Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Hypothesen enthalten. Dagegen kann ich mir nicht versagen, über
das ökonomische Motiv und die praktische Bestimmung dieser
eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern.
Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wechsel hervorrief: die
Beschaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze
mußte sich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar
machen.271) Die Verbindungen, welche die Publikanen, die
Banquiers der römischen Welt, auf allen Plätzen der Erde
unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme-
res und zuverlässigeres Mittel, als die der Campsadoren des
Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die
Uebermachung der Summe, die letzterer seinem in Athen stu-
direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein-
gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt.272) Daß die
praktischen Römer für diesen Zweck auch das richtige Mittel ge-
funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein-
zahler des Geldes, sondern auch dem Destinatär ein Klagerecht
verschaffte, darüber bin ich wenigstens nicht zweifelhaft. Ohne
nun andere mögliche Formen abzuweisen, wie z. B. die chiro-
grafa
und syngrafa der Peregrinen,273) so möchte ich die Ver-
muthung aufstellen, daß die act. receptitia in dem angegebenen
Zweck oder sagen wir geradezu in den Bedürfnissen des römi-
schen Wechselverkehrs ihre eigentliche Entstehung und Bestim-
mung gefunden habe. So würde es sich erklären, daß Justi-

tung, z. B. Cic. ad fam. V. 8, 5 u. a. St.) auch substantivisch: receptum
et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12.
Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50.
ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18,
51. Ein technischer Aus-
druck scheint es nie gewesen zu sein.
271) Verschiedenheit des Wechselcurses nach Verschiedenheit der Plätze:
L. 3 de eo, quod certo (13. 4) und überhaupt die act. arbitraria de eo
quod certo loco.
272) Cic. ad Att. XV. 15, 4 Cures, ut permutetur Athenas, quod
sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit.
273) Gaj. III. 134: quod genus proprium peregrinorum est.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Hypotheſen enthalten. Dagegen kann ich mir nicht verſagen, über
das ökonomiſche Motiv und die praktiſche Beſtimmung dieſer
eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern.
Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wechſel hervorrief: die
Beſchaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze
mußte ſich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar
machen.271) Die Verbindungen, welche die Publikanen, die
Banquiers der römiſchen Welt, auf allen Plätzen der Erde
unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme-
res und zuverläſſigeres Mittel, als die der Campſadoren des
Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die
Uebermachung der Summe, die letzterer ſeinem in Athen ſtu-
direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein-
gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt.272) Daß die
praktiſchen Römer für dieſen Zweck auch das richtige Mittel ge-
funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein-
zahler des Geldes, ſondern auch dem Deſtinatär ein Klagerecht
verſchaffte, darüber bin ich wenigſtens nicht zweifelhaft. Ohne
nun andere mögliche Formen abzuweiſen, wie z. B. die chiro-
grafa
und syngrafa der Peregrinen,273) ſo möchte ich die Ver-
muthung aufſtellen, daß die act. receptitia in dem angegebenen
Zweck oder ſagen wir geradezu in den Bedürfniſſen des römi-
ſchen Wechſelverkehrs ihre eigentliche Entſtehung und Beſtim-
mung gefunden habe. So würde es ſich erklären, daß Juſti-

tung, z. B. Cic. ad fam. V. 8, 5 u. a. St.) auch ſubſtantiviſch: receptum
et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12.
Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50.
ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18,
51. Ein techniſcher Aus-
druck ſcheint es nie geweſen zu ſein.
271) Verſchiedenheit des Wechſelcurſes nach Verſchiedenheit der Plätze:
L. 3 de eo, quod certo (13. 4) und überhaupt die act. arbitraria de eo
quod certo loco.
272) Cic. ad Att. XV. 15, 4 Cures, ut permutetur Athenas, quod
sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit.
