welches sich beim Tode vorfand, bereits im Moment der Testa- mentserrichtung besessen, sondern daß er diesen Wein, dieses Getraide bereits damals hatte. Der Beweis der Identität der Sache ist aber bei fungiblen Sachen häufig geradezu ein un- möglicher, ein solches Legat wäre also in der Regel nicht zu rea- lisiren gewesen. Der Gesichtspunkt der Praktikabilität erforderte hier eine Abweichung von dem abstract Richtigen, und die Ju- risprudenz erkannte den Beweis des Eigenthums (Habens) im Moment des Todes für genügend.
Eine ähnliche Schwierigkeit konnte der Beweis des Eigen- thums am Gelde beim Darlehn haben. Nach der Theorie war das Eigenthum des Darleihers am Gelde Voraussetzung der Gültigkeit des Darlehns, der Strenge nach hätte also der Klä- ger, wenn diese Voraussetzung vom Beklagten bestritten ward, diesen Beweis erbringen müssen. Mit einer solchen Strenge aber hätte man das Darlehn zu einer Unmöglichkeit gemacht. Daher erklären sich verschiedene Eigenthümlichkeiten in der Theo- rie des Darlehns, so z. B. der Satz, daß die Consumtion der Geldstücke den ursprünglichen Mangel der Eigenthumsübertra- gung heilt, namentlich aber der, daß ein Dritter durch Hinge- ben seines Geldes auf Namen eines Andern letzterm die Dar- lehnsobligation erwerben kann. Wollte man diesen Satz nicht, so mußte man, wenn der Darleiher sein eignes Geld durch einen Boten überbringen ließ, den Beweis verlangen, daß das Geld, welches der Bote abgeliefert, dasselbe gewesen sei, welches er erhalten d. h. einen unmöglichen Beweis auferlegen. Nahm man aber Anstand dies zu thun, erklärte man also den Beweis für genügend, daß der Schuldner von dem Boten im Namen des Darleihers irgend welche Geldstücke ausbezahlt erhalten habe, so war durch diese prozessualische Concession der mate- rielle Rechtssatz gewonnen, daß Jemand seine eignen Geld- stücke auf unsern Namen und für uns als Darlehn hingeben kann -- ein Rechtssatz, der abstract genommen als große Sin- gularität erscheinen müßte, von unserm Gesichtspunkt der Prak-
II. Die Aufgabe derſelben. §. 38.
welches ſich beim Tode vorfand, bereits im Moment der Teſta- mentserrichtung beſeſſen, ſondern daß er dieſen Wein, dieſes Getraide bereits damals hatte. Der Beweis der Identität der Sache iſt aber bei fungiblen Sachen häufig geradezu ein un- möglicher, ein ſolches Legat wäre alſo in der Regel nicht zu rea- liſiren geweſen. Der Geſichtspunkt der Praktikabilität erforderte hier eine Abweichung von dem abſtract Richtigen, und die Ju- risprudenz erkannte den Beweis des Eigenthums (Habens) im Moment des Todes für genügend.
Eine ähnliche Schwierigkeit konnte der Beweis des Eigen- thums am Gelde beim Darlehn haben. Nach der Theorie war das Eigenthum des Darleihers am Gelde Vorausſetzung der Gültigkeit des Darlehns, der Strenge nach hätte alſo der Klä- ger, wenn dieſe Vorausſetzung vom Beklagten beſtritten ward, dieſen Beweis erbringen müſſen. Mit einer ſolchen Strenge aber hätte man das Darlehn zu einer Unmöglichkeit gemacht. Daher erklären ſich verſchiedene Eigenthümlichkeiten in der Theo- rie des Darlehns, ſo z. B. der Satz, daß die Conſumtion der Geldſtücke den urſprünglichen Mangel der Eigenthumsübertra- gung heilt, namentlich aber der, daß ein Dritter durch Hinge- ben ſeines Geldes auf Namen eines Andern letzterm die Dar- lehnsobligation erwerben kann. Wollte man dieſen Satz nicht, ſo mußte man, wenn der Darleiher ſein eignes Geld durch einen Boten überbringen ließ, den Beweis verlangen, daß das Geld, welches der Bote abgeliefert, daſſelbe geweſen ſei, welches er erhalten d. h. einen unmöglichen Beweis auferlegen. Nahm man aber Anſtand dies zu thun, erklärte man alſo den Beweis für genügend, daß der Schuldner von dem Boten im Namen des Darleihers irgend welche Geldſtücke ausbezahlt erhalten habe, ſo war durch dieſe prozeſſualiſche Conceſſion der mate- rielle Rechtsſatz gewonnen, daß Jemand ſeine eignen Geld- ſtücke auf unſern Namen und für uns als Darlehn hingeben kann — ein Rechtsſatz, der abſtract genommen als große Sin- gularität erſcheinen müßte, von unſerm Geſichtspunkt der Prak-
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[351/0057]
II. Die Aufgabe derſelben. §. 38.
welches ſich beim Tode vorfand, bereits im Moment der Teſta-
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Getraide bereits damals hatte. Der Beweis der Identität der
Sache iſt aber bei fungiblen Sachen häufig geradezu ein un-
möglicher, ein ſolches Legat wäre alſo in der Regel nicht zu rea-
liſiren geweſen. Der Geſichtspunkt der Praktikabilität erforderte
hier eine Abweichung von dem abſtract Richtigen, und die Ju-
risprudenz erkannte den Beweis des Eigenthums (Habens) im
Moment des Todes für genügend.
Eine ähnliche Schwierigkeit konnte der Beweis des Eigen-
thums am Gelde beim Darlehn haben. Nach der Theorie war
das Eigenthum des Darleihers am Gelde Vorausſetzung der
Gültigkeit des Darlehns, der Strenge nach hätte alſo der Klä-
ger, wenn dieſe Vorausſetzung vom Beklagten beſtritten ward,
dieſen Beweis erbringen müſſen. Mit einer ſolchen Strenge
aber hätte man das Darlehn zu einer Unmöglichkeit gemacht.
Daher erklären ſich verſchiedene Eigenthümlichkeiten in der Theo-
rie des Darlehns, ſo z. B. der Satz, daß die Conſumtion der
Geldſtücke den urſprünglichen Mangel der Eigenthumsübertra-
gung heilt, namentlich aber der, daß ein Dritter durch Hinge-
ben ſeines Geldes auf Namen eines Andern letzterm die Dar-
lehnsobligation erwerben kann. Wollte man dieſen Satz nicht,
ſo mußte man, wenn der Darleiher ſein eignes Geld durch einen
Boten überbringen ließ, den Beweis verlangen, daß das Geld,
welches der Bote abgeliefert, daſſelbe geweſen ſei, welches er
erhalten d. h. einen unmöglichen Beweis auferlegen. Nahm man
aber Anſtand dies zu thun, erklärte man alſo den Beweis für
genügend, daß der Schuldner von dem Boten im Namen des
Darleihers irgend welche Geldſtücke ausbezahlt erhalten habe,
ſo war durch dieſe prozeſſualiſche Conceſſion der mate-
rielle Rechtsſatz gewonnen, daß Jemand ſeine eignen Geld-
ſtücke auf unſern Namen und für uns als Darlehn hingeben
kann — ein Rechtsſatz, der abſtract genommen als große Sin-
gularität erſcheinen müßte, von unſerm Geſichtspunkt der Prak-
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/57>, abgerufen am 23.07.2024.
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