erfundenen Namen bezeichnen kann: die Constructions- handlungen, die Scheingeschäfte und die Fictionen.
Mit dem erstgenannten Mittel hatte es folgende Bewand- niß. Nach dem bisherigen Rechte ist die Hervorbringung einer gewissen rechtlichen Wirkung lediglich Sache des freien Willens, also ausschließlich an die Handlung des Subjects geknüpft. Der Fortschritt der Entwicklung bringt es jetzt mit sich, daß sie auch unabhängig davon als nothwendige Folge irgend eines Ver- hältnisses eintrete. Wenn ein heutiger Jurist das Gesetz zu re- digiren hätte, durch welches diese Neuerung eingeführt werden sollte, so würde er über die Form seiner Fassung schwerlich in Zweifel sein, er würde einfach den Satz aussprechen, daß nicht bloß die Handlung, sondern das Verhältniß selber die Wirkung erzeuge. Damit würde aber der entgegengesetzte Satz des frühern Rechts principiell alterirt sein. Eben um dies zu vermeiden, um also die Neuerung dem bestehenden Recht formell anzuschließen, schlagen die Römer einen andern Weg ein. Sie lassen den Satz, daß nur die Handlung die Wirkung hervorbringe, stehen, aber, indem sie das Subject zur Vornahme derselben, sei es direct, sei es indirect zwingen, sorgen sie dafür, daß letztere stets da eintritt, wo sie nöthig ist. In Wirklichkeit ist hier ihr bisheriges Abhängigkeitsverhältniß vom Willen des Subjects aufgehoben, aber der Form nach ist dasselbe gerettet -- die Wirkung tritt nur ein, wenn das Subject sie will, aber freilich das Subject muß wollen! Solche Handlungen nun, die lediglich im Interesse der juristischen Construction, um den bisherigen Rechtsmechanismus beizubehalten, erzwungen und vorgenommen werden, nenne ich Constructionshandlungen. Das römische Recht kennt dieselben in großer Menge, es werden einige Beispiele zur Ver- anschaulichung des Verhältnisses genügen.
Das SC. Pegasianum zwang den mit einem Universal- fideicommiß belasteten Erben bei grundloser Weigerung zur An- tretung und Restitution der Erbschaft -- ein reiner Scheinakt, der nicht die geringsten Wirkungen für ihn hatte, weder vortheil-
Die künſtlichen Mittel. §. 58.
erfundenen Namen bezeichnen kann: die Conſtructions- handlungen, die Scheingeſchäfte und die Fictionen.
Mit dem erſtgenannten Mittel hatte es folgende Bewand- niß. Nach dem bisherigen Rechte iſt die Hervorbringung einer gewiſſen rechtlichen Wirkung lediglich Sache des freien Willens, alſo ausſchließlich an die Handlung des Subjects geknüpft. Der Fortſchritt der Entwicklung bringt es jetzt mit ſich, daß ſie auch unabhängig davon als nothwendige Folge irgend eines Ver- hältniſſes eintrete. Wenn ein heutiger Juriſt das Geſetz zu re- digiren hätte, durch welches dieſe Neuerung eingeführt werden ſollte, ſo würde er über die Form ſeiner Faſſung ſchwerlich in Zweifel ſein, er würde einfach den Satz ausſprechen, daß nicht bloß die Handlung, ſondern das Verhältniß ſelber die Wirkung erzeuge. Damit würde aber der entgegengeſetzte Satz des frühern Rechts principiell alterirt ſein. Eben um dies zu vermeiden, um alſo die Neuerung dem beſtehenden Recht formell anzuſchließen, ſchlagen die Römer einen andern Weg ein. Sie laſſen den Satz, daß nur die Handlung die Wirkung hervorbringe, ſtehen, aber, indem ſie das Subject zur Vornahme derſelben, ſei es direct, ſei es indirect zwingen, ſorgen ſie dafür, daß letztere ſtets da eintritt, wo ſie nöthig iſt. In Wirklichkeit iſt hier ihr bisheriges Abhängigkeitsverhältniß vom Willen des Subjects aufgehoben, aber der Form nach iſt daſſelbe gerettet — die Wirkung tritt nur ein, wenn das Subject ſie will, aber freilich das Subject muß wollen! Solche Handlungen nun, die lediglich im Intereſſe der juriſtiſchen Conſtruction, um den bisherigen Rechtsmechanismus beizubehalten, erzwungen und vorgenommen werden, nenne ich Conſtructionshandlungen. Das römiſche Recht kennt dieſelben in großer Menge, es werden einige Beiſpiele zur Ver- anſchaulichung des Verhältniſſes genügen.
Das SC. Pegasianum zwang den mit einem Univerſal- fideicommiß belaſteten Erben bei grundloſer Weigerung zur An- tretung und Reſtitution der Erbſchaft — ein reiner Scheinakt, der nicht die geringſten Wirkungen für ihn hatte, weder vortheil-
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Die künſtlichen Mittel. §. 58.
erfundenen Namen bezeichnen kann: die Conſtructions-
handlungen, die Scheingeſchäfte und die Fictionen.
Mit dem erſtgenannten Mittel hatte es folgende Bewand-
niß. Nach dem bisherigen Rechte iſt die Hervorbringung einer
gewiſſen rechtlichen Wirkung lediglich Sache des freien Willens,
alſo ausſchließlich an die Handlung des Subjects geknüpft. Der
Fortſchritt der Entwicklung bringt es jetzt mit ſich, daß ſie auch
unabhängig davon als nothwendige Folge irgend eines Ver-
hältniſſes eintrete. Wenn ein heutiger Juriſt das Geſetz zu re-
digiren hätte, durch welches dieſe Neuerung eingeführt werden
ſollte, ſo würde er über die Form ſeiner Faſſung ſchwerlich in
Zweifel ſein, er würde einfach den Satz ausſprechen, daß nicht
bloß die Handlung, ſondern das Verhältniß ſelber die Wirkung
erzeuge. Damit würde aber der entgegengeſetzte Satz des frühern
Rechts principiell alterirt ſein. Eben um dies zu vermeiden, um
alſo die Neuerung dem beſtehenden Recht formell anzuſchließen,
ſchlagen die Römer einen andern Weg ein. Sie laſſen den Satz,
daß nur die Handlung die Wirkung hervorbringe, ſtehen, aber,
indem ſie das Subject zur Vornahme derſelben, ſei es direct,
ſei es indirect zwingen, ſorgen ſie dafür, daß letztere ſtets da
eintritt, wo ſie nöthig iſt. In Wirklichkeit iſt hier ihr bisheriges
Abhängigkeitsverhältniß vom Willen des Subjects aufgehoben,
aber der Form nach iſt daſſelbe gerettet — die Wirkung tritt nur
ein, wenn das Subject ſie will, aber freilich das Subject muß
wollen! Solche Handlungen nun, die lediglich im Intereſſe der
juriſtiſchen Conſtruction, um den bisherigen Rechtsmechanismus
beizubehalten, erzwungen und vorgenommen werden, nenne ich
Conſtructionshandlungen. Das römiſche Recht kennt
dieſelben in großer Menge, es werden einige Beiſpiele zur Ver-
anſchaulichung des Verhältniſſes genügen.
Das SC. Pegasianum zwang den mit einem Univerſal-
fideicommiß belaſteten Erben bei grundloſer Weigerung zur An-
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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