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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.
fördert, die durch ihre Feinheit und geniale Einfachheit über-
raschen -- glückliche Würfe des juristischen Genies, die uns
heutzutage noch als Muster dienen können.

Für das richtige Verständniß des ältern Rechts ist die Kennt-
niß der juristischen Oekonomie von nicht geringerer Erheblichkeit,
als die der juristischen Analyse. An der Bildung und Gestaltung
der juristischen Seite des ältern Rechts haben beide den gleichen
Antheil. Dagegen liegt allerdings der geistige Höhepunkt, zu
dem sich die juristische Kunst in diesem zweiten Zweige erhebt,
tiefer, als bei dem ersten. Nicht etwa, als ob sie hier hinter
ihrer Aufgabe zurückgeblieben wäre; aber die Aufgabe selber
verstattete ihr nicht denselben Spielraum zur Entfaltung geistiger
Kraft, nicht jene Versenkung in das Feinste und Tiefste der
Begriffswelt, zu der das Problem der Zersetzung Anlaß bot.
Die Leistungen, die sie hier aufzuweisen hat, bestehen mehr in
Lösung von Aufgaben, als in Lösung einer Aufgabe. Von
der Analyse waren wir im Stande eine Theorie zu entwerfen
d. h. ein System von Regeln aufzustellen, die in einem obersten
Gesichtspunkt ihren letzten Grund hatten und unter sich in engster
Wechselwirkung standen. Das ist uns bei der juristischen
Oekonomie nicht möglich. Für diese logische Durchbildung eines
Princips, diese Dialektik des Gedankens, der von Regel zu
Regel fortschreitend das ganze Recht umspannt und beherrscht,
bot sie eben keinen Raum. Unsere Darstellung nimmt dadurch
einen wesentlich andern Charakter an, sie hat sich zu bescheiden,
eine Reihe von Fällen und Verhältnissen namhaft zu machen,
an denen unser obiger Gesichtspunkt wahrnehmbar wird. Das
Maß, in dem dies zu geschehen hat, ist rein Sache des durch
die Rücksicht der Zweckmäßigkeit geleiteten subjectiven Ermessens.
Ich werde so viel Material heranziehen, als nöthig ist, um auch
dem minder Kundigen ein anschauliches Bild jener Methode zu
gewähren und ihn damit in Stand zu setzen, die Anwendung
auf andere Fälle selber zu machen. Dabei werde ich mich
derselben Freiheit bedienen, wie bei früheren Gelegenheiten,

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.
fördert, die durch ihre Feinheit und geniale Einfachheit über-
raſchen — glückliche Würfe des juriſtiſchen Genies, die uns
heutzutage noch als Muſter dienen können.

Für das richtige Verſtändniß des ältern Rechts iſt die Kennt-
niß der juriſtiſchen Oekonomie von nicht geringerer Erheblichkeit,
als die der juriſtiſchen Analyſe. An der Bildung und Geſtaltung
der juriſtiſchen Seite des ältern Rechts haben beide den gleichen
Antheil. Dagegen liegt allerdings der geiſtige Höhepunkt, zu
dem ſich die juriſtiſche Kunſt in dieſem zweiten Zweige erhebt,
tiefer, als bei dem erſten. Nicht etwa, als ob ſie hier hinter
ihrer Aufgabe zurückgeblieben wäre; aber die Aufgabe ſelber
verſtattete ihr nicht denſelben Spielraum zur Entfaltung geiſtiger
Kraft, nicht jene Verſenkung in das Feinſte und Tiefſte der
Begriffswelt, zu der das Problem der Zerſetzung Anlaß bot.
Die Leiſtungen, die ſie hier aufzuweiſen hat, beſtehen mehr in
Löſung von Aufgaben, als in Löſung einer Aufgabe. Von
der Analyſe waren wir im Stande eine Theorie zu entwerfen
d. h. ein Syſtem von Regeln aufzuſtellen, die in einem oberſten
Geſichtspunkt ihren letzten Grund hatten und unter ſich in engſter
Wechſelwirkung ſtanden. Das iſt uns bei der juriſtiſchen
Oekonomie nicht möglich. Für dieſe logiſche Durchbildung eines
Princips, dieſe Dialektik des Gedankens, der von Regel zu
Regel fortſchreitend das ganze Recht umſpannt und beherrſcht,
bot ſie eben keinen Raum. Unſere Darſtellung nimmt dadurch
einen weſentlich andern Charakter an, ſie hat ſich zu beſcheiden,
eine Reihe von Fällen und Verhältniſſen namhaft zu machen,
an denen unſer obiger Geſichtspunkt wahrnehmbar wird. Das
Maß, in dem dies zu geſchehen hat, iſt rein Sache des durch
die Rückſicht der Zweckmäßigkeit geleiteten ſubjectiven Ermeſſens.
Ich werde ſo viel Material heranziehen, als nöthig iſt, um auch
dem minder Kundigen ein anſchauliches Bild jener Methode zu
gewähren und ihn damit in Stand zu ſetzen, die Anwendung
auf andere Fälle ſelber zu machen. Dabei werde ich mich
derſelben Freiheit bedienen, wie bei früheren Gelegenheiten,

