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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55.
dem das Vitium in richtiger Form (z. B. durch Ausspruch des
Augurncollegiums) constatirt ist, removiren, und zwar geschieht
dies nicht etwa durch Nichtigkeitserklärung seiner Wahl -- da-
mit wären alle seine Amtshandlungen ebenfalls für nichtig er-
klärt 288) -- sondern indem er genöthigt wird, sein Amt nieder
zu legen (se abdicare magistratu).289) Indem man ihn damit
noch im Moment des Scheidens als legitimen Träger des
Amts anerkannte, rettete man seine Vergangenheit, schnitt den
unheilvollen Einfluß, den jeder Zweifel an der Gültigkeit seiner
Amtshandlungen oder gar die Hinfälligkeit derselben hätte aus-
üben müssen, in bestimmtester Weise ab. Ich muß sogar bestrei-
ten, daß der Senat auf Grund der Vitiosität seiner Wahl auch
nur eine einzige seiner Amtshandlungen hätte rescindiren kön-
nen, damit wäre er mit sich selber in Widerspruch gerathen,
denn unter dieser Voraussetzung hätte er sie sämmtlich cassiren
müssen. Wollte er einzelne herausgreifen, so mußten Ungültig-
keitsgründe vorgebracht werden, die sich speciell auf sie bezo-
gen,290) die sich aber, wenn's Noth that, leicht sanden.

Man wird zugestehen, daß die bisher geschilderte Gestaltung
des Verhältnisses eine ungemein glückliche war, sie vereinigt in
sich die höchste Einfachheit mit der größten Klarheit und Sicher-

288) Vergleiche dagegen die Erwägungen, die Ulpian in L. 3 de off.
praet.
(1. 14) geltend macht. Nach Marquardt in Becker's Handbuch
der römischen Alterth. IV. S. 349 wären "mit dem Abtreten des Magistrats
vom Amt alle von ihm vollzogenen Verfügungen und unter seinem Vorsitz
gegebenen Gesetze für ungültig erklärt worden". Warum nicht auch die Se-
natsbeschlüsse, an denen er mitgewirkt, die judicia publica, privata u. s. w.?
Die Stellen, auf die er sich beruft, enthalten von einem solchen praktisch ge-
radezu unmöglichen Satz nicht das Geringste.
289) Cic. de nat. deor. II. 4, 11: augures ad senatum, senatus: ut
abdicarent consules; abdicaverunt. id. de legib. II. 12, 13; II. 35. Liv.
IV. 7. V. 17. VIII. 15; 23. XXII.
33.
290) z. B. Cic. Phil. XIII. 3: leges refixistis, pervim et contra
auspicia
latas decrevistis.
In diesem Sinn dürfte die diesen Worten
vorausgehende allgemeine Wendung: acta Antonii rescidistis zu beschrän-
ken sein. Cic. de domo 15, 40. 16, 41.

C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
dem das Vitium in richtiger Form (z. B. durch Ausſpruch des
Augurncollegiums) conſtatirt iſt, removiren, und zwar geſchieht
dies nicht etwa durch Nichtigkeitserklärung ſeiner Wahl — da-
mit wären alle ſeine Amtshandlungen ebenfalls für nichtig er-
klärt 288) — ſondern indem er genöthigt wird, ſein Amt nieder
zu legen (se abdicare magistratu).289) Indem man ihn damit
noch im Moment des Scheidens als legitimen Träger des
Amts anerkannte, rettete man ſeine Vergangenheit, ſchnitt den
unheilvollen Einfluß, den jeder Zweifel an der Gültigkeit ſeiner
Amtshandlungen oder gar die Hinfälligkeit derſelben hätte aus-
üben müſſen, in beſtimmteſter Weiſe ab. Ich muß ſogar beſtrei-
ten, daß der Senat auf Grund der Vitioſität ſeiner Wahl auch
nur eine einzige ſeiner Amtshandlungen hätte reſcindiren kön-
nen, damit wäre er mit ſich ſelber in Widerſpruch gerathen,
denn unter dieſer Vorausſetzung hätte er ſie ſämmtlich caſſiren
müſſen. Wollte er einzelne herausgreifen, ſo mußten Ungültig-
keitsgründe vorgebracht werden, die ſich ſpeciell auf ſie bezo-
gen,290) die ſich aber, wenn’s Noth that, leicht ſanden.

