erheben müssen. Eine solche
Zersetzung des Klagstoffs hätte in der That mit dem Ausdruck
Quintilians den Namen der Zerstücklung verdient; weit entfernt
einem praktischen Interesse zu dienen, hätte sie demselben viel-

20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 ... quae natura singularia sunt
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille
particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in-
venta est
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A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51.
feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einer
Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei,
gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und
Krankheit wird.

Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher
Oede und Dürre das ſchöpferiſche Denken erſetzt und carikirt,
gilt was Quintilian 20) treffend ſagt: ſie ſpaltet ſelbſt das, was
ſeiner Natur nach einfach iſt, und indem ſie nicht ſowohl ſcheidet,
als zerſtückelt, bewirkt ſie durch ihre Unterſcheidungen gerade das,
was ſie abwehren will: Dunkelheit. Es bedarf nur eines
Blickes auf das ältere Recht, um ſich zu überzeugen, daß es ſich
von dieſer Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm
darum zu thun geweſen, möglichſt kleine Klagen zu ſchaffen, es
hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), ſo
auch bei dem Kauf derſelben eben ſo viele Klagen geben können,
als Objecte vorhanden ſind; oder da es für die Stipulation den
Satz aufſtellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine
Stipulation mehre Gegenſtände umfaßt, ſo iſt es ſo gut, als ob
über jeden derſelben eine beſondere Stipulation abgeſchloſſen
wäre, ſo hätte es dieſem Satze, deſſen hauptſächliche, wenn
nicht ausſchließliche praktiſche Bedeutung in der Klagenconſum-
tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein-
räumen können, daß über jeden der mehren Gegenſtände beſon-
ders hätte geklagt werden müſſen; kurz ſoweit für den Klä-
ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte
es dieſelbe zur Nothwendigkeit erheben müſſen. Eine ſolche
Zerſetzung des Klagſtoffs hätte in der That mit dem Ausdruck
Quintilians den Namen der Zerſtücklung verdient; weit entfernt
einem praktiſchen Intereſſe zu dienen, hätte ſie demſelben viel-

20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille
particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in-
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[37/0053] A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51. feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einer Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei, gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und Krankheit wird. Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher Oede und Dürre das ſchöpferiſche Denken erſetzt und carikirt, gilt was Quintilian 20) treffend ſagt: ſie ſpaltet ſelbſt das, was ſeiner Natur nach einfach iſt, und indem ſie nicht ſowohl ſcheidet, als zerſtückelt, bewirkt ſie durch ihre Unterſcheidungen gerade das, was ſie abwehren will: Dunkelheit. Es bedarf nur eines Blickes auf das ältere Recht, um ſich zu überzeugen, daß es ſich von dieſer Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm darum zu thun geweſen, möglichſt kleine Klagen zu ſchaffen, es hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), ſo auch bei dem Kauf derſelben eben ſo viele Klagen geben können, als Objecte vorhanden ſind; oder da es für die Stipulation den Satz aufſtellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine Stipulation mehre Gegenſtände umfaßt, ſo iſt es ſo gut, als ob über jeden derſelben eine beſondere Stipulation abgeſchloſſen wäre, ſo hätte es dieſem Satze, deſſen hauptſächliche, wenn nicht ausſchließliche praktiſche Bedeutung in der Klagenconſum- tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein- räumen können, daß über jeden der mehren Gegenſtände beſon- ders hätte geklagt werden müſſen; kurz ſoweit für den Klä- ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte es dieſelbe zur Nothwendigkeit erheben müſſen. Eine ſolche Zerſetzung des Klagſtoffs hätte in der That mit dem Ausdruck Quintilians den Namen der Zerſtücklung verdient; weit entfernt einem praktiſchen Intereſſe zu dienen, hätte ſie demſelben viel- 20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in- venta est.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/53>, abgerufen am 22.11.2024.