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[232/0248] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. fördert, die durch ihre Feinheit und geniale Einfachheit über- raſchen — glückliche Würfe des juriſtiſchen Genies, die uns heutzutage noch als Muſter dienen können. Für das richtige Verſtändniß des ältern Rechts iſt die Kennt- niß der juriſtiſchen Oekonomie von nicht geringerer Erheblichkeit, als die der juriſtiſchen Analyſe. An der Bildung und Geſtaltung der juriſtiſchen Seite des ältern Rechts haben beide den gleichen Antheil. Dagegen liegt allerdings der geiſtige Höhepunkt, zu dem ſich die juriſtiſche Kunſt in dieſem zweiten Zweige erhebt, tiefer, als bei dem erſten. Nicht etwa, als ob ſie hier hinter ihrer Aufgabe zurückgeblieben wäre; aber die Aufgabe ſelber verſtattete ihr nicht denſelben Spielraum zur Entfaltung geiſtiger Kraft, nicht jene Verſenkung in das Feinſte und Tiefſte der Begriffswelt, zu der das Problem der Zerſetzung Anlaß bot. Die Leiſtungen, die ſie hier aufzuweiſen hat, beſtehen mehr in Löſung von Aufgaben, als in Löſung einer Aufgabe. Von der Analyſe waren wir im Stande eine Theorie zu entwerfen d. h. ein Syſtem von Regeln aufzuſtellen, die in einem oberſten Geſichtspunkt ihren letzten Grund hatten und unter ſich in engſter Wechſelwirkung ſtanden. Das iſt uns bei der juriſtiſchen Oekonomie nicht möglich. Für dieſe logiſche Durchbildung eines Princips, dieſe Dialektik des Gedankens, der von Regel zu Regel fortſchreitend das ganze Recht umſpannt und beherrſcht, bot ſie eben keinen Raum. Unſere Darſtellung nimmt dadurch einen weſentlich andern Charakter an, ſie hat ſich zu beſcheiden, eine Reihe von Fällen und Verhältniſſen namhaft zu machen, an denen unſer obiger Geſichtspunkt wahrnehmbar wird. Das Maß, in dem dies zu geſchehen hat, iſt rein Sache des durch die Rückſicht der Zweckmäßigkeit geleiteten ſubjectiven Ermeſſens. Ich werde ſo viel Material heranziehen, als nöthig iſt, um auch dem minder Kundigen ein anſchauliches Bild jener Methode zu gewähren und ihn damit in Stand zu ſetzen, die Anwendung auf andere Fälle ſelber zu machen. Dabei werde ich mich derſelben Freiheit bedienen, wie bei früheren Gelegenheiten,

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/248>, abgerufen am 22.11.2024.