Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Vorrede. Mal hätte in Versuchung bringen können, es gänzlich aufzu-geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht besser bezeich- nen zu können, als damit, daß sie nie zum Abschluß zu bringen ist. Bei Arbeiten anderer Art gibt es doch einen gewissen Punkt, bei dem der Verfasser sich sagen kann, daß er mit aller Anstren- gung nicht mehr im Stande ist, die Sache wesentlich zu fördern, daß er seine Kraft daran vollständig erschöpft hat, kurz einen subjectiven Abschluß und Ruhepunkt. Bei der meinigen ist der- selbe fast nie eingetreten, es ist kaum eine Parthie meines Buchs, bei der ich nicht auch jetzt noch von neuem anfangen möchte zu ändern und zu bessern, kaum eine, bei der nicht die Ausführung hinter dem Bilde, in dem sie mir vor der Seele schwebte, zurück- geblieben ist, und empfindlicher, als alle Ausstellungen, welche die Kritik mir machen kann, ist für mich das Gefühl, daß mein Werk dem Maßstab, den ich in mir selber trage, nicht entspricht -- ein Gefühl, das mich jetzt, wo ich ein neues Stück meines Werks der Oeffentlichkeit übergebe, in verstärktem Maße überfällt, und dessen ich nur durch den nothgedrungenen Trost Herr werde, daß es einmal nur wenig auserwählten Naturen beschieden ist, etwas wirklich Vollkommnes zu Tage zu fördern. Aber die Er- fahrung hat mich belehrt, daß ich, wo ich dem Triebe zu feilen und zu bessern zu sehr nachgab, nur zu oft statt zu bessern ledig- lich änderte, wohl gar verschlechterte; anstatt aus der Stelle zu kommen, mich nutzlos im Kreise herumdrehte. Um mich gegen diese Gefahr zu schützen, die meinem Buch das Schicksal des Gewebes der Penelope bereitet haben würde, habe ich noth- gedrungen auch bei diesem Bande den frühern Weg einge- schlagen, das Manuscript stückweis der Druckerei zu übergeben, und werde denselben auch für die Zukunft beibehalten müssen. Vorrede. Mal hätte in Verſuchung bringen können, es gänzlich aufzu-geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht beſſer bezeich- nen zu können, als damit, daß ſie nie zum Abſchluß zu bringen iſt. Bei Arbeiten anderer Art gibt es doch einen gewiſſen Punkt, bei dem der Verfaſſer ſich ſagen kann, daß er mit aller Anſtren- gung nicht mehr im Stande iſt, die Sache weſentlich zu fördern, daß er ſeine Kraft daran vollſtändig erſchöpft hat, kurz einen ſubjectiven Abſchluß und Ruhepunkt. Bei der meinigen iſt der- ſelbe faſt nie eingetreten, es iſt kaum eine Parthie meines Buchs, bei der ich nicht auch jetzt noch von neuem anfangen möchte zu ändern und zu beſſern, kaum eine, bei der nicht die Ausführung hinter dem Bilde, in dem ſie mir vor der Seele ſchwebte, zurück- geblieben iſt, und empfindlicher, als alle Ausſtellungen, welche die Kritik mir machen kann, iſt für mich das Gefühl, daß mein Werk dem Maßſtab, den ich in mir ſelber trage, nicht entſpricht — ein Gefühl, das mich jetzt, wo ich ein neues Stück meines Werks der Oeffentlichkeit übergebe, in verſtärktem Maße überfällt, und deſſen ich nur durch den nothgedrungenen Troſt Herr werde, daß es einmal nur wenig auserwählten Naturen beſchieden iſt, etwas wirklich Vollkommnes zu Tage zu fördern. Aber die Er- fahrung hat mich belehrt, daß ich, wo ich dem Triebe zu feilen und zu beſſern zu ſehr nachgab, nur zu oft ſtatt zu beſſern ledig- lich änderte, wohl gar verſchlechterte; anſtatt aus der Stelle zu kommen, mich nutzlos im Kreiſe herumdrehte. Um mich gegen dieſe Gefahr zu ſchützen, die meinem Buch das Schickſal des Gewebes der Penelope bereitet haben würde, habe ich noth- gedrungen auch bei dieſem Bande den frühern Weg einge- ſchlagen, das Manuſcript ſtückweis der Druckerei zu übergeben, und werde denſelben auch für die Zukunft beibehalten müſſen. <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="IV"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/> Mal hätte in Verſuchung bringen können, es gänzlich aufzu-<lb/> geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht beſſer bezeich-<lb/> nen zu können, als damit, daß ſie nie zum Abſchluß zu bringen<lb/> iſt. 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Vorrede.
Mal hätte in Verſuchung bringen können, es gänzlich aufzu-
geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht beſſer bezeich-
nen zu können, als damit, daß ſie nie zum Abſchluß zu bringen
iſt. Bei Arbeiten anderer Art gibt es doch einen gewiſſen Punkt,
bei dem der Verfaſſer ſich ſagen kann, daß er mit aller Anſtren-
gung nicht mehr im Stande iſt, die Sache weſentlich zu fördern,
daß er ſeine Kraft daran vollſtändig erſchöpft hat, kurz einen
ſubjectiven Abſchluß und Ruhepunkt. Bei der meinigen iſt der-
ſelbe faſt nie eingetreten, es iſt kaum eine Parthie meines Buchs,
bei der ich nicht auch jetzt noch von neuem anfangen möchte zu
ändern und zu beſſern, kaum eine, bei der nicht die Ausführung
hinter dem Bilde, in dem ſie mir vor der Seele ſchwebte, zurück-
geblieben iſt, und empfindlicher, als alle Ausſtellungen, welche die
Kritik mir machen kann, iſt für mich das Gefühl, daß mein Werk
dem Maßſtab, den ich in mir ſelber trage, nicht entſpricht —
ein Gefühl, das mich jetzt, wo ich ein neues Stück meines Werks
der Oeffentlichkeit übergebe, in verſtärktem Maße überfällt, und
deſſen ich nur durch den nothgedrungenen Troſt Herr werde,
daß es einmal nur wenig auserwählten Naturen beſchieden iſt,
etwas wirklich Vollkommnes zu Tage zu fördern. Aber die Er-
fahrung hat mich belehrt, daß ich, wo ich dem Triebe zu feilen
und zu beſſern zu ſehr nachgab, nur zu oft ſtatt zu beſſern ledig-
lich änderte, wohl gar verſchlechterte; anſtatt aus der Stelle zu
kommen, mich nutzlos im Kreiſe herumdrehte. Um mich gegen
dieſe Gefahr zu ſchützen, die meinem Buch das Schickſal des
Gewebes der Penelope bereitet haben würde, habe ich noth-
gedrungen auch bei dieſem Bande den frühern Weg einge-
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und werde denſelben auch für die Zukunft beibehalten müſſen.
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