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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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3. Die juristische Construction. §. 41.

Diese Erhebung des Stoffs ist nun zugleich Erhebung der
Jurisprudenz selbst. Von einer Lastträgerin des Gesetzgebers,
einer Sammlerin positiver Einzelnheiten schwingt sie sich auf zu
einer wahren Kunst und Wissenschaft; zu einer Kunst, die den
Stoff künstlerisch bildet, gestaltet, ihm Leben einhaucht -- zu einer
Wissenschaft, die trotz des Positiven in ihrem Gegenstande sich
als Naturwissenschaft im Elemente des Geistes bezeichnen läßt.
Dieser Vergleich mit der Naturwissenschaft ist keine müßige
Spielerei; denn es gibt, wie aus dem Verlauf der Darstellung
hervorgehen wird, keinen Ausdruck, der das Wesen ihrer Me-
thode so völlig erfaßte und träfe, als den der naturhistori-
schen Methode
. Auf dieser Methode beruht das ganze Ge-
heimniß der Jurisprudenz, alle ihre Anziehungskraft, alle ihre
Macht über den Stoff, ihre ganze Würde und Ehre.

Wir wollen uns jetzt die Consequenzen, welche diese An-
schauungsweise für die Behandlung des Stoffs nach sich zieht,
vergegenwärtigen.

Der juristische Körper.

An die Annahme eines Seines knüpft sich mit Nothwen-
digkeit die Frage nach dem Anfang und Ende desselben (Ent-
stehungs- und Endigungsarten der Rechtsverhältnisse), an die
Annahme eines Körpers die Frage nach seiner Natur, Be-
schaffenheit, Bestimmung, seinen Kräften, Eigenschaften, seiner
Aehnlichkeit und Verschiedenheit von andern Körpern, den Ver-
bindungen, die er mit ihnen eingehen, oder den Conflicten, in
die er mit ihnen gerathen kann. Ich will die hauptsächlichsten
Punkte, auf die es hier ankömmt, etwas näher ausführen.507)

507) Ich gebe gleich hier einiges Quellenmaterial, das der Leser für
die folgende Darstellung benutzen kann. Der Rechtskörper hat in der Sprache
der römischen Juristen seine bestimmte Natur: natura z. B. die Servitut
L. 32 §. 1 de S. P. U. (8. 2), die habitatio L. 3 Cod. de usufr. (3. 33),
die Emphyteuse §. 3 I. de loc. (3. 25), die Obligation L. 2 §. 1 de V. O.
(45. 1),
die Correalobligation L. 5 i. f. de fidej. (46. 1), das Depositum
3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41.

Dieſe Erhebung des Stoffs iſt nun zugleich Erhebung der
Jurisprudenz ſelbſt. Von einer Laſtträgerin des Geſetzgebers,
einer Sammlerin poſitiver Einzelnheiten ſchwingt ſie ſich auf zu
einer wahren Kunſt und Wiſſenſchaft; zu einer Kunſt, die den
Stoff künſtleriſch bildet, geſtaltet, ihm Leben einhaucht — zu einer
Wiſſenſchaft, die trotz des Poſitiven in ihrem Gegenſtande ſich
als Naturwiſſenſchaft im Elemente des Geiſtes bezeichnen läßt.
Dieſer Vergleich mit der Naturwiſſenſchaft iſt keine müßige
Spielerei; denn es gibt, wie aus dem Verlauf der Darſtellung
hervorgehen wird, keinen Ausdruck, der das Weſen ihrer Me-
thode ſo völlig erfaßte und träfe, als den der naturhiſtori-
ſchen Methode
. Auf dieſer Methode beruht das ganze Ge-
heimniß der Jurisprudenz, alle ihre Anziehungskraft, alle ihre
Macht über den Stoff, ihre ganze Würde und Ehre.

Wir wollen uns jetzt die Conſequenzen, welche dieſe An-
ſchauungsweiſe für die Behandlung des Stoffs nach ſich zieht,
vergegenwärtigen.

Der juriſtiſche Körper.

