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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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A. Der Proceß. Vertheidigung -- Doppelklage. §. 52.
führung verdanken, nicht darin gefunden werden darf, daß die
ältere Zeit sie nicht hätte zulassen können, sondern darin, daß
sie dieselben nicht zulassen wollte. Wenn der Prätor für sie eine
ganz neue Form die der exceptio wählte, so geschah es nicht,
weil die alte nicht mehr ausgereicht und die neuere einen höhern
Grad der Brauchbarkeit besessen hätte, sondern weil er sich für
den Zweck der Vertheidigung ebensowenig ihrer bedienen
durfte, wie für den Zweck der Klage der civilrechtlichen Form
derselben; die Befreiung "ipso jure" und die actio in jus con-
cepta
waren civilrechtliche Begriffe.

Nur in einer Beziehung behauptet allerdings die exc. einen
größern Grad der Brauchbarkeit, aber es war eine solche, die das
ältere Recht verschmähte und verschmähen mußte (§. 55). Die
Wirkung der Negation ist stets eine absolute, d. h. sie negirt
das Dasein des vom Kläger in Anspruch genommenen Rechts
schlechthin, gleichgültig welcher Art dies Recht ist, ob relativer
oder absoluter. Die exc. aber kann die Wirksamkeit des Rechts
nicht bloß absolut, sondern auch relativ d. h. bloß dem Be-
klagten gegenüber bestreiten, und zwar selbst bei der Obligation,
wovon die Einreden des Correalschuldners aus einem absolut
oder relativ (in rem, in personam) gefaßten formlosen Nachlaß-
vertrag ein Beispiel gewähren. Die exceptio schließt mithin
die Möglichkeit in sich, daß in einem und demselben Proceß der
absolute und relative Gesichtspunkt sich kreuzen, daß z. B. der
Käufer der Vindication des Verkäufers gegenüber zwar das
Eigenthum zugibt, aber der Consequenz desselben rücksicht-
lich seiner durch Berufung auf den Kaufcontract ausweicht.
In Form der Negation wäre dies nicht möglich gewesen, denn
das Eigenthum läßt sich nicht relativ negiren, der Käufer
konnte mithin im alten Proceß seinen Anspruch nur in Form der
persönlichen Klage (act. auctoritatis) verfolgen.

Allein daß auch hier wiederum das ältere Recht nicht wegen
der Unbeholfenheit der processualischen Form eine Vertheidigung
ausschloß, die es im übrigen für zulässig gehalten hätte, geht

A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
führung verdanken, nicht darin gefunden werden darf, daß die
ältere Zeit ſie nicht hätte zulaſſen können, ſondern darin, daß
ſie dieſelben nicht zulaſſen wollte. Wenn der Prätor für ſie eine
ganz neue Form die der exceptio wählte, ſo geſchah es nicht,
weil die alte nicht mehr ausgereicht und die neuere einen höhern
Grad der Brauchbarkeit beſeſſen hätte, ſondern weil er ſich für
den Zweck der Vertheidigung ebenſowenig ihrer bedienen
durfte, wie für den Zweck der Klage der civilrechtlichen Form
derſelben; die Befreiung „ipso jure und die actio in jus con-
cepta
waren civilrechtliche Begriffe.

Nur in einer Beziehung behauptet allerdings die exc. einen
größern Grad der Brauchbarkeit, aber es war eine ſolche, die das
ältere Recht verſchmähte und verſchmähen mußte (§. 55). Die
Wirkung der Negation iſt ſtets eine abſolute, d. h. ſie negirt
das Daſein des vom Kläger in Anſpruch genommenen Rechts
ſchlechthin, gleichgültig welcher Art dies Recht iſt, ob relativer
oder abſoluter. Die exc. aber kann die Wirkſamkeit des Rechts
nicht bloß abſolut, ſondern auch relativ d. h. bloß dem Be-
klagten gegenüber beſtreiten, und zwar ſelbſt bei der Obligation,
wovon die Einreden des Correalſchuldners aus einem abſolut
oder relativ (in rem, in personam) gefaßten formloſen Nachlaß-
vertrag ein Beiſpiel gewähren. Die exceptio ſchließt mithin
die Möglichkeit in ſich, daß in einem und demſelben Proceß der
abſolute und relative Geſichtspunkt ſich kreuzen, daß z. B. der
Käufer der Vindication des Verkäufers gegenüber zwar das
Eigenthum zugibt, aber der Conſequenz deſſelben rückſicht-
lich ſeiner durch Berufung auf den Kaufcontract ausweicht.
In Form der Negation wäre dies nicht möglich geweſen, denn
das Eigenthum läßt ſich nicht relativ negiren, der Käufer
konnte mithin im alten Proceß ſeinen Anſpruch nur in Form der
perſönlichen Klage (act. auctoritatis) verfolgen.

Allein daß auch hier wiederum das ältere Recht nicht wegen
der Unbeholfenheit der proceſſualiſchen Form eine Vertheidigung
ausſchloß, die es im übrigen für zuläſſig gehalten hätte, geht

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[101/0117] A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. führung verdanken, nicht darin gefunden werden darf, daß die ältere Zeit ſie nicht hätte zulaſſen können, ſondern darin, daß ſie dieſelben nicht zulaſſen wollte. Wenn der Prätor für ſie eine ganz neue Form die der exceptio wählte, ſo geſchah es nicht, weil die alte nicht mehr ausgereicht und die neuere einen höhern Grad der Brauchbarkeit beſeſſen hätte, ſondern weil er ſich für den Zweck der Vertheidigung ebenſowenig ihrer bedienen durfte, wie für den Zweck der Klage der civilrechtlichen Form derſelben; die Befreiung „ipso jure“ und die actio in jus con- cepta waren civilrechtliche Begriffe. Nur in einer Beziehung behauptet allerdings die exc. einen größern Grad der Brauchbarkeit, aber es war eine ſolche, die das ältere Recht verſchmähte und verſchmähen mußte (§. 55). Die Wirkung der Negation iſt ſtets eine abſolute, d. h. ſie negirt das Daſein des vom Kläger in Anſpruch genommenen Rechts ſchlechthin, gleichgültig welcher Art dies Recht iſt, ob relativer oder abſoluter. Die exc. aber kann die Wirkſamkeit des Rechts nicht bloß abſolut, ſondern auch relativ d. h. bloß dem Be- klagten gegenüber beſtreiten, und zwar ſelbſt bei der Obligation, wovon die Einreden des Correalſchuldners aus einem abſolut oder relativ (in rem, in personam) gefaßten formloſen Nachlaß- vertrag ein Beiſpiel gewähren. Die exceptio ſchließt mithin die Möglichkeit in ſich, daß in einem und demſelben Proceß der abſolute und relative Geſichtspunkt ſich kreuzen, daß z. B. der Käufer der Vindication des Verkäufers gegenüber zwar das Eigenthum zugibt, aber der Conſequenz deſſelben rückſicht- lich ſeiner durch Berufung auf den Kaufcontract ausweicht. In Form der Negation wäre dies nicht möglich geweſen, denn das Eigenthum läßt ſich nicht relativ negiren, der Käufer konnte mithin im alten Proceß ſeinen Anſpruch nur in Form der perſönlichen Klage (act. auctoritatis) verfolgen. Allein daß auch hier wiederum das ältere Recht nicht wegen der Unbeholfenheit der proceſſualiſchen Form eine Vertheidigung ausſchloß, die es im übrigen für zuläſſig gehalten hätte, geht

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/117>, abgerufen am 23.11.2024.