Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Vertheidigung -- Doppelklage. §. 52. Aussagen schwer ins Gewicht. Der Lügner wird auch in Romregelmäßig von einem Unbekannten, Durchreisenden u. s. w. gekauft haben, der ehrliche Mann gab seinen Autor mit Namen an und brachte ihn vielleicht gleich mit, oder er erschien mit sei- nen Nachbarn, die den Ochsen als den seinigen sofort recognos- cirten. Schreckte dann trotzdem der Beklagte vor dem Proceß nicht zurück, so kam es zur solennen Einleitung desselben, und der Prätor wußte, wem er die Vindicien zu ertheilen hatte. Eben so wägte aber auch der Richter, der bekanntlich in Rom an eine strenge Beweistheorie nicht gebunden war, sicherlich das Maß der Glaubwürdigkeit beider causae gegeneinander ab, und wenn es dem Kläger gelungen war, den Beklagten in seinem eignen Lügengewebe zu verstricken, so mochte auch, um in der Sprache des heutigen Processes zu reden, ein halber Beweis seiner eignen causa die Wirkung eines ganzen ausüben, der Nachweis, daß Er gekauft, der Beklagte aber die Sache gestoh- len, den Richter über das Bedenken hinweghelfen, ob denn auch der Autor des Klägers und dessen Autoren wirkliches Eigenthum gehabt hätten. Mit andern Worten also: die reivind. wird schon im älteren Proceß nicht selten die Wirkung der Publiciana act. gehabt haben. Um sie zu haben, um das relative Ver- hältniß beider Partheien zur Sache zu constatiren, mußten aber beide ihre causae angeben. Als jene Klage eingeführt ward, und der Gedanke der Relativität im Eigenthumsrecht damit eine mehr gesicherte und geregelte Form der Verwirklichung erhielt, als das subjective Gefühl des Richters sie ihm gewährte, fiel der eine Grund hinweg, der die Angabe der causa nöthig machte, mit dem Abkommen der Vindicien der zweite, und so mag es seine Erklärung finden, daß der neuere Proceß jenen Gedanken des ältern Rechts völlig aufgab. 130) Die Nothwendigkeit der 130) Der Besitzer ist nicht gezwungen, seinen Titel anzugeben L. 12 Cod. Theod. de fide test. (11. 39) oder den Theil, zu dem er besitzt L. 73 pr. de reiv. (6. 1). 7*
A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. Ausſagen ſchwer ins Gewicht. Der Lügner wird auch in Romregelmäßig von einem Unbekannten, Durchreiſenden u. ſ. w. gekauft haben, der ehrliche Mann gab ſeinen Autor mit Namen an und brachte ihn vielleicht gleich mit, oder er erſchien mit ſei- nen Nachbarn, die den Ochſen als den ſeinigen ſofort recognos- cirten. Schreckte dann trotzdem der Beklagte vor dem Proceß nicht zurück, ſo kam es zur ſolennen Einleitung deſſelben, und der Prätor wußte, wem er die Vindicien zu ertheilen hatte. Eben ſo wägte aber auch der Richter, der bekanntlich in Rom an eine ſtrenge Beweistheorie nicht gebunden war, ſicherlich das Maß der Glaubwürdigkeit beider causae gegeneinander ab, und wenn es dem Kläger gelungen war, den Beklagten in ſeinem eignen Lügengewebe zu verſtricken, ſo mochte auch, um in der Sprache des heutigen Proceſſes zu reden, ein halber Beweis ſeiner eignen causa die Wirkung eines ganzen ausüben, der Nachweis, daß Er gekauft, der Beklagte aber die Sache geſtoh- len, den Richter über das Bedenken hinweghelfen, ob denn auch der Autor des Klägers und deſſen Autoren wirkliches Eigenthum gehabt hätten. Mit andern Worten alſo: die reivind. wird ſchon im älteren Proceß nicht ſelten die Wirkung der Publiciana act. gehabt haben. Um ſie zu haben, um das relative Ver- hältniß beider Partheien zur Sache zu conſtatiren, mußten aber beide ihre causae angeben. Als jene Klage eingeführt ward, und der Gedanke der Relativität im Eigenthumsrecht damit eine mehr geſicherte und geregelte Form der Verwirklichung erhielt, als das ſubjective Gefühl des Richters ſie ihm gewährte, fiel der eine Grund hinweg, der die Angabe der causa nöthig machte, mit dem Abkommen der Vindicien der zweite, und ſo mag es ſeine Erklärung finden, daß der neuere Proceß jenen Gedanken des ältern Rechts völlig aufgab. 130) Die Nothwendigkeit der 130) Der Beſitzer iſt nicht gezwungen, ſeinen Titel anzugeben L. 12 Cod. Theod. de fide test. (11. 39) oder den Theil, zu dem er beſitzt L. 73 pr. de reiv. (6. 1). 7*
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A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52.
Ausſagen ſchwer ins Gewicht. Der Lügner wird auch in Rom
regelmäßig von einem Unbekannten, Durchreiſenden u. ſ. w.
gekauft haben, der ehrliche Mann gab ſeinen Autor mit Namen
an und brachte ihn vielleicht gleich mit, oder er erſchien mit ſei-
nen Nachbarn, die den Ochſen als den ſeinigen ſofort recognos-
cirten. Schreckte dann trotzdem der Beklagte vor dem Proceß
nicht zurück, ſo kam es zur ſolennen Einleitung deſſelben, und
der Prätor wußte, wem er die Vindicien zu ertheilen hatte.
Eben ſo wägte aber auch der Richter, der bekanntlich in Rom an
eine ſtrenge Beweistheorie nicht gebunden war, ſicherlich das
Maß der Glaubwürdigkeit beider causae gegeneinander ab, und
wenn es dem Kläger gelungen war, den Beklagten in ſeinem
eignen Lügengewebe zu verſtricken, ſo mochte auch, um in der
Sprache des heutigen Proceſſes zu reden, ein halber Beweis
ſeiner eignen causa die Wirkung eines ganzen ausüben, der
Nachweis, daß Er gekauft, der Beklagte aber die Sache geſtoh-
len, den Richter über das Bedenken hinweghelfen, ob denn auch
der Autor des Klägers und deſſen Autoren wirkliches Eigenthum
gehabt hätten. Mit andern Worten alſo: die reivind. wird
ſchon im älteren Proceß nicht ſelten die Wirkung der Publiciana
act. gehabt haben. Um ſie zu haben, um das relative Ver-
hältniß beider Partheien zur Sache zu conſtatiren, mußten aber
beide ihre causae angeben. Als jene Klage eingeführt ward,
und der Gedanke der Relativität im Eigenthumsrecht damit eine
mehr geſicherte und geregelte Form der Verwirklichung erhielt,
als das ſubjective Gefühl des Richters ſie ihm gewährte, fiel der
eine Grund hinweg, der die Angabe der causa nöthig machte,
mit dem Abkommen der Vindicien der zweite, und ſo mag es ſeine
Erklärung finden, daß der neuere Proceß jenen Gedanken des
ältern Rechts völlig aufgab. 130) Die Nothwendigkeit der
130) Der Beſitzer iſt nicht gezwungen, ſeinen Titel anzugeben L. 12 Cod.
Theod. de fide test. (11. 39) oder den Theil, zu dem er beſitzt L. 73 pr. de
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