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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Angabe der "causa". Bei dem Gewicht, das jedes Wort einer
römischen Klagformel hat, und bei dem unverkennbaren Werth,
den die causa in den Augen beider Partheien haben mußte, indem
sie sogar den Gegenstand einer eignen Frage von Seiten des
Klägers an den Beklagten bildete, kann ich mich nicht entschließen,
darin mit so Manchen eine werthlose Ausschmückung der Formel
zu erblicken. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die causa hier
wie überall beim Eigenthum den Erwerbungsgrund dessel-
ben bedeutet. Dafür erblicke ich eine Unterstützung in dem Be-
richt von Livius über den Proceß der Virginia (Note 119), in
welchem der Kläger in der That die causa seines Eigenthums vor
der solennen Vindication ganz speciell anführt, so wie in der
noch für das neuere Recht bestehenden Möglichkeit einer vindicatio
"expressa
oder adjecta causa." 129)

Warum die Angabe der causa, wenn sie einmal nöthig war,
nicht in der Formel selbst erfolgte, falls letzteres sonst richtig
(Note 102), darüber will ich mich nicht in Vermuthungen er-
gehen, dagegen mögen mir einige Worte vergönnt sein über die
Gründe, die eine solche Gestaltung der Klage motiviren konnten,
und die meiner Ansicht nach in dem Institut der Vindicienerthei-
lung und dem Mangel der act. Publiciana zu suchen sind.

Nichts hinderte den Beklagten, der sich selbst nicht für den
Eigenthümer hielt, sich dennoch dafür auszugeben und einen er-
dichteten Erwerbungsgrund vorzuschützen. Allein zunächst war
doch der Preis der Lüge, um den er sich vorläufig noch in dem
Besitz behaupten konnte, kein solcher, den Jeder gern zahlte, die
Lage des Beklagten war also von vornherein schon eine ungün-
stigere, als heutzutage, wo er einfach mit Nichtwissen oder Läug-
nen auskommen kann. Sodann aber fiel sicherlich schon bei der
Vindicienertheilung der verschiedene Charakter der beiderseitigen

129) L. 11 §. 2 L. 14 §. 2 de exc. rei jud. (44. 2). Die L. 1 §. 3
de R. V
. (6. 1), wie immerhin sie auch zu verstehen sein mag, kann jenen kla-
ren Stellen nichts von ihrer Beweiskraft entziehen.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Angabe der „causa“. Bei dem Gewicht, das jedes Wort einer
römiſchen Klagformel hat, und bei dem unverkennbaren Werth,
den die causa in den Augen beider Partheien haben mußte, indem
ſie ſogar den Gegenſtand einer eignen Frage von Seiten des
Klägers an den Beklagten bildete, kann ich mich nicht entſchließen,
darin mit ſo Manchen eine werthloſe Ausſchmückung der Formel
zu erblicken. Ich bin vielmehr der Anſicht, daß die causa hier
wie überall beim Eigenthum den Erwerbungsgrund deſſel-
ben bedeutet. Dafür erblicke ich eine Unterſtützung in dem Be-
richt von Livius über den Proceß der Virginia (Note 119), in
welchem der Kläger in der That die causa ſeines Eigenthums vor
der ſolennen Vindication ganz ſpeciell anführt, ſo wie in der
noch für das neuere Recht beſtehenden Möglichkeit einer vindicatio
„expressa
oder adjecta causa.“ 129)

Warum die Angabe der causa, wenn ſie einmal nöthig war,
nicht in der Formel ſelbſt erfolgte, falls letzteres ſonſt richtig
(Note 102), darüber will ich mich nicht in Vermuthungen er-
gehen, dagegen mögen mir einige Worte vergönnt ſein über die
Gründe, die eine ſolche Geſtaltung der Klage motiviren konnten,
und die meiner Anſicht nach in dem Inſtitut der Vindicienerthei-
lung und dem Mangel der act. Publiciana zu ſuchen ſind.

Nichts hinderte den Beklagten, der ſich ſelbſt nicht für den
Eigenthümer hielt, ſich dennoch dafür auszugeben und einen er-
dichteten Erwerbungsgrund vorzuſchützen. Allein zunächſt war
doch der Preis der Lüge, um den er ſich vorläufig noch in dem
Beſitz behaupten konnte, kein ſolcher, den Jeder gern zahlte, die
Lage des Beklagten war alſo von vornherein ſchon eine ungün-
ſtigere, als heutzutage, wo er einfach mit Nichtwiſſen oder Läug-
nen auskommen kann. Sodann aber fiel ſicherlich ſchon bei der
Vindicienertheilung der verſchiedene Charakter der beiderſeitigen

129) L. 11 §. 2 L. 14 §. 2 de exc. rei jud. (44. 2). Die L. 1 §. 3
de R. V
. (6. 1), wie immerhin ſie auch zu verſtehen ſein mag, kann jenen kla-
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[98/0114] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Angabe der „causa“. Bei dem Gewicht, das jedes Wort einer römiſchen Klagformel hat, und bei dem unverkennbaren Werth, den die causa in den Augen beider Partheien haben mußte, indem ſie ſogar den Gegenſtand einer eignen Frage von Seiten des Klägers an den Beklagten bildete, kann ich mich nicht entſchließen, darin mit ſo Manchen eine werthloſe Ausſchmückung der Formel zu erblicken. Ich bin vielmehr der Anſicht, daß die causa hier wie überall beim Eigenthum den Erwerbungsgrund deſſel- ben bedeutet. Dafür erblicke ich eine Unterſtützung in dem Be- richt von Livius über den Proceß der Virginia (Note 119), in welchem der Kläger in der That die causa ſeines Eigenthums vor der ſolennen Vindication ganz ſpeciell anführt, ſo wie in der noch für das neuere Recht beſtehenden Möglichkeit einer vindicatio „expressa oder adjecta causa.“ 129) Warum die Angabe der causa, wenn ſie einmal nöthig war, nicht in der Formel ſelbſt erfolgte, falls letzteres ſonſt richtig (Note 102), darüber will ich mich nicht in Vermuthungen er- gehen, dagegen mögen mir einige Worte vergönnt ſein über die Gründe, die eine ſolche Geſtaltung der Klage motiviren konnten, und die meiner Anſicht nach in dem Inſtitut der Vindicienerthei- lung und dem Mangel der act. Publiciana zu ſuchen ſind. Nichts hinderte den Beklagten, der ſich ſelbſt nicht für den Eigenthümer hielt, ſich dennoch dafür auszugeben und einen er- dichteten Erwerbungsgrund vorzuſchützen. Allein zunächſt war doch der Preis der Lüge, um den er ſich vorläufig noch in dem Beſitz behaupten konnte, kein ſolcher, den Jeder gern zahlte, die Lage des Beklagten war alſo von vornherein ſchon eine ungün- ſtigere, als heutzutage, wo er einfach mit Nichtwiſſen oder Läug- nen auskommen kann. Sodann aber fiel ſicherlich ſchon bei der Vindicienertheilung der verſchiedene Charakter der beiderſeitigen 129) L. 11 §. 2 L. 14 §. 2 de exc. rei jud. (44. 2). Die L. 1 §. 3 de R. V. (6. 1), wie immerhin ſie auch zu verſtehen ſein mag, kann jenen kla- ren Stellen nichts von ihrer Beweiskraft entziehen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/114>, abgerufen am 23.11.2024.