C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55.
wie spät und wo er sich auch entfaltet, dem Eigenthum den Un- tergang bereitet und so den Unschuldigen, den spätesten Nachmann mit in die Verwickelung und den Schaden hin- einzieht.
Solche dem Eigenthum noch in die fernste Hand nachschlei- chende Rückforderungs- und Anfechtungsklagen, -- man möchte sie als Siechthum des Eigenthums, als Eigenthumskrankheiten bezeichnen! -- waren dem ältern Recht völlig fremd, und in meinen Augen steht es dadurch nur um so höher. Das altrömi- sche Eigenthum ist gesund und kräftig, wie alle Institute des ältern Rechts, und gegen alle Ansteckung gesichert. All der An- steckungsstoff, der ihm auf seinem Wege und bei seiner Berüh- rung mit der Obligation gefährlich werden könnte, entweicht in die Form der persönlichen Klagen, alles Unreine, alle Schlacken läßt es bei den zwei sich unmittelbar gegenüberstehenden Personen zurück und wandelt unversehrt und intact von einer Hand in die andere. Den Condictionen wegen Mangels in der causa, die ihm das Causalmoment abnehmen, verdankt das Eigenthum seine Reinheit, Sicherheit und freie Beweglichkeit.
Diese Selbständigkeit der Eigenthumsfrage verläugnete sich selbst für das Verhältniß der unmittelbar gegenüberstehenden Partheien nicht, d. h. auch in dem zwischen ihnen beiden ob- schwebenden Vindicationsproceß war das Material für die Con- dictionen völlig ausgeschieden, was nach §. 52 keiner weitern Ausführung bedürfen wird. Aber gleichzeitig mit dem einen Proceß konnte der andere instruirt, möglicherweise derselbe Rich- ter dafür bestellt werden. In beiden Processen handelte es sich um denselben äußern Akt, aber der Standpunkt der Betrachtung und der juristische Charakter des Aktes selbst war hier und dort ein völlig verschiedener. Diese letztere Bemerkung über den Doppelcharakter eines und desselben Aktes vom Standpunkt des Eigenthums und des Obligationenrechts aus kann nicht genug betont werden, sie trifft in demselben Umfange, wie für das alt- römische, auch für unser heutiges Recht zu. Jedes Geben -- und
C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
wie ſpät und wo er ſich auch entfaltet, dem Eigenthum den Un- tergang bereitet und ſo den Unſchuldigen, den ſpäteſten Nachmann mit in die Verwickelung und den Schaden hin- einzieht.
Solche dem Eigenthum noch in die fernſte Hand nachſchlei- chende Rückforderungs- und Anfechtungsklagen, — man möchte ſie als Siechthum des Eigenthums, als Eigenthumskrankheiten bezeichnen! — waren dem ältern Recht völlig fremd, und in meinen Augen ſteht es dadurch nur um ſo höher. Das altrömi- ſche Eigenthum iſt geſund und kräftig, wie alle Inſtitute des ältern Rechts, und gegen alle Anſteckung geſichert. All der An- ſteckungsſtoff, der ihm auf ſeinem Wege und bei ſeiner Berüh- rung mit der Obligation gefährlich werden könnte, entweicht in die Form der perſönlichen Klagen, alles Unreine, alle Schlacken läßt es bei den zwei ſich unmittelbar gegenüberſtehenden Perſonen zurück und wandelt unverſehrt und intact von einer Hand in die andere. Den Condictionen wegen Mangels in der causa, die ihm das Cauſalmoment abnehmen, verdankt das Eigenthum ſeine Reinheit, Sicherheit und freie Beweglichkeit.
Dieſe Selbſtändigkeit der Eigenthumsfrage verläugnete ſich ſelbſt für das Verhältniß der unmittelbar gegenüberſtehenden Partheien nicht, d. h. auch in dem zwiſchen ihnen beiden ob- ſchwebenden Vindicationsproceß war das Material für die Con- dictionen völlig ausgeſchieden, was nach §. 52 keiner weitern Ausführung bedürfen wird. Aber gleichzeitig mit dem einen Proceß konnte der andere inſtruirt, möglicherweiſe derſelbe Rich- ter dafür beſtellt werden. In beiden Proceſſen handelte es ſich um denſelben äußern Akt, aber der Standpunkt der Betrachtung und der juriſtiſche Charakter des Aktes ſelbſt war hier und dort ein völlig verſchiedener. Dieſe letztere Bemerkung über den Doppelcharakter eines und deſſelben Aktes vom Standpunkt des Eigenthums und des Obligationenrechts aus kann nicht genug betont werden, ſie trifft in demſelben Umfange, wie für das alt- römiſche, auch für unſer heutiges Recht zu. Jedes Geben — und
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C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
wie ſpät und wo er ſich auch entfaltet, dem Eigenthum den Un-
tergang bereitet und ſo den Unſchuldigen, den ſpäteſten
Nachmann mit in die Verwickelung und den Schaden hin-
einzieht.
Solche dem Eigenthum noch in die fernſte Hand nachſchlei-
chende Rückforderungs- und Anfechtungsklagen, — man möchte
ſie als Siechthum des Eigenthums, als Eigenthumskrankheiten
bezeichnen! — waren dem ältern Recht völlig fremd, und in
meinen Augen ſteht es dadurch nur um ſo höher. Das altrömi-
ſche Eigenthum iſt geſund und kräftig, wie alle Inſtitute des
ältern Rechts, und gegen alle Anſteckung geſichert. All der An-
ſteckungsſtoff, der ihm auf ſeinem Wege und bei ſeiner Berüh-
rung mit der Obligation gefährlich werden könnte, entweicht in
die Form der perſönlichen Klagen, alles Unreine, alle Schlacken
läßt es bei den zwei ſich unmittelbar gegenüberſtehenden Perſonen
zurück und wandelt unverſehrt und intact von einer Hand in die
andere. Den Condictionen wegen Mangels in der causa, die
ihm das Cauſalmoment abnehmen, verdankt das Eigenthum
ſeine Reinheit, Sicherheit und freie Beweglichkeit.
Dieſe Selbſtändigkeit der Eigenthumsfrage verläugnete ſich
ſelbſt für das Verhältniß der unmittelbar gegenüberſtehenden
Partheien nicht, d. h. auch in dem zwiſchen ihnen beiden ob-
ſchwebenden Vindicationsproceß war das Material für die Con-
dictionen völlig ausgeſchieden, was nach §. 52 keiner weitern
Ausführung bedürfen wird. Aber gleichzeitig mit dem einen
Proceß konnte der andere inſtruirt, möglicherweiſe derſelbe Rich-
ter dafür beſtellt werden. In beiden Proceſſen handelte es ſich
um denſelben äußern Akt, aber der Standpunkt der Betrachtung
und der juriſtiſche Charakter des Aktes ſelbſt war hier und dort
ein völlig verſchiedener. Dieſe letztere Bemerkung über den
Doppelcharakter eines und deſſelben Aktes vom Standpunkt des
Eigenthums und des Obligationenrechts aus kann nicht genug
betont werden, ſie trifft in demſelben Umfange, wie für das alt-
römiſche, auch für unſer heutiges Recht zu. Jedes Geben — und
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/219>, abgerufen am 25.07.2024.
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