Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. meiner Ansicht nach in eben dem Maße, als wenn heutigen Tagsder Landesherr ein mit den Ständen vereinbartes Gesetz nicht verkünden wollte. Gesetz wird es erst durch Verkündigung von seiner Seite, aber daraus folgt keineswegs, daß dieselbe lediglich seinem Ermessen und Belieben anheimgestellt ist -- er ist ver- pflichtet, sie vorzunehmen. In derselben Weise war der römische Magistrat verpflichtet, das Wahlergebniß, insofern dasselbe nicht rechtlich 298) zu bemängeln war, zu respectiren und zu verkün- den. Daß er thatsächlich sich dieser Pflicht entziehen konnte, und daß es an Beispielen nicht fehlt, wo dies zum Heil des Staats geschah, sollte über seine Stellung nicht irre führen. Hatte doch auch der Augur es in der Hand, die wirklich beobachteten Au- spicien zu unterschlagen, erlangte der Wille der Götter doch auch nur durch seine Nuntiation und nur in der Gestalt, wie er sie vorgenommen, seine bindende Kraft. Wie aber er gleich- wohl nichts war als Organ und Verkündiger des göttlichen Willens, so war es auch der Beamte in Bezug auf den Willen des Volks -- auch wenn sie sich thatsächlich zu Herren dessel- ben machten, waren sie doch staatsrechtlich Diener desselben. Das bisher entwickelte System erreichte seinen Culmina- 298) z. B. Liv. XXIV. 8. Val. Max III. 8, 3. Der Umstand, daß die Wahlgrundsätze zum Theil auf dem Usus beruhten und an Unbestimmtheit lit- ten (Liv. XXXIX. 39 u. a.), gab dem Widerstand gewiß nicht selten den Schein formeller Berechtigung. 299) Dieselbe muß jedenfalls in mündlicher Verkündigung der Annahme bestanden haben. 300) z. B. Livius epit. lib. 69. Cic. Phil. XIII. 3: per vim et contra auspicia latas decrevistis. 301) Cic. Phil. III. 5, 9. id. de harusp. resp. XXIII. 48 Augures
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. meiner Anſicht nach in eben dem Maße, als wenn heutigen Tagsder Landesherr ein mit den Ständen vereinbartes Geſetz nicht verkünden wollte. Geſetz wird es erſt durch Verkündigung von ſeiner Seite, aber daraus folgt keineswegs, daß dieſelbe lediglich ſeinem Ermeſſen und Belieben anheimgeſtellt iſt — er iſt ver- pflichtet, ſie vorzunehmen. In derſelben Weiſe war der römiſche Magiſtrat verpflichtet, das Wahlergebniß, inſofern daſſelbe nicht rechtlich 298) zu bemängeln war, zu reſpectiren und zu verkün- den. Daß er thatſächlich ſich dieſer Pflicht entziehen konnte, und daß es an Beiſpielen nicht fehlt, wo dies zum Heil des Staats geſchah, ſollte über ſeine Stellung nicht irre führen. Hatte doch auch der Augur es in der Hand, die wirklich beobachteten Au- ſpicien zu unterſchlagen, erlangte der Wille der Götter doch auch nur durch ſeine Nuntiation und nur in der Geſtalt, wie er ſie vorgenommen, ſeine bindende Kraft. Wie aber er gleich- wohl nichts war als Organ und Verkündiger des göttlichen Willens, ſo war es auch der Beamte in Bezug auf den Willen des Volks — auch wenn ſie ſich thatſächlich zu Herren deſſel- ben machten, waren ſie doch ſtaatsrechtlich Diener deſſelben. Das bisher entwickelte Syſtem erreichte ſeinen Culmina- 298) z. B. Liv. XXIV. 8. Val. Max III. 8, 3. Der Umſtand, daß die Wahlgrundſätze zum Theil auf dem Uſus beruhten und an Unbeſtimmtheit lit- ten (Liv. XXXIX. 39 u. a.), gab dem Widerſtand gewiß nicht ſelten den Schein formeller Berechtigung. 299) Dieſelbe muß jedenfalls in mündlicher Verkündigung der Annahme beſtanden haben. 300) z. B. Livius epit. lib. 69. Cic. Phil. XIII. 3: per vim et contra auspicia latas decrevistis. 301) Cic. Phil. III. 5, 9. id. de harusp. resp. XXIII. 48 Augures
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
meiner Anſicht nach in eben dem Maße, als wenn heutigen Tags
der Landesherr ein mit den Ständen vereinbartes Geſetz nicht
verkünden wollte. Geſetz wird es erſt durch Verkündigung von
ſeiner Seite, aber daraus folgt keineswegs, daß dieſelbe lediglich
ſeinem Ermeſſen und Belieben anheimgeſtellt iſt — er iſt ver-
pflichtet, ſie vorzunehmen. In derſelben Weiſe war der römiſche
Magiſtrat verpflichtet, das Wahlergebniß, inſofern daſſelbe nicht
rechtlich 298) zu bemängeln war, zu reſpectiren und zu verkün-
den. Daß er thatſächlich ſich dieſer Pflicht entziehen konnte, und
daß es an Beiſpielen nicht fehlt, wo dies zum Heil des Staats
geſchah, ſollte über ſeine Stellung nicht irre führen. Hatte doch
auch der Augur es in der Hand, die wirklich beobachteten Au-
ſpicien zu unterſchlagen, erlangte der Wille der Götter doch
auch nur durch ſeine Nuntiation und nur in der Geſtalt, wie
er ſie vorgenommen, ſeine bindende Kraft. Wie aber er gleich-
wohl nichts war als Organ und Verkündiger des göttlichen
Willens, ſo war es auch der Beamte in Bezug auf den Willen
des Volks — auch wenn ſie ſich thatſächlich zu Herren deſſel-
ben machten, waren ſie doch ſtaatsrechtlich Diener deſſelben.
Das bisher entwickelte Syſtem erreichte ſeinen Culmina-
tionspunkt bei der Frage von der Gültigkeit der Geſetze. Das
in gehöriger Form 299) verkündete Geſetz iſt Geſetz, auch wenn
es an noch ſo vielen Fehlern leidet. Möge es alſo z. B. durch
Zwang oder Gewalt durchgeſetzt, 300) möge es gegen die Auſpi-
cien 301) oder mit Vernachläſſigung der üblichen Vorbereitungs-
298) z. B. Liv. XXIV. 8. Val. Max III. 8, 3. Der Umſtand, daß die
Wahlgrundſätze zum Theil auf dem Uſus beruhten und an Unbeſtimmtheit lit-
ten (Liv. XXXIX. 39 u. a.), gab dem Widerſtand gewiß nicht ſelten den
Schein formeller Berechtigung.
299) Dieſelbe muß jedenfalls in mündlicher Verkündigung der Annahme
beſtanden haben.
300) z. B. Livius epit. lib. 69. Cic. Phil. XIII. 3: per vim et contra
auspicia latas decrevistis.
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