An die Annahme eines Seines knüpft ſich mit Nothwen-
digkeit die Frage nach dem Anfang und Ende deſſelben (Ent-
ſtehungs- und Endigungsarten der Rechtsverhältniſſe), an die
Annahme eines Körpers die Frage nach ſeiner Natur, Be-
ſchaffenheit, Beſtimmung, ſeinen Kräften, Eigenſchaften, ſeiner
Aehnlichkeit und Verſchiedenheit von andern Körpern, den Ver-
bindungen, die er mit ihnen eingehen, oder den Conflicten, in
die er mit ihnen gerathen kann. Ich will die hauptſächlichſten
Punkte, auf die es hier ankömmt, etwas näher ausführen.507)

507) Ich gebe gleich hier einiges Quellenmaterial, das der Leſer für
die folgende Darſtellung benutzen kann. Der Rechtskörper hat in der Sprache
der römiſchen Juriſten ſeine beſtimmte Natur: natura z. B. die Servitut
L. 32 §. 1 de S. P. U. (8. 2), die habitatio L. 3 Cod. de usufr. (3. 33),
die Emphyteuſe §. 3 I. de loc. (3. 25), die Obligation L. 2 §. 1 de V. O.
(45. 1),
die Correalobligation L. 5 i. f. de fidej. (46. 1), das Depoſitum
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[389/0095] 3. Die juriſtiſche Conſtruction. §. 41. Dieſe Erhebung des Stoffs iſt nun zugleich Erhebung der Jurisprudenz ſelbſt. Von einer Laſtträgerin des Geſetzgebers, einer Sammlerin poſitiver Einzelnheiten ſchwingt ſie ſich auf zu einer wahren Kunſt und Wiſſenſchaft; zu einer Kunſt, die den Stoff künſtleriſch bildet, geſtaltet, ihm Leben einhaucht — zu einer Wiſſenſchaft, die trotz des Poſitiven in ihrem Gegenſtande ſich als Naturwiſſenſchaft im Elemente des Geiſtes bezeichnen läßt. Dieſer Vergleich mit der Naturwiſſenſchaft iſt keine müßige Spielerei; denn es gibt, wie aus dem Verlauf der Darſtellung hervorgehen wird, keinen Ausdruck, der das Weſen ihrer Me- thode ſo völlig erfaßte und träfe, als den der naturhiſtori- ſchen Methode. Auf dieſer Methode beruht das ganze Ge- heimniß der Jurisprudenz, alle ihre Anziehungskraft, alle ihre Macht über den Stoff, ihre ganze Würde und Ehre. Wir wollen uns jetzt die Conſequenzen, welche dieſe An- ſchauungsweiſe für die Behandlung des Stoffs nach ſich zieht, vergegenwärtigen. Der juriſtiſche Körper. An die Annahme eines Seines knüpft ſich mit Nothwen- digkeit die Frage nach dem Anfang und Ende deſſelben (Ent- ſtehungs- und Endigungsarten der Rechtsverhältniſſe), an die Annahme eines Körpers die Frage nach ſeiner Natur, Be- ſchaffenheit, Beſtimmung, ſeinen Kräften, Eigenſchaften, ſeiner Aehnlichkeit und Verſchiedenheit von andern Körpern, den Ver- bindungen, die er mit ihnen eingehen, oder den Conflicten, in die er mit ihnen gerathen kann. Ich will die hauptſächlichſten Punkte, auf die es hier ankömmt, etwas näher ausführen. 507) 507) Ich gebe gleich hier einiges Quellenmaterial, das der Leſer für die folgende Darſtellung benutzen kann. Der Rechtskörper hat in der Sprache der römiſchen Juriſten ſeine beſtimmte Natur: natura z. B. die Servitut L. 32 §. 1 de S. P. U. (8. 2), die habitatio L. 3 Cod. de usufr. (3. 33), die Emphyteuſe §. 3 I. de loc. (3. 25), die Obligation L. 2 §. 1 de V. O. (45. 1), die Correalobligation L. 5 i. f. de fidej. (46. 1), das Depoſitum

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/95>, abgerufen am 25.11.2024.