Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Die Frage, die damit an die Gesetzgebung herantrat: Beibehal-tung des Bisherigen d. h. äußerste Centralisation oder ange- messene Decentralisation war eine der gewichtigsten, die ihr je zur Entscheidung vorgelegen, und an der unvollkommnen Lösung derselben, an dem Mißverhältniß zwischen Stadt und Reich ist die Republik mit zu Grunde gegangen. Für das Privatrecht hatte zwar die Frage bei weitem nicht die Bedeutung, als für das öffentliche Recht, und die Interessen, die sich ihrer befriedi- genden Lösung in den Weg stellten, waren nach dieser Seite hin ungleich geringer. Allein um so bezeichnender ist die Lässigkeit, das Widerstreben, das selbst nach dieser Richtung hin an den Tag tritt. Vor allem trifft diese Bemerkung alle diejenigen Acte und Verhältnisse des Privatrechts, welche eine unmittelbare oder mittelbare religiöse Beziehung hatten und als zur Competenz des Pontificalcollegiums gehörige eben damit an Rom gewiesen waren. Welches Mißverhältniß war es z. B., daß man noch zu Gajus Zeit eine Arrogation nur in Rom vornehmen konnte, 930) also aus den entferntesten Provinzen zu dem Zweck nach Rom reisen mußte! Oder daß ein Provinzialstatthalter von Bithynien, wie Plinius, sich die Autorisation zur Verstattung der Verlegung eines Grabmahls erst vom Pontifex Maximus in Rom (Trajan) erwirken mußte! 931) Seine minder scrupu- lösen Vorgänger hatten sich freilich nach seinem eignen Bericht öfter darüber hinweggesetzt. Thaten sie so Unrecht daran? Wenn die Gesetzgebung es 930) Gaj. I, 100. 931) Plin. Epist. X, 73 (69), das Antwortschreiben von Trajan 74.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Die Frage, die damit an die Geſetzgebung herantrat: Beibehal-tung des Bisherigen d. h. äußerſte Centraliſation oder ange- meſſene Decentraliſation war eine der gewichtigſten, die ihr je zur Entſcheidung vorgelegen, und an der unvollkommnen Löſung derſelben, an dem Mißverhältniß zwiſchen Stadt und Reich iſt die Republik mit zu Grunde gegangen. Für das Privatrecht hatte zwar die Frage bei weitem nicht die Bedeutung, als für das öffentliche Recht, und die Intereſſen, die ſich ihrer befriedi- genden Löſung in den Weg ſtellten, waren nach dieſer Seite hin ungleich geringer. Allein um ſo bezeichnender iſt die Läſſigkeit, das Widerſtreben, das ſelbſt nach dieſer Richtung hin an den Tag tritt. Vor allem trifft dieſe Bemerkung alle diejenigen Acte und Verhältniſſe des Privatrechts, welche eine unmittelbare oder mittelbare religiöſe Beziehung hatten und als zur Competenz des Pontificalcollegiums gehörige eben damit an Rom gewieſen waren. Welches Mißverhältniß war es z. B., daß man noch zu Gajus Zeit eine Arrogation nur in Rom vornehmen konnte, 930) alſo aus den entfernteſten Provinzen zu dem Zweck nach Rom reiſen mußte! Oder daß ein Provinzialſtatthalter von Bithynien, wie Plinius, ſich die Autoriſation zur Verſtattung der Verlegung eines Grabmahls erſt vom Pontifex Maximus in Rom (Trajan) erwirken mußte! 931) Seine minder ſcrupu- löſen Vorgänger hatten ſich freilich nach ſeinem eignen Bericht öfter darüber hinweggeſetzt. Thaten ſie ſo Unrecht daran? Wenn die Geſetzgebung es 930) Gaj. I, 100. 931) Plin. Epist. X, 73 (69), das Antwortſchreiben von Trajan 74.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Die Frage, die damit an die Geſetzgebung herantrat: Beibehal-
tung des Bisherigen d. h. äußerſte Centraliſation oder ange-
meſſene Decentraliſation war eine der gewichtigſten, die ihr je
zur Entſcheidung vorgelegen, und an der unvollkommnen Löſung
derſelben, an dem Mißverhältniß zwiſchen Stadt und Reich iſt
die Republik mit zu Grunde gegangen. Für das Privatrecht
hatte zwar die Frage bei weitem nicht die Bedeutung, als für
das öffentliche Recht, und die Intereſſen, die ſich ihrer befriedi-
genden Löſung in den Weg ſtellten, waren nach dieſer Seite hin
ungleich geringer. Allein um ſo bezeichnender iſt die Läſſigkeit,
das Widerſtreben, das ſelbſt nach dieſer Richtung hin an den Tag
tritt. Vor allem trifft dieſe Bemerkung alle diejenigen Acte und
Verhältniſſe des Privatrechts, welche eine unmittelbare oder
mittelbare religiöſe Beziehung hatten und als zur Competenz des
Pontificalcollegiums gehörige eben damit an Rom gewieſen
waren. Welches Mißverhältniß war es z. B., daß man noch
zu Gajus Zeit eine Arrogation nur in Rom vornehmen
konnte, 930) alſo aus den entfernteſten Provinzen zu dem Zweck
nach Rom reiſen mußte! Oder daß ein Provinzialſtatthalter von
Bithynien, wie Plinius, ſich die Autoriſation zur Verſtattung
der Verlegung eines Grabmahls erſt vom Pontifex Maximus
in Rom (Trajan) erwirken mußte! 931) Seine minder ſcrupu-
löſen Vorgänger hatten ſich freilich nach ſeinem eignen Bericht
öfter darüber hinweggeſetzt.
Thaten ſie ſo Unrecht daran? Wenn die Geſetzgebung es
unterläßt, unmöglich gewordene Einrichtungen zu beſeitigen, ſo
kann und muß die Praxis ſich ſelber helfen; ſo geſchieht es über-
all, ſo geſchah es auch in Rom. Der Prätor ſollte ſich zum
Manum conserere mit den Partheien aufs Grundſtück verfügen
— wie war das durchführbar, als es zu dem Zweck ſtatt eines
bloßen Ganges, den das Geſetz im Auge hatte, einer förm-
930) Gaj. I, 100.
931) Plin. Epist. X, 73 (69), das Antwortſchreiben von Trajan 74.
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