Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Nothwendigkeit der Proceßordnung. §. 50. Es würde Jemand nicht viele Processe zu führen brauchen, Der Proceß also ist eine Nothwendigkeit. Wie Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 2
A. Der Proceß. Nothwendigkeit der Proceßordnung. §. 50. Es würde Jemand nicht viele Proceſſe zu führen brauchen, Der Proceß alſo iſt eine Nothwendigkeit. Wie Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 2
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A. Der Proceß. Nothwendigkeit der Proceßordnung. §. 50.
Es würde Jemand nicht viele Proceſſe zu führen brauchen,
um ſich von der Irrigkeit dieſer Anſicht zu überzeugen. Rechts-
pflege und geſetzliche Ordnung des proceſſuali-
ſchen Verfahrens iſt gleichbedeutend, denn Freiheit
des Verfahrens heißt Freiheit richterlicher Willkür und Parthei-
lichkeit, Freiheit der Chikane und der Verſchleppung des Pro-
ceſſes. Freilich: wäre das Suchen nach Wahrheit auf Seiten
der Partheien ein ebenſo unintereſſirtes, wie es auf Seiten des
Richters ſein ſoll, das Recht brauchte ſie dabei in keiner Weiſe
zu beſchränken, allein dem Intereſſe an der Ermittlung der Wahr-
heit auf der einen Seite ſteht auf der andern das gerade entge-
gengeſetzte gegenüber, auf beiden Seiten reicht das Intereſſe an
der Wahrheit nur ſo weit als das Intereſſe, und eben
dieſer Umſtand allein ſchon würde eine Ordnung des Proceſſes
nöthig machen, der ſonſtigen Rückſichten, die wir hier nicht nam-
haft machen wollen, zu geſchweigen.
Der Proceß alſo iſt eine Nothwendigkeit. Wie
bei faſt allen Inſtitutionen die Vortheile, die ſie gewähren, mit
gewiſſen Nachtheilen erkauft werden müſſen, ſo auch beim Proceß,
und gerade er läßt ſich die letzteren recht theuer, bei fehlerhafter
Organiſation ſogar unerträglich hoch bezahlen. Es iſt ein Leich-
tes, eine Beſchreibung vom Proceß zu entwerfen, welche ihn
dem Unkundigen im abſchreckendſten Licht erſcheinen läßt, und
zwar ohne im Mindeſten zu übertreiben. Oder wäre es Ueber-
treibung, wenn wir ihn ſo definirten: der Proceß iſt eine Ein-
richtung, welche die Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung häuft
und vermehrt, indem ſie zu den materiellen Fragen noch die for-
mellen hinzufügt, — welche den Richter in der Ermittlung der
Wahrheit beſchränkt und hemmt und ihn nicht ſelten zwingt, ge-
gen ſeine Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen, — welche die
Widerſtandskraft des Unrechts gegen das Recht erhöht und in
ihren Formvorſchriften Netze und Fußangeln ausſtellt, in denen
ſich oft die gerechteſte Sache fängt? Alles dies iſt wahr, ja in
dem Maße, daß es nicht eine beſonders fehlerhafte Organiſation
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 2
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