273) Gaj. III. 134: quod genus proprium peregrinorum est.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0224" n="208"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/>
Hypothe&#x017F;en enthalten. Dagegen kann ich mir nicht ver&#x017F;agen, über<lb/>
das ökonomi&#x017F;che Motiv und die prakti&#x017F;che Be&#x017F;timmung die&#x017F;er<lb/>
eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern.<lb/>
Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wech&#x017F;el hervorrief: die<lb/>
Be&#x017F;chaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze<lb/>
mußte &#x017F;ich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar<lb/>
machen.<note place="foot" n="271)">Ver&#x017F;chiedenheit des Wech&#x017F;elcur&#x017F;es nach Ver&#x017F;chiedenheit der Plätze:<lb/><hi rendition="#aq">L. 3 de eo, quod certo</hi> (13. 4) und überhaupt die <hi rendition="#aq">act. arbitraria de eo<lb/>
quod certo loco.</hi></note> Die Verbindungen, welche die Publikanen, die<lb/>
Banquiers der römi&#x017F;chen Welt, auf allen Plätzen der Erde<lb/>
unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme-<lb/>
res und zuverlä&#x017F;&#x017F;igeres Mittel, als die der Camp&#x017F;adoren des<lb/>
Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die<lb/>
Uebermachung der Summe, die letzterer &#x017F;einem in Athen &#x017F;tu-<lb/>
direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein-<lb/>
gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt.<note place="foot" n="272)"><hi rendition="#aq">Cic. ad Att. XV. 15, 4 Cures, ut <hi rendition="#g">permutetur</hi> Athenas, quod<lb/>
sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit.</hi></note> Daß die<lb/>
prakti&#x017F;chen Römer für die&#x017F;en Zweck auch das richtige Mittel ge-<lb/>
funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein-<lb/>
zahler des Geldes, &#x017F;ondern auch dem De&#x017F;tinatär ein Klagerecht<lb/>
ver&#x017F;chaffte, darüber bin ich wenig&#x017F;tens nicht zweifelhaft. Ohne<lb/>
nun andere mögliche Formen abzuwei&#x017F;en, wie z. B. die <hi rendition="#aq">chiro-<lb/>
grafa</hi> und <hi rendition="#aq">syngrafa</hi> der Peregrinen,<note place="foot" n="273)"><hi rendition="#aq">Gaj. III. 134: quod genus proprium peregrinorum est.</hi></note> &#x017F;o möchte ich die Ver-<lb/>
muthung auf&#x017F;tellen, daß die <hi rendition="#aq">act. receptitia</hi> in dem angegebenen<lb/>
Zweck oder &#x017F;agen wir geradezu in den Bedürfni&#x017F;&#x017F;en des römi-<lb/>
&#x017F;chen Wech&#x017F;elverkehrs ihre eigentliche Ent&#x017F;tehung und Be&#x017F;tim-<lb/>
mung gefunden habe. So würde es &#x017F;ich erklären, daß Ju&#x017F;ti-<lb/><note xml:id="seg2pn_17_2" prev="#seg2pn_17_1" place="foot" n="270)">tung, z. B. <hi rendition="#aq">Cic. ad fam. V.</hi> 8, 5 u. a. St.) auch &#x017F;ub&#x017F;tantivi&#x017F;ch: <hi rendition="#aq">receptum<lb/>
et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12.<lb/>
Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50.<lb/>
ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18,</hi> 51. Ein techni&#x017F;cher Aus-<lb/>
druck &#x017F;cheint es nie gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein.</note><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0224] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Hypotheſen enthalten. Dagegen kann ich mir nicht verſagen, über das ökonomiſche Motiv und die praktiſche Beſtimmung dieſer eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern. Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wechſel hervorrief: die Beſchaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze mußte ſich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar machen. 271) Die Verbindungen, welche die Publikanen, die Banquiers der römiſchen Welt, auf allen Plätzen der Erde unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme- res und zuverläſſigeres Mittel, als die der Campſadoren des Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die Uebermachung der Summe, die letzterer ſeinem in Athen ſtu- direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein- gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt. 272) Daß die praktiſchen Römer für dieſen Zweck auch das richtige Mittel ge- funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein- zahler des Geldes, ſondern auch dem Deſtinatär ein Klagerecht verſchaffte, darüber bin ich wenigſtens nicht zweifelhaft. Ohne nun andere mögliche Formen abzuweiſen, wie z. B. die chiro- grafa und syngrafa der Peregrinen, 273) ſo möchte ich die Ver- muthung aufſtellen, daß die act. receptitia in dem angegebenen Zweck oder ſagen wir geradezu in den Bedürfniſſen des römi- ſchen Wechſelverkehrs ihre eigentliche Entſtehung und Beſtim- mung gefunden habe. So würde es ſich erklären, daß Juſti- 270) 271) Verſchiedenheit des Wechſelcurſes nach Verſchiedenheit der Plätze: L. 3 de eo, quod certo (13. 4) und überhaupt die act. arbitraria de eo quod certo loco. 272) Cic. ad Att. XV. 15, 4 Cures, ut permutetur Athenas, quod sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit. 273) Gaj. III. 134: quod genus proprium peregrinorum est. 270) tung, z. B. Cic. ad fam. V. 8, 5 u. a. St.) auch ſubſtantiviſch: receptum et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12. Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50. ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18, 51. Ein techniſcher Aus- druck ſcheint es nie geweſen zu ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/224
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/224>, abgerufen am 04.12.2024.