Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
Scheingeschäft ist ein Isolirungsapparat. Es ist derselbe Kunstgriff, den wir bereits bei so manchen der im §. 57 genannten Fälle haben kennen lernen.
An die Ehe hatte die lex Julia und Papia Poppaea gewisse Vortheile geknüpft. Um dieser einen Wirkung theilhaftig zu werden, ging man eine Ehe ein, bei der beide Theile sich darüber verständigten, daß alle übrigen Wirkungen ausgeschlossen sein sollten. In derselben Weise verfährt die coemptio fiduciae causa. Wie weit jene Möglichkeit der Auslösung einer einzelnen Wirkung gerade bei ihr reichte, beweist am besten der Umstand, daß die drei Zwecke, für welche sie verwandt ward, als drei ver- schiedene Anwendungsfälle oder Arten derselben bezeichnet wer- den, woraus hervorgeht, daß jeder derselben selbständig ohne die andern erreicht werden konnte. Eine Frau mochte den Wunsch hegen, einen andern Geschlechtsvormund zu erhalten oder ein Testament zu errichten, aber sie war keineswegs gewillt, ihre sacra aufzugeben. Wären nothwendigerweise sämmtliche Wir- kungen der coemptio eingetreten, so hätte sie das eine ohne das andere gar nicht gekonnt. Das Recht legte ihr kein Hinderniß in den Weg.
Der Richter, der über einen bedingten Anspruch ein Urtheil fällt, erkennt damit zugleich implicite über die Bedingung. Diesen letztern Punkt greift die sponsio praejudicialis heraus, um in Form des bedingten Geldversprechens gewisse Fragen indirect zur richterlichen Beurtheilung zu bringen. Die Wirkung des Urtheils beschränkt sich auf Feststellung dieser Fragen, der directe Inhalt desselben: die Verurtheilung auf die versprochene Summe erlangte keine Rechtskraft.
Das älteste Recht kannte keine Entlassung der Kinder aus der väterlichen Gewalt. Nur wenn der Vater den Sohn drei Mal, Tochter und Enkel ein Mal ins Mancipium gegeben hatte, sollten sie für immer frei von ihm werden -- eine Bestimmung, die offenbar als Strafe gemeint war. Diese Strafe ergreift die Emancipation als Zweck, indem sie, um die Befreiung des
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Scheingeſchäft iſt ein Iſolirungsapparat. Es iſt derſelbe Kunſtgriff, den wir bereits bei ſo manchen der im §. 57 genannten Fälle haben kennen lernen.
An die Ehe hatte die lex Julia und Papia Poppaea gewiſſe Vortheile geknüpft. Um dieſer einen Wirkung theilhaftig zu werden, ging man eine Ehe ein, bei der beide Theile ſich darüber verſtändigten, daß alle übrigen Wirkungen ausgeſchloſſen ſein ſollten. In derſelben Weiſe verfährt die coemptio fiduciae causa. Wie weit jene Möglichkeit der Auslöſung einer einzelnen Wirkung gerade bei ihr reichte, beweiſt am beſten der Umſtand, daß die drei Zwecke, für welche ſie verwandt ward, als drei ver- ſchiedene Anwendungsfälle oder Arten derſelben bezeichnet wer- den, woraus hervorgeht, daß jeder derſelben ſelbſtändig ohne die andern erreicht werden konnte. Eine Frau mochte den Wunſch hegen, einen andern Geſchlechtsvormund zu erhalten oder ein Teſtament zu errichten, aber ſie war keineswegs gewillt, ihre sacra aufzugeben. Wären nothwendigerweiſe ſämmtliche Wir- kungen der coemptio eingetreten, ſo hätte ſie das eine ohne das andere gar nicht gekonnt. Das Recht legte ihr kein Hinderniß in den Weg.
Der Richter, der über einen bedingten Anſpruch ein Urtheil fällt, erkennt damit zugleich implicite über die Bedingung. Dieſen letztern Punkt greift die sponsio praejudicialis heraus, um in Form des bedingten Geldverſprechens gewiſſe Fragen indirect zur richterlichen Beurtheilung zu bringen. Die Wirkung des Urtheils beſchränkt ſich auf Feſtſtellung dieſer Fragen, der directe Inhalt deſſelben: die Verurtheilung auf die verſprochene Summe erlangte keine Rechtskraft.
Das älteſte Recht kannte keine Entlaſſung der Kinder aus der väterlichen Gewalt. Nur wenn der Vater den Sohn drei Mal, Tochter und Enkel ein Mal ins Mancipium gegeben hatte, ſollten ſie für immer frei von ihm werden — eine Beſtimmung, die offenbar als Strafe gemeint war. Dieſe Strafe ergreift die Emancipation als Zweck, indem ſie, um die Befreiung des
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
Scheingeſchäft iſt ein Iſolirungsapparat. Es iſt
derſelbe Kunſtgriff, den wir bereits bei ſo manchen der im §. 57
genannten Fälle haben kennen lernen.
An die Ehe hatte die lex Julia und Papia Poppaea gewiſſe
Vortheile geknüpft. Um dieſer einen Wirkung theilhaftig zu
werden, ging man eine Ehe ein, bei der beide Theile ſich darüber
verſtändigten, daß alle übrigen Wirkungen ausgeſchloſſen ſein
ſollten. In derſelben Weiſe verfährt die coemptio fiduciae causa.
Wie weit jene Möglichkeit der Auslöſung einer einzelnen
Wirkung gerade bei ihr reichte, beweiſt am beſten der Umſtand,
daß die drei Zwecke, für welche ſie verwandt ward, als drei ver-
ſchiedene Anwendungsfälle oder Arten derſelben bezeichnet wer-
den, woraus hervorgeht, daß jeder derſelben ſelbſtändig ohne die
andern erreicht werden konnte. Eine Frau mochte den Wunſch
hegen, einen andern Geſchlechtsvormund zu erhalten oder ein
Teſtament zu errichten, aber ſie war keineswegs gewillt, ihre
sacra aufzugeben. Wären nothwendigerweiſe ſämmtliche Wir-
kungen der coemptio eingetreten, ſo hätte ſie das eine ohne das
andere gar nicht gekonnt. Das Recht legte ihr kein Hinderniß
in den Weg.
Der Richter, der über einen bedingten Anſpruch ein Urtheil
fällt, erkennt damit zugleich implicite über die Bedingung.
Dieſen letztern Punkt greift die sponsio praejudicialis heraus,
um in Form des bedingten Geldverſprechens gewiſſe Fragen
indirect zur richterlichen Beurtheilung zu bringen. Die Wirkung
des Urtheils beſchränkt ſich auf Feſtſtellung dieſer Fragen, der
directe Inhalt deſſelben: die Verurtheilung auf die verſprochene
Summe erlangte keine Rechtskraft.
Das älteſte Recht kannte keine Entlaſſung der Kinder aus
der väterlichen Gewalt. Nur wenn der Vater den Sohn drei
Mal, Tochter und Enkel ein Mal ins Mancipium gegeben hatte,
ſollten ſie für immer frei von ihm werden — eine Beſtimmung,
die offenbar als Strafe gemeint war. Dieſe Strafe ergreift
die Emancipation als Zweck, indem ſie, um die Befreiung des
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/290>, abgerufen am 16.02.2025.
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