Man wird zugeſtehen, daß die bisher geſchilderte Geſtaltung
des Verhältniſſes eine ungemein glückliche war, ſie vereinigt in
ſich die höchſte Einfachheit mit der größten Klarheit und Sicher-

288) Vergleiche dagegen die Erwägungen, die Ulpian in L. 3 de off.
praet.
(1. 14) geltend macht. Nach Marquardt in Becker’s Handbuch
der römiſchen Alterth. IV. S. 349 wären „mit dem Abtreten des Magiſtrats
vom Amt alle von ihm vollzogenen Verfügungen und unter ſeinem Vorſitz
gegebenen Geſetze für ungültig erklärt worden“. Warum nicht auch die Se-
natsbeſchlüſſe, an denen er mitgewirkt, die judicia publica, privata u. ſ. w.?
Die Stellen, auf die er ſich beruft, enthalten von einem ſolchen praktiſch ge-
radezu unmöglichen Satz nicht das Geringſte.
289) Cic. de nat. deor. II. 4, 11: augures ad senatum, senatus: ut
abdicarent consules; abdicaverunt. id. de legib. II. 12, 13; II. 35. Liv.
IV. 7. V. 17. VIII. 15; 23. XXII.
33.
290) z. B. Cic. Phil. XIII. 3: leges refixistis, pervim et contra
auspicia
latas decrevistis.
In dieſem Sinn dürfte die dieſen Worten
vorausgehende allgemeine Wendung: acta Antonii rescidistis zu beſchrän-
ken ſein. Cic. de domo 15, 40. 16, 41.
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[219/0235] C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55. dem das Vitium in richtiger Form (z. B. durch Ausſpruch des Augurncollegiums) conſtatirt iſt, removiren, und zwar geſchieht dies nicht etwa durch Nichtigkeitserklärung ſeiner Wahl — da- mit wären alle ſeine Amtshandlungen ebenfalls für nichtig er- klärt 288) — ſondern indem er genöthigt wird, ſein Amt nieder zu legen (se abdicare magistratu). 289) Indem man ihn damit noch im Moment des Scheidens als legitimen Träger des Amts anerkannte, rettete man ſeine Vergangenheit, ſchnitt den unheilvollen Einfluß, den jeder Zweifel an der Gültigkeit ſeiner Amtshandlungen oder gar die Hinfälligkeit derſelben hätte aus- üben müſſen, in beſtimmteſter Weiſe ab. Ich muß ſogar beſtrei- ten, daß der Senat auf Grund der Vitioſität ſeiner Wahl auch nur eine einzige ſeiner Amtshandlungen hätte reſcindiren kön- nen, damit wäre er mit ſich ſelber in Widerſpruch gerathen, denn unter dieſer Vorausſetzung hätte er ſie ſämmtlich caſſiren müſſen. Wollte er einzelne herausgreifen, ſo mußten Ungültig- keitsgründe vorgebracht werden, die ſich ſpeciell auf ſie bezo- gen, 290) die ſich aber, wenn’s Noth that, leicht ſanden. Man wird zugeſtehen, daß die bisher geſchilderte Geſtaltung des Verhältniſſes eine ungemein glückliche war, ſie vereinigt in ſich die höchſte Einfachheit mit der größten Klarheit und Sicher- 288) Vergleiche dagegen die Erwägungen, die Ulpian in L. 3 de off. praet. (1. 14) geltend macht. Nach Marquardt in Becker’s Handbuch der römiſchen Alterth. IV. S. 349 wären „mit dem Abtreten des Magiſtrats vom Amt alle von ihm vollzogenen Verfügungen und unter ſeinem Vorſitz gegebenen Geſetze für ungültig erklärt worden“. Warum nicht auch die Se- natsbeſchlüſſe, an denen er mitgewirkt, die judicia publica, privata u. ſ. w.? Die Stellen, auf die er ſich beruft, enthalten von einem ſolchen praktiſch ge- radezu unmöglichen Satz nicht das Geringſte. 289) Cic. de nat. deor. II. 4, 11: augures ad senatum, senatus: ut abdicarent consules; abdicaverunt. id. de legib. II. 12, 13; II. 35. Liv. IV. 7. V. 17. VIII. 15; 23. XXII. 33. 290) z. B. Cic. Phil. XIII. 3: leges refixistis, pervim et contra auspicia latas decrevistis. In dieſem Sinn dürfte die dieſen Worten vorausgehende allgemeine Wendung: acta Antonii rescidistis zu beſchrän- ken ſein. Cic. de domo 15, 40. 16, 41.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/235>, abgerufen am 24.11